Gestern wurde mir klar: Österreich ist schachmatt. Doch dahinter steht kein Scheitern "der Politik". Es ist kein strategischer Fehler oder eine Vertrauenskrise. Es ist nicht die Dummheit der Wähler*innen oder die Ignoranz der Nichtwähler*innen. Nicht die Medien, die Uninteressierten oder die ewig Rückwärtsgerichteten. Nicht nur. Vielmehr sind wir an diesem Jännerwochenende als Gesellschaft gescheitert. Vielleicht auch ein bisschen als Nation. Denn nur zu gern haben wir uns mit Blick auf unsere östlichen Nachbarn gern als Vorzeigedemokrat*innen präsentiert. Jetzt sind wir auf unser Scheitern zurückgeworfen und lecken unsere Wunden durch Schuldzuweisungen oder resigniertes Schulterzucken. Jetzt wundern wir uns nicht mehr, was alles möglich ist. Denn wenn sich die demokratischen Kräfte unseres Landes auf keine gemeinsame Zukunft verständigen können, schaffen sie sich Schritt für Schritt selbst ab. Sie geben das Zepter an jene ab, die nicht-demokratische Mittel bevorzugen. Wie das aussieht, wissen wir. Korruption, Klientelpolitik, Aushöhlung der Rechtsstaatlichkeit, Eingriffe in die Medienfreiheit, … all das kennen wir theoretisch schon aus Ibiza. Praktisch sind das aber keine Erfindungen einer Partei. Österreich war schon vorher ein wunderbarer Nährboden für illiberales Gedankengut. Neu ist, dass wir diesen Boden mit viel Geld bewässern werden. Dass die "Rülpser" und "Einzelfälle" zur Staatsräson werden. Und diese Macht gesetzlich und personell einzementiert wird. Mangels Alternativen, sagen die einen. Mangels echter Staatsmänner, sagen die anderen. Tatsächlich haben die demokratischen Kräfte unseres Landes schon viel früher versagt. Und wir mit ihnen. Denn so ist das mit dem Gift des Populismus: mit ihm schafft sich das Volk im Namen des Volkes letztlich selbst ab. Aber: Heute sehe ich in dieser Situation kein echtes Schachmatt mehr. Wer Politik lediglich als Schachbrett versteht, kann nur in Schwarz-Weiß denken. Und dieses Denken hat uns letztlich erst so weit gebracht. Entscheidend wird sein, welche Schlüsse wir jetzt daraus ziehen. Wie jede*r einzelne handelt. Ich werde mich jedenfalls nicht auf dem Argument ausruhen, dass es nun einmal "so kommen musste". Letztlich treffen echte Menschen die Entscheidungen. Kein System, keine Ideologie. Mehr denn je müssen wir jetzt die Kausalitäten aufzeigen. Die Akteur*innen beim Namen nennen. Und die eigene Verantwortung wahrnehmen. Es gibt viel zu tun!
Danke!
Facilitatorin für Menschenrechte und gegen Diskriminierung
2 MonateSehe ich genauso. Wir müssen spätestens jetzt aktiv werden. Jede*r kann was tun!