Im NZZ-Interview äussert sich der führende Bildungsforscher Stefan Wolter unter anderem zum Thema Selektion wie folgt:
«Die Kritik des Verband Schulleiterinnen und Schulleiter Schweiz, welcher die Selektion abschaffen will, ist nicht unbegründet. Der Zeitpunkt am Ende der sechsten Primarklasse ist aus verschiedenen Gründen nicht wirklich ideal.»
▶ Der erste Pisa-Test vor 20 Jahren hat gezeigt, dass Länder wie die Schweiz, in denen eher früh selektioniert wird, bei den Schulleistungen nicht besser dastehen als solche, in denen die Selektion später erfolgt. Aber sie sind ungerechter.
▶ Zum Zeitpunkt der Selektion kommen die einen Kinder dann in die Pubertät, und zum andern befinden sich Buben und Mädchen in ihrer Entwicklung an einem ganz anderen Punkt.
▶ Mit 15, 16 Jahren hat man einen Entwicklungsstand erreicht, der über die persönlichen Leistungen ziemlich gut Auskunft gibt. Vorher ist das nicht der Fall. Hinzu kommt, dass bildungsnahe Eltern wissen, was der Übertritt bedeutet und wie sie ihr Kind unterstützen können. Je länger man die Selektion hinauszögert, desto schwieriger wird es aber für die Eltern, mit zusätzlichem «Doping» fehlendes Potenzial auszugleichen.
▶ Die schwächeren Schüler behalten die guten Schüler als positive Referenzpunkte und sehen, welche Leistung möglich ist. Diese positiven, sogenannten Peer-Effekte verschwinden, wenn man die Klassen leistungshomogen einteilt. Zudem könnte man eben diese zu ungenaue Selektion hinauszögern, die im System später nur noch mangelhaft
korrigiert wird.
Angesprochen auf die Durchlässigkeit der 🇨🇭Bildungssysteme meint Wolter:
▶ Diese existiere nur in der Theorie, doch in der Praxis findet das kaum statt. Auch wenn ein Realschüler supergut ist, wird er nicht hinaufgestuft, sondern bleibt in seiner Stufe.
Und zum sich hartnäckig haltenden Mythos, dass nur leistungsschwache Schüler:innen profitieren würden, entgegnet Wolter:
▶ Sehr gute Schüler sind praktisch immun gegen die Anwesenheit von schwächeren Schülern. wenn nicht mehr als rund die Hälfte der Klasse aus schwachen Schülern besteht. Aber die Eltern der guten Schüler glauben das natürlich nicht und wollen, dass ihr Kind mit anderen guten Schülern unterrichtet wird, was dazu führt, dass gute mit guten Schülern in eine
Klasse gesetzt werden und schlechte mit schlechten Schülern. Man muss natürlich aber auch darauf hinweisen, dass der Widerstand der Eltern gegen die Abschaffung der Selektion sicher geringer ausfallen würde, wenn sie davon ausgehen könnten, dass ihre Kinder von den Lehrern auch unabhängig von der Klassenzusammensetzung nach ihrem individuellen Potenzial gefördert werden.
Seht ihr das auch so?
Artikel im Kommentar
Danke Fontana Katharina für das Interview.
Bild: Keystone (Marcel Bieri)
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2 MonateSuper 👍