Was ist Professionalität? Ein Problem.
Tatü, tata – Sie werden mit einem Herzinfarkt ins Krankenhaus eingeliefert und müssen sofort operiert werden. Der verantwortliche Arzt sagt kurz vor der für Sie lebensbedrohlichen Operation: „Wir werden einander viel verzeihen müssen“. Ich würde – wenn körperlich in der Lage – aufspringen und weglaufen. Dann – wenn mental in der Lage – würde ich mich fragen, was meint er damit? Einander verzeihen – ich ihm, wenn ich seinen Pfusch überlebe, verstehe ich. Aber was müsste ich eigentlich getan haben, dass er mir großzügig verzeiht? Oder sprach der Arzt gar nicht mir, sondern mit dem gesamten OP-Team? Wenn ja, will ich darüber gar nicht weiter nachdenken …
Mit Schönwandt Martin sprach ich in diesem Kontext über „Politische Irrlichter“, die wie orientierungslose Glühwürmchen chaotisch durch ihre eigene Galaxie schwirren und mit lautem Getöse kollidieren und sich ständig umschauen, ob auch alle zugeguckt haben. Als ob das nicht schon schlimm genug wäre, sind da noch wir, Wähler und Volkssouverän, die das Ganze brav und widerstandslos über sich ergehen lassen. Warum eigentlich? Warum diskutieren wir nicht einmal über die Problematik, dass die aktuelle Professionalität für politisches Leadership einfach zu wenig ist? Immerhin reden wir beim Corona-Masken-Deal über mögliche 2,3 Milliarden Euro, die am Ende der Steuerzahler berappen wird. Dagegen sind die 243 Millionen Euro für die geplatzte Pkw-Maut „Peanuts“.
Die Professionalität der PolitikerInnen ist eine Sache, unsere Professionalität als Souverän eine andere. Warum denken wir, dass das Kreuz auf dem Wahlschein ausreicht, um sich als Gesellschaft eine demokratische Lebensform verdient zu haben? So wie man seine Gesundheit nicht komplett an das Gesundheitssystem delegieren kann, sondern selbst verantwortlich ist, so können wir uns als BürgerInnen dieser Gesellschaft nicht auf Konsumieren von Politik beschränken. Unsere Professionalität als BürgerInnen dieser Republik muss ihren Fokus wieder auf die Gestaltung unserer gemeinsamen Zukunft richten. Andernfalls bestimmt die Zukunft über uns und nicht wir über sie!
Wenn Professionalität eines Tages ein Thema sein wird, dann wird es nicht nur um einzelne Personen, sondern um ganze Strukturen gehen. Und je größer ein Problem ist, desto ambitionierter müssen Management und Monitoring, Prozesse und Produktion sein. In Anbetracht der Kritik („Groß gedacht, schlecht gemacht“, faz.net 23.7.2024) drängt sich der Verdacht auf, dass es stark an unserer Problemlösungskompetenz – ein USP der früheren deutschen Leistungsfähigkeit – bröckelt. Ob unsere Lösungskompetenz noch kompatibel zur Problemkomplexität steht, scheint fraglich. Im Gespräch mit Martin Schönwandt fragten wir uns auch, ob unsere Gesellschaft einerseits die Größe der Herausforderungen erkannt hat und andererseits auch die kollektive Ehrlichkeit hat, diesen Defiziten bei Planung und Umsetzung auf den Grund gehen zu wollen? Wenn ja, dann ran!