Cottbuser Erklärung
des 29. Deutschen Präventionstages

Cottbuser Erklärung des 29. Deutschen Präventionstages

Der Deutsche Präventionstag – DPT und die ständigen Veranstaltungspartner DFK, ProPK, WEISSER RING e.V.

Sicherheit im Wandel: Mit dieser Schwerpunktthematik macht der 29. Deutsche Präventionstag auf gesamtgesellschaftliche Veränderungen aufmerksam, die deutliche Verschiebungen der Präventionslandschaft mit sich bringen. Dies betrifft u.a. den gestiegenen Stellenwert von Sicherheit im Alltagsverständnis und im politischen Diskurs wie auch die Frage der Aufgaben und Zuständigkeiten. Angesichts dessen ist es dem Deutschen Präventionstag wichtig, die Bezüge zwischen Prävention und Sicherheit auszuloten und ggfs. neu zu justieren.

Der Begriff der Sicherheit hat derzeit Hochkonjunktur und gilt als „neue Leitsemantik“ (Conze 2018) der Gegenwart. Sicherheit wird thematisiert als gesellschaftlicher Wert, Anspruch, Grundbedürfnis, Programm, Ziel und Versprechen. Der Sicherheitsbegriff wird durch eine stetige Erweiterung geprägt und die unserer Verfassung immanente Trennung in äußere und innere Sicherheit fasst die gegenwärtigen Phänomene nicht mehr hinreichend. Zudem erscheint die Sicherheitslage im Rahmen multipler Krisen bedroht. Ein Zuviel an Sicherheit könnte hingegen Freiheitsrechte unzulässig einschränken. Obwohl Prävention für die Förderung objektiver und subjektiver Sicherheit ein wichtiger Baustein ist, kommt diesem Arbeitsfeld nicht die notwendige und entsprechende politische Aufmerksamkeit und Unterstützung zu.

Die Sicherheit der Bevölkerung wird häufig anhand von Veränderungen im Ausmaß von Delikten und deren Aufklärung thematisiert. Statistiken zur Erfassung von Kriminalitätsverläufen, wie insbesondere die Polizeiliche Kriminalstatistik, zeigen sich immer wieder diskursbestimmend. Sie sind jedoch keine objektiv feststehenden Größen, sondern bedürfen einer differenzierten Interpretation, die gesellschaftliche Einflussgrößen einbezieht. Auch durch den technologischen Wandel kommt es zu Veränderungen im Kriminalitätsgeschehen. Insbesondere die Entwicklung im KI-Bereich lässt Räume für neue Straftatbestände entstehen.

Der Wandel zeigt sich außerdem in der erhöhten Aufmerksamkeit für die subjektive Sicherheit, also für das Ausmaß, indem die Menschen sich sicher fühlen und wie dies – zumeist auf kommunaler Ebene – gesteigert werden kann. Hierfür braucht es noch andere Maßnahmen, als die der Strafverfolgung, denn die empfundene Sicherheit ist nur bedingt abhängig von der Kriminalitätsbelastung eines Gebietes.

Insgesamt lässt sich feststellen, dass die Forderung nach Sicherheit immer mehr gesellschaftliche Bereiche umfasst – eine Entwicklung, die auch als „Sekuritisation“ oder „Versicherheitlichung“ kritisch beschrieben wird. So werden vermehrt soziale Probleme als Sicherheitsprobleme verhandelt. Vor diesem Hintergrund scheint es vielversprechend, neben der Polizei weitere Berufsfelder für die Gewährleistung von Sicherheit mit einzubeziehen. Hierzu gibt es bereits in anderen Ländern Ansätze, die besonders den Umgang mit Menschen in psychischen Ausnahmesituationen und sozialen Notlagen betreffen. Gleichzeitig ist eine stark zunehmende, nicht unproblematische, Privatisierung von Sicherheit feststellbar.

Vor dem Hintergrund des umrissenen „Wandels der Sicherheit“ und basierend auf den Expertisen aus dem Dokument „Sicherheit im Wandel. Expertisen zum 29. Deutschen Präventionstag“1, sowie den Debatten im Rahmen des Kongresses am 10. und 11. Juni 2024 formulieren der Deutsche Präventionstag und seine ständigen Veranstaltungspartner die nachfolgenden politischen Forderungen, um die Sicherheit in der Gesellschaft ganzheitlich und nachhaltig zu verbessern.

1. Ausbau und verbindliche Förderung präventiver Maßnahmen

Wirksamen Präventionsmaßnahmen, wie insbesondere entwicklungsorientierten Ansätzen, zielgruppenspezifischen Programmen, Opferhilfe und sozialraumbezogenen Strategien, kommt eine zunehmend bedeutsame Rolle zu. Sie auszubauen und zu systematischer Präventionsarbeit fortzuentwickeln, ist angesichts komplexer Multikrisen notwendig.

2. Verbesserung der sozialen Sicherheit

Die Förderung von Maßnahmen zur Verringerung sozialer Ungleichheit und Stärkung des sozialen Zusammenhalts ist ein effektives Mittel zur Prävention von Kriminalität und Gewalt.

3. Stärkung von demokratischer Debattenkultur

Der Austausch über gesellschaftliche Veränderungen ist für das demokratische Gemeinwesen unerlässlich. Ein gemeinsam getragenes Verständnis von Debattenkultur ist in der analogen und in der digitalen Welt zu fördern.

4. Differenzierte Problemanalyse und vorsichtiger Begriffsgebrauch

Gesellschaftliche Herausforderungen sind regelmäßig sehr komplex. Diskurse sollten auf der Grundlage einer adäquaten fächerübergreifenden Betrachtung geführt werden. So dürfen Probleme z.B. in sozialräumlich benachteiligten Quartieren oder in der Folge von Migrationsbewegungen nicht eindimensional auf Sicherheitsprobleme reduziert werden.

5. Verantwortungsvolle Medienberichterstattung

Förderlich ist eine verantwortungsvolle mediale Darstellung von Kriminalität, um die Kriminalitätsfurcht nicht unnötig zu erhöhen und allein punitiv geleiteten Einstellungen entgegenzuwirken.

6. Stärkung der zivilgesellschaftlichen Akteure

Freie Träger und zivilgesellschaftliche Organisationen sind eine wesentliche Säule der gesamtgesellschaftlichen Präventionsarbeit. Die Zusammenarbeit staatlicher und nichtstaatlicher Akteure sollte themenbezogen intensiviert werden. Eine stärkere Unterstützung zivilgesellschaftlicher Organisationen und freier Träger, die in der Kriminalprävention tätig sind, wird als notwendig erachtet, um ihre Effektivität und Reichweite zu maximieren.

7. Intenivierung der internationalen Zusammenarbeit

Internationale Kooperation ist in der globalisierten Welt auch im Bereich der Kriminalprävention unerlässlich geworden. Sie muss intensiviert werden, mit dem Ziel, grenzüberschreitender Kriminalität effektiver zu begegnen und wirksame Präventionsstrategien auszutauschen.

8. Verständigung über ethische Grundlagen in der Prävention

Es bedarf der Etablierung eines Ethik-Diskurses in der Präventionsarbeit, um sicherzustellen, dass präventive Maßnahmen im Einklang mit ethischen Prinzipien stehen und die Freiheit der Bürger*innen nicht unangemessen eingeschränkt wird. Gerade angesichts fortscheitender Technisierung ist hier ein vorausschauender Austausch notwendig.

9. Alternative Sicherheitskonzepte

Die Erforschung, Erprobung und Unterstützung von alternativen Konzepten erscheinen geboten. Dazu gehört eine mögliche, die Polizei nicht zuletzt auch entlastende Reduzierung ihrer Aufgaben zugunsten spezialisierter sozialer Dienste wie z.B. mobile psychosoziale Dienste und Hilfesysteme für Obdachlose und Drogenkonsument*innen.

10. Förderung hybrider Sicherheitsdiskurse

Die komplexen Herausforderungen für die Sicherheit und der beschriebene Wandel erfordert die Entwicklung und Unterstützung von umfassenden Sicherheitsstrategien, die verschiedene Ansätze kombinieren und unterschiedliche Akteur*innen einbeziehen.

Cottbus/Chóśebuz am 11. Juni 2024

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