Bad Ischl wird Kulturhauptstadt Europas

Zum dritten Mal in der vierzigjährigen Geschichte des von der Europäischen Union ins Leben gerufenen Formats Europäische Kulturhauptstadt wurde Österreich bedacht. Nach Graz (2003) und Linz (2009) ist es aber nun zum ersten Mal ein ländlicher Raum, der sich sich mit dreiundzwanzig Gemeinden um diese Trophäe bemüht und sie gewonnen hat. Offizieller Titel: Europäische Kulturhauptstadt Bad Ischl Salzkammergut 2024. Am 20. Januar 2024 steigt die Eröffnungsfeier im 14.000 Einwohner zählenden Bad Ischl, wo der Habsburger Kaiser Franz Joseph I. einst seine Sommerfrische verbrachte. Was im kommenden Jahr alles geboten sein wird, hat die künstlerische Geschäftsführerin Elisabeth Schweeger am Freitag in Linz vorgestellt. Die gebürtige Wienerin ist in der deutschen Theaterszene noch in Erinnerung, wohl auch, weil sie seinerzeit umstritten war. Die Neunundsechzigjährige leitete in den Neunzigerjahren den Marstall in München, war Chefdramaturgin am Bayerischen Staatsschauspiel. Von 2001 bis 2009 war sie Intendantin des Schauspiels Frankfurt. Wo liegt das Salzkammergut? Das Salzkammergut ist nicht ganz einfach zu greifen. Drei Bundesländer haben Anteil daran: Salzburg, Oberösterreich und die Steiermark. Da sich das Land Salzburg nicht beteiligt, haben die Organisatoren die Geographie ein wenig kondensiert und beim Logo – ein Siebeneck, das die Gebietsgrenze mit dem Lineal nachzeichnet – frei gewaltet. Es spart die Salzburger Gebiete einfach aus und schneidet auch dem Attersee die Norwestecke ab. Die oberösterreichische Landeshauptstadt Linz, gleichwohl sechzig Kilometer nordöstlich der nördlichsten Teilnehmergemeinde Roitham gelegen, wurde dennoch zum „Hub“ erklärt. Es dürfte auch damit zu tun habe, dass das Bundesland zu den maßgeblichen Unterstützern der Kulturhauptstadt gehört. Als Top-Partner fungiert, ein Klassiker in der Alpenrepublik, die Raiffeisen-Bank. Neben Roitham nehmen Vorchdorf, Laakirchen, Kirchham, Pettenbach, Scharnstein, St. Konrad, Gmunden, Altmünster, Steinbach, Traunkirchen, Grünau, Ebensee, Unterach, Bad Ischl, Bad Goisern, Altaussee, Bad Aussee, Grundlsee, Gosau, Halltstatt, Obertraun und Bad Mitterndorf – also zum Teil klingende Namen, die auf der Karte des Welttourismus stehen und die von Overtourism geplagt sind, sowie unbekanntere Orte. „Eine alpine Region mit einer unglaublichen Vielfalt“, wie Elisabeth Schweeger sagte, „eigensinnig, eigenwillig.“ Weswegen die Kulturhauptstadt ein „unglaubliches Potential“ habe. Linz und sein schwieriges Erbe Im Kulturhauptstadt-Komitee sitzen klingende Namen, darunter Klaus Maria Brandauer, Hubert von Goisern, Aleida Assmann, Xenia Hausner, Conchita Wurst und Helga Rabl-Stadler, die langjährige Präsidentin der Salzburger Festspiele. Dreihundert Projekte hat Schweeger mit ihrem Team am Hauptsitz Bad Ischl ersonnen. Im kunsthistorischen Fokus: Das Verhältnis des Salzkammerguts zum Nationalsozialismus. Ein Blockbuster soll deswegen die am 21.März 2024 öffnende Schau „Die Reise der Bilder werden“. Sie verfolgt den Transportweg von Gemälden, die für das „Führermuseum“ auserwählt waren, und in den letzten Kriegsmonaten in diverse Verstecke ins Salzkammergut gebracht wurden. Da Hitler Linz, die Stadt, in der er aufwuchs, im ganz großen Stil zur „Führerstadt“ inklusive „Führermuseum“ auffrisieren wollte, kommt man hier am schwierigen Erbe nicht vorbei. SPÖ-Bürgermeister Klaus Luger, der bei der Vorstellung auf die guten Erfahrungen als Europäische Kulturhauptstadt 2009 verwies, war auch sofort beim „sensibelsten Thema“ der Stadtgeschichte. Auch verschwieg er nicht, dass die Hauptstadt des Bundeslandes Oberösterreich mit ihren 210.000 Einwohnern ihren materiellen Wohlstand ursprünglich der nationalsozialistischen Industriepolitik verdankt: Einer Tochtergesellschaft der Reichswerke Hermann Göring, die 1946 als VÖEST in staatlichen Besitz kam und heute unter dem Namen Voestalpine AG firmiert. Kultur im Irrealis Viel zu lange habe man es sich in der Opferrolle bequem gemacht, so Luger, immerhin sei Linz 1988 die erste Stadt Österreichs gewesen, die sich systematisch der wissenschaftlichen Aufarbeitung der eigenen Geschichte gestellt habe. Nicht von ungefähr fand die Pressekonferenz im Lentos Museum statt, direkt am südlichen Donauufer in Sichtweite der Nibelungenbrücke. Wäre alles so gelaufen, wie von Hitler geplant, wäre an dieser Stelle wohl das „Führermuseum“ gebaut worden. Und so spielt der Irrealis bis heute ein Hauptrolle in der Kulturpolitik der Gegenwart. „Die Reise der Bilder“ wird im Lentos, in Bad Aussee und Lauffen bei Bad Ischl gezeigt werden, die Ausstellung wird nicht nur den Weg der Bilder rekonstruieren, sondern auch zeitgenössische Künstler zuschalten, die sich mit dem Thema der kulturellen Aneignung auseinandersetzen. Kuratiert wird sie von Elisabeth Nowak-Thaller, der stellvertretenden Lentos-Direktorin. Leihgaben kommen aus großen Häusern wie der Albertina, dem Kunsthistorischen Museum Wien und dem Belverdere, – sowie aus Deutschland, unter anderem von den Bayerischen Staatsgemäldesammlungen. So wird erstmals alte Kunst im Lentos zu sehen sein, dessen Sammlung sich auf Gegenwartskunst konzentriert. Sozusagen als Appetithappen wurde das einst versteckte Gemälde „Winterlandschaft“ von Claes Molenaer (1630 bis 1676) präsentiert, das im Rahmen des „Sonderauftrags Linz“ 1942 von den Nationalsozialisten in den Niederlanden gekauft wurde. Das Labor im Wirtshaus Die Zahl der künstlerischen Vorhaben ist, wie nicht anders zu erwarten, beeindruckend. Musik, Theater, Performance, Literatur, Symposien, Party. Vier Programmlinien bündeln das in schönstem Denglish: „Macht und Tradition“, „Kunst im Fluss“, „Sharing Salzkammergut – die Kunst des Reisens“ und „Globalokal – Building The New“. Auf der Liste der Künstler stehen Valie Export, Bill Fontana, Hamish Fulton, Amina Handke, Chiharu Shiota, Eva Schlegel, Elfie Semotan. Der Politikwissenschaftler Herfried Münkler soll ein Manifest erarbeiten, ein Wirtshaus-Labor wird die Zukunft des Stammtisches und der Wirtshauskost ausloten; ein Baukongress wird über Betonvermeidung diskutieren, ein European Peace Ride soll auf dem Fahrrad für Frieden werben, die Reihe „Salzkammerqueer“ soll „Community-Building im ländlich-alpinen Raum“ anstoßen. Hubert von Goisern wird einen Chor mit tausend Sängerinnen und Sängern auffahren, in Bad Ischl wird die Operette „Ein Frau, die weiß, was sie will“ von Oscar Strauss gegeben. Der Kunsthändler Wolfgang Gurlitt, Kunstraub und Restitutionsfragen tauchen immer wieder auf. Der bekannte deutsche Comiczeichner Simon Schwartz wird in Altaussee die Schau „Verborgen im Fels“ gestalten. Das Sudhaus Bad Ischl soll die Beziehung von Salz, Holz, Wasser und Kunst ausloten. In Altmünster geht die Ausstellung „Green“ Fragen des Klimawandels und Artensterbens nach. Und dann ist 2024 auch noch ein Anton-Bruckner-Jahr - der zweihundertste Geburtstag des nahe Linz geborenen Komponisten wird gefeiert. Tourismus tut gut Schließlich will man ungenutzte Gebäude reaktivieren. Und mit einem Verkehrsunternehmen hat man eine Zusammenarbeit vereinbart, die Kunst in Busse und Bahnen bringen soll. Der Künstler Hans Schabus hat mit Studenten eine „skulpturale Intervention“ erarbeitet: Die Haltestelle Klosterplatz in Gmunden erhält ein Dach, dessen Form an eine Plätte – einen mittelalterlichen Frachtkahn – erinnert. Das Dach wird mit Keramikfliesen gebaut, immerhin ist Gmunden als „City Of Ceramics“ weithin bekannt. So schwirrten viele Nachhaltigkeits-Sprechblasen durch den Saal im Lentos – Tourismus bringe die Menschen zueinander, man könne mit Kunst wahnsinnig viel erzählen, man müsse lernen, miteinander zu streiten. Auch gehe es darum, den ländlichen Raum nicht zu verschandeln, sondern als Siedlungsgebiet interessant zu machen, ohne ihn zur Stadt umzuformen. Das kommt vermutlich zu spät: Wer durch das nördliche Salzkammergut fährt, jenseits der pittoresken Kerngebiete zwischen Bergen und Seen, wird den Eindruck gewinnen, dass dort Hopfen und Malz verloren sind. Gewerbegebiet reiht sich an Gewerbegebiet, dazwischen hunderte von Kreisverkehren. Weil in Österreich der Flächenfraß grassiert und die Bauvorschriften lax sind, baut hier jeder, ganz wie er will. Und so sieht es auch aus. Sollte das Kulturhauptstadtjahr tatsächlich dazu beitragen, Rezepte für die Heilung dieser Wunden zu finden, hätte es sein „unglaubliches Potential“ genutzt.