Sätze des Jahres
„Ich habe mit meinem Sohn mit einem Kamillentee gefeiert.“
Han Kang
Ein großer Satz. Die südkoreanische Schriftstellerin Han Kang war in Verdacht geraten, dass sie ihren Literaturnobelpreis gar nicht feiern würde, nachdem sie ihrem Vater verwehrt hatte, ein Fest für sie auszurichten. Nun stellt sie klar, dass sie durchaus feiert – aber eben so, wie auch ihre Bücher sind, mit einer bewunderungswürdigen Resilienz gegenüber allen Erschütterungen an der Oberfläche, ganz auf die innere Kraft vertrauend, die in der Stille liegt. Ein Beispiel dafür, dass Werk und Autorin wirklich eins sein können. Si.
„Wir sind alle zum Arbeiten geboren.“
Olaf Scholz
Indem er den Vorschlag einer Anschubprämie für Langzeitarbeitslose zurückwies, räumte der Bundeskanzler im Oktober auch mit anderen Lebensmythen der Popkultur auf: Wir sind gar nicht geboren, um zu rennen (Bruce Springsteen) oder zu leben (Unheilig) oder zu sterben (Lana del Rey) oder zu verlieren (Ray Charles) oder wild zu sein (Steppenwolf), wir sind born to work. Deutsche singen zwar gern bei der Arbeit, aber ob das ein Wahlkampfschlager wird, sehen wir im Februar. tob.
„Geh ins Gymmie, werde skinny, mach daraus eine Show.“
Shirin Davids „Hit BBP“
„Es sind immer die hässlichen Bitches, die haten“, hat die selbsterklärte Feministin Shirin David einmal gesagt. Ob sie deshalb will, dass wir alle ein bisschen schöner werden? Um den Body aufzuhübschen, hat die Rapperin jedenfalls ein paar Tipps parat. In ihrer Single „Bauch, Beine, Po“ rappt sie: „Geh ins Gymmie, werde skinny, mach daraus eine Show“. Alles ironisch? Ein paar „hässliche Bitches“ wollten da nicht so recht dran glauben. Schließlich hatte David für ihren Song mit einem Fitnessstudio kooperiert, in dem Fans einen „Bauch, Beine, Po“-Workshop mit ihrem Star gewinnen konnten. Die meisten störte das aber alles nicht: David schaffte es mit ihrer Single zum siebten Mal an die Spitze der deutschen Charts. Das war vor ihr noch keiner Frau gelungen. Female Empowerment im Jahr 2024. anvo.
„Sehr geehrter Herr Bundespräsident und bei allem Respekt.“
Marko Martin
Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier war schon als Außenminister dafür bekannt, den Kontakt zu Schriftstellern zu pflegen, diese auf seine Reisen oder in sein Ministerium einzuladen. Im neuen Amt empfängt er sie im Schloss Bellevue. Aber ihre Widerworte und Kritik scheinen eher nicht so sein Fall zu sein. Als der Autor Marko Martin auf der Festveranstaltung zum 35. Jahrestag des Mauerfalls im Schloss Bellevue eine Rede hielt, in der er den Gastgeber scharf kritisierte, reagierte dieser zwar nicht unmittelbar. Er applaudierte nach der Rede aber nicht, kam später aufgebracht auf Martin zu und soll ihm vorgeworfen haben, Politiker versuchten Probleme zu lösen, aber die Intellektuellen erschwerten alles. Hier sprach der Unsouverän. Der Schriftsteller Marko Martin hatte, am Ort der Repräsentanz der Macht, dagegen die Rede des Jahres gehalten: Er kritisierte, dass Gerhard Schröder, „nach wie vor reuelos großsprecherischer Duzfreund des Massenmörders im Kreml“, vom neuen Generalsekretär der SPD garantiert worden war, dass für ihn weiterhin Platz sei in der deutschen Sozialdemokratie. Er wies noch mal auf das „Entsetzen der Osteuropäer und gestandenen Sozialdemokraten“ hin, die 2016 aus dem Mund des damaligen Außenministers Steinmeier hören mussten, die NATO-Manöver an der Ostflanke, die die dortigen Demokratien schützen sollten, seien „Säbelrasseln und Kriegsgeheul“. Und er erinnerte daran, dass das Nord-Stream- Projekt, an dem SPD und CDU „so elend lange gegen alle fundierte Kritik festhielten“, nur insofern „eine Brücke“ gewesen sei – Steinmeiers Worte noch vom Frühjahr 2022 –, als dass es Putin in seinen Aggressionen zusätzlich ermutigte, „und zwar in seinem Kalkül, dass die Deutschen, ansonsten Weltmeister im Moralisieren, das lukrative Geschäft schon nicht sausen lassen würden, Ukraine hin oder her“. Danke, Marko Martin! jia
„Normale Kartoffel auf die 1.“
Florian Wirtz
2024 war das Jahr, in dem wir wieder anfingen, das deutsche Fußballnationalteam der Männer zu lieben. Wegen der Tore. Und weil in der Mannschaft so liebenswerte normale Kartoffeln wie Florian Wirtz spielen, aber auch eine ganze Menge mit ganz anderen Wurzeln. tob
„Die Scham muss die Seite wechseln.“
Gisèle Pelicot
Motiv und Ziel der 72 Jahre alten Französin, der über Jahre hinweg unvorstellbare Gewalt angetan wurde, ist es, sich in voller Verwundbarkeit vor die Welt zu stellen und die grausame Wahrheit wie ein Banner zu tragen. Das Unerträgliche zu ertragen, tut sie im Namen aller Frauen und lässt sich nicht von der Scham belasten, die allein ihrem Ehemann und den über 50 anderen Tätern gebührt. Eine Kämpferin, deren unerschütterlicher Mut und Wille beispiellos sind. fkla
„Ich habe Frauen im TV rein dienstlich angefasst.“
Thomas Gottschalk
In den Interviews, die er gab, erreichte die Selbstinszenierung des Moderators als unschuldiger, von politischer Korrektheit verfolgter Blondinenwitz immer neue Tiefpunkte. Auf die Idee, dass es okay wäre, Frauen im Dienst anzufassen, muss man aber auch erst mal kommen. Hallo, Personalabteilung? tob
„This is the end.“
Robert Smith
Gar nicht das Ende, sondern das schönste Comeback des Jahres: The Cure, „Songs of a Lost World“. tob
„In Springfield, they’re eating the dogs, the people that came in, they’re eating the cats. They’re eating the pets of the people that live there.“
Donald Trump
Selbst für die bizarren Aussagen des Profilügners Donald Trump war es ein neues Level, als er im TV-Duell mit Kamala Harris das haltlose Gerücht verbreitete, haitianische Immigranten würden in Springfield, Ohio, Haustiere essen. Was folgte, war die übliche Welle aus Richtigstellung, Empörung und Spott, Katzen-Memes, Simpsons- Gifs, ein dramatischer Monolog, ein viraler Song. Und die naive Hoffnung, dass dieser böse und offensichtlich rassistische Unsinn nun doch wirklich endlich das Ende aller Chancen des Kandidaten sein müsste. stau.
„Das Department of Government Efficiency ist der einzige Weg, damit sich das Leben über die Erde hinaus ausdehnen kann.“
Elon Musk
Wie ein Palimpsest verlangt dieser Satz danach, mehrere Bedeutungsschichten nacheinander freizulegen, bevor man zu seinem abgründigen Kern vorstoßen kann. Das Department of Government Efficiency ist eine von Donald Trump nach seinem Wahlsieg angekündigte Behörde, die die Bürokratie abbauen, in Trumps Sprache also „den Beamtenstaat zerlegen“ soll. Doch Elon Musk, der designierte Chef der Behörde, spricht hier gar nicht von den USA, er spricht von der Erde, ja von dem Leben noch darüber hinaus. Vorausgesetzt ist da also erst mal: Die ganze Menschheit hängt von Amerika ab. Und dann, des Näheren: Die Trump-Regierung ist auch noch für die außerplanetarischen Beziehungen zuständig. Im Kreuzungspunkt dieser Aussagen steht aber der Sprecher des Satzes, der mit dem Amt in seiner Hand nun die eigene Utopie realisieren will, die Erdbewohner auf den Mars auszulagern. Der Staat und die Politik dienen ihm also dazu, die Menschheit an einen Ort zu bringen, wo sie von der Politik definitiv befreit sein soll. Unnötig zu sagen, dass es seine Eigenschaft als reichster Mensch der Welt ist, die es ihm erlaubt, solche Sätze zu sagen. Auch Transzendenz, wenn sie so immanent gedacht wird wie von diesem Mann, ist heute offenbar eine Frage des Kapitals. Si.
„Saviano ist nicht drauf, weil er nicht eingeladen wurde.“
Mauro Mazza
Mit diesen Worten entfachte Mauro Mazza, Italiens Buchmesse-Sonderkommissar, einen Streit, unter dessen Eindruck der Ehrengastauftritt Italiens zu implodieren drohte. Man blickte auf einmal in die neuen kulturpolitischen Abgründe Italiens – und das war auch sehr erhellend. Alles begann am 28. Mai bei einer Pressekonferenz mit der Frage, warum der Name Roberto Savianos, Bestsellerautor und Kritiker der Meloni-Regierung, nicht auf der Liste der Messedelegation sei. Der Sonderkommissar reagierte wie oben zitiert. Savianos Werk sei nicht „originell“ genug, sagte er zudem – und diese Begründung sollte nicht Mazzas letzte bleiben. Aus Protest zogen sich mehrere namhafte Schriftsteller aus der Delegation zurück, Boykott stand im Raum, ein offener Brief mit Zensurvorwürfen erzeugte internationales Echo, während Mazza nun beteuerte, die Nichteinladung sei nicht aus politischen Gründen erfolgt, sondern auf einen Verfahrensfehler zurückzuführen. Er entschuldigte sich, sprach eine Einladung gegenüber Saviano aus, die der aber ablehnte und lieber auf Einladung der Buchmesse sowie seines deutschen Verlags nach Frankfurt fuhr: Wo immer Saviano auf der Messe hinkam, gab es kein Durchkommen mehr. Vor einigen Wochen, die Messe war längst vorbei, hat der Sonderkommissar eine weitere, dritte Begründung zum Besten gegeben. Sie kommt der Wahrheit, warum der Antimafia-Autor nicht auf der Liste der Ehrengäste stand, wahrscheinlich am nächsten und hat die Vermutungen vom Team Saviano bestätigt. Ministerpräsidentin Meloni habe ihn zum Sonderkommissar berufen, sagte Mazza in einem Interview mit der Zeitung „La Repubblica“. Wieso er da jemanden, der sie beleidigt habe, hätte einladen sollen? Offenbar hatte er ‚Ehrengastauftritt‘ so verstanden, dass nur mitfahren darf, wer dezidiert nett zu seiner Chefin gewesen ist. kkr.
„Das ist nicht fair! Es tut furchtbar weh!“
Angela Carini
Eine Boxerin bei Olympia beschwert sich am 1. August laut weinend darüber, dass sie im Ring gerade eins auf die Nase bekommen hat, und verweigert, nachdem sie in der ersten Runde nach 46 Sekunden aufgegeben hatte, der Gegnerin den Handschlag. Angela Carini aus Italien war überzeugt: Die Algerierin Imane Khelif, die ihr im Achtelfinale mit ihren harten schnellen Schlägen so zugesetzt hatte, sei nicht Frau genug, um sich mit Frauen messen zu dürfen. Bei der WM im Jahr zuvor war Khelif wegen erhöhter Testosteronwerte vor dem Finale disqualifiziert worden. Das IOC hatte ihr in Paris die Starterlaubnis erteilt, trotz massiver Einwände, sie bei einem Frauenwettbewerb zuzulassen. Es folgte eine notwendige Debatte über Geschlecht und Intersexualität, die in den sozialen Medien jedoch vollkommen aus dem Ruder lief. Imane Khelif blieb ruhig. Sie gewann Gold, verklagte X und bestand weiterhin darauf, eine Frau wie jede andere zu sein. Angela Carini distanzierte sich später von der Debatte. Sie arbeitet jetzt als Boxtrainerin in einem Sportzentrum bei Neapel, das die Regierung Meloni in einem sozialen Brennpunktviertel eingerichtet hat. kkr1.10158344
„Warum kannst du das nicht sehen, Deutschland?“
Nan Goldin
Dass die Künstlerin Nan Goldin die Eröffnung ihrer großen Ausstellung „This Will Not End Well“ in der Neuen Nationalgalerie in Berlin als „Plattform“ nutzen würde, um – wie sie in ihrer Rede formulierte – ihrer „moralischen Empörung über den Völkermord in Gaza und im Libanon Ausdruck zu verleihen“, zeichnete sich schon im Vorfeld der Ausstellung ab. Es war ihr gutes Recht, Stellung zu beziehen. Auch dass es Proteste geben würde, lag nahe. Dass der Leiter des Museums, Klaus Biesenbach, bei seiner Erwiderung auf Goldin von den protestierenden Aktivisten niedergebrüllt wurde, hielt ihn nicht davon ab, seine Ansprache zu beenden. Eine Antwort auf die von Goldin in ihrer Rede gestellte Frage „Warum kannst du das nicht sehen, Deutschland?“ interessierte die Künstlerin aber offensichtlich nicht. Erst hatte sie ihre Teilnahme am Symposium „Kunst und Aktivismus in Zeiten der Polarisierung“, das im Rahmen der Ausstellung stattfand, abgelehnt. Ausgerechnet in einem Kommentar unter einem Post der Aktivistengruppe Strike Germany, die dazu aufgerufen hatte, das Symposium abzusagen, da es – so Strike Germany – „von Völkermord leugnenden Zionisten dominiert“ werde. In einem Interview mit der „Frankfurter Rundschau“ behauptete sie dann, ihre Ausstellung sei zensiert worden. Das Museum habe ein Dia aus ihrer Fotoserie „The Ballad of Sexual Dependency“ entfernt, auf dem sie ihre Solidarität mit den Menschen in Gaza, im Westjordanland und im Libanon erkläre – „und mit den israelischen Zivilisten, die am 7. Oktober getötet wurden“. Das Museum stellte den Vorgang anders dar: „Die israelischen Zivilisten wurden dort nicht erwähnt“. Goldin vermittelte den Eindruck, dass ihr das Narrativ, gecancelt worden zu sein, wichtiger war als alles andere. Aber es sollte nicht hängenbleiben. In veränderter Form wurde das Dia auf ihren Wunsch doch wieder hinzugefügt. jia
„Ich möchte nicht mehr, dass du meinem Kabinett angehörst.“
Olaf Scholz
„Ich möchte nicht mehr, dass du mitspielst“ – ein bisschen so klingt der Satz, mit dem der Bundeskanzler Scholz den damaligen Finanzminister Lindner seines Amtes enthoben haben soll. Wie eine Entlassung im Kindergarten-Style, würdevoll oder gemein, je nachdem, aber auch direkt und klar. Nur: Das öffentliche Sprechen über das Ende der Ampelregierung, in das eine „Spiegel“-Titelgeschichte diesen Satz einspeiste, war alles andere als das, direkt und klar. Sondern eine das Land in Atem haltende Flut von widersprüchlichen Botschaften, in der vor allem SPD und FDP sich gegenseitig vorwarfen, den Bruch provoziert, die Entlassung inszeniert, persönlichen und/oder parteipolitischen Profit daraus geschlagen zu haben, in der desaströse Talkshow-Auftritte auf die Veröffentlichung krasser Dokumente folgten. Nun wünscht man sich für den Wahlkampf umso mehr: selbstverständliche Standards in Stil und Rhetorik, die populistische Stimmen weder nachahmen noch ihnen das Feld überlassen. Und vor allem: die Konzentration auf faktenbasierte politische Inhalte, die konstruktiv besprochen werden, statt unterzugehen in der Erzählung von zwei streitenden Männern. shok.
„Martina Hefter, wollt ihr mich verarschen?“
Clemens Mayer
So brüllte es der Autor nach der Verleihung des Deutschen Buchpreises, den er nicht bekam, über den verregneten Römerberg. Mit den Erklärungsversuchen für seine Ausfälle gegen die Jury zog er danach kurzfristig die Aufmerksamkeit auf sich und weg von Martina Hefter und ihrem ausgezeichneten Roman. Er heißt „Hey guten Morgen, wie geht es dir?“, erzählt von einer Frau, die unter dem Druck ihrer Lebensverhältnisse nach einem Ventil für ihre Wünsche sucht und in Kunst und Lügen findet, erscheint bei Klett-Cotta und wäre sicher ein gutes Weihnachtsgeschenk. tob
„Hauptsache, Holz.“
Dirk Möhrle
Als in der Villa von Ulla Berkéwicz, der Witwe des früheren Suhrkamp-Verlegers Siegfried Unseld, Ende September der 100. Geburtstag Unselds gefeiert wurde, ahnten jene, die dort eingeladen waren, genauso wenig wie die Autoren, die an diesem Abend auftraten, was ein paar Tage später bekannt werden sollte: Ein Hamburger Investor, Dirk Möhrle, der seit 2015 bereits Unternehmensanteile hatte, übernahm den Suhrkamp Verlag, indem er diese Anteile auf 100 Prozent aufstockte. Seitdem ist er alleiniger Inhaber der Verlage Suhrkamp und Insel, was zugleich das Ende der Ära Berkéwicz im Aufsichtsrat und als Aktionärin bedeutete. Da Möhrle in seinem früheren Leben den familieneigenen Baumarkt Max Bahr geleitet hatte, machte auf der Buchmesse Mitte Oktober so mancher, der am Suhrkamp-Stand vorbeikam, den Witz, auf die dortigen Regale zu weisen und zu fragen, ob die wohl aus dem Baumarkt seien. Der neue Inhaber wiederum zitierte, als unsere Kollegin Sandra Kegel ihn im F.A.Z.-Interview nach den Parallelen von Verlagsgeschäft und Baumarkt fragte, seinen Sohn mit den Worten „Hauptsache, Holz“. jia
„I’m sorry Mr. President.“
El Hotzo
Die am meisten missglückte Entschuldigung des Jahres. Beziehungsweise eine gescheiterte Auseinandersetzung mit einem denkbar kritikwürdigen Thema. Nach seinen Witzen über das versuchte Attentat auf Donald Trump – „Ich finde es absolut fantastisch, wenn Faschisten sterben“ und „Was haben der letzte Bus und Donald Trump gemeinsam? Sie wurden knapp verpasst“ – verlor der Satiriker El Hotzo seine Sendungen beim öffentlichrechtlichen Rundfunk. Zwar löschte er seine Posts auf X relativ zügig, doch die Message bleibt hängen. Eine aufrichtige Entschuldigung und eine tatsächliche Auseinandersetzung mit der fragwürdigen Aussage, Menschen den Tod zu wünschen, blieb aus, stattdessen jammerte El Hotzo bei RTL+ eine ganze Doku lang vor Ironie strotzend über sein Schicksal. Leider blieb die Doku „I’m sorry, Mr. President“ hinter dem Anspruch zurück, Verantwortung zu übernehmen. In dieser Situation bleibt nur zu sagen: Sorry, not sorry. fkla
„From the River the Sea.“
Das Perfide an der Parole, die zum Refrain der Anti-Israel-Proteste wurde, ist ihre Schwammigkeit. Sie lässt alles offen und spricht doch eine klare Sprache. Selbst mit dem Zusatz „From the river to the sea, Palestine will be free“ sagt sie erst einmal nichts darüber aus, wie oder gar von wem das Gebiet zwischen Jordan und Mittelmeer befreit werden soll – und doch ist die Stoßrichtung offensichtlich. Wer wirklich für Verständigung und gegenseitige Anerkennung wäre, für die Errichtung eines Staates, in dem Palästinenser und Juden volle Gleichberechtigung genießen, könnte das ja ganz konkret auf die Plakate schreiben. Andererseits scheinen einige Fans des Slogans tatsächlich nicht zu wissen, was er bedeutet, wie eine Studie des amerikanischen Politologen Ron Hassner ergab. Der ließ 250 Studenten befragen, die mit dem Spruch sympathisieren. Lediglich 47 Prozent von ihnen wussten, von welchem Fluss und Meer überhaupt die Rede ist, einige dachten an den Nil oder den Euphrat, das Tote Meer oder sogar die Karibik. Und als man ihnen auf einer Karte zeigte, dass zwischen Jordan und Mittelmeer neben einem „freien Palästina“ nicht mehr viel Platz für ein Land Israel wäre, lehnten 75 Prozent den Slogan ab.
Die Offenheit der Formulierung erschwert auch die Bestimmung, ob es sich bei ihr grundsätzlich um eine antisemitische Äußerung handelt. Keine der beiden derzeit konkurrierenden Antisemitismusdefinitionen gibt eine eindeutige Antwort. Dass die Parole in Deutschland verboten ist, geht auf eine Verfügung des Bundesinnenministeriums vom vergangenen November zurück, welche allerdings nur indirekt mit der Frage des Antisemitismus zu tun hat. Denn das Verbot gilt vor allem der Hamas als terroristische Vereinigung und schließt die Parole als eines ihrer Kennzeichen ein, wie ein Symbol oder ein Logo. Wie der Satz gemeint ist, spielt dabei gar keine Rolle. Ob die Begründung des BMI überhaupt verbindlich ist, damit haben sich im vergangenen Jahr die Gerichte beschäftigt – und kamen zu unterschiedlichen Schlüssen. Jetzt ist die Parole zwar verboten, gleichzeitig aber ihre Verwendung nicht strafbar. Nun soll der Bundesgerichtshof die Sache klären. Wenn aber die, die solche Parolen rufen, nicht einmal wissen, was sie sagen, wird es kaum helfen, wenn ihnen ein Gericht vorschreibt, was sie meinen dürfen.