Technische Analyse :
Der Ölpreis wird steigen

Von Wieland Staud
Lesezeit: 3 Min.
Russlands Einnahmen aus dem Export von Öl und Gas haben sich 2024 laut dem Kreml wieder erholt. 
Der Ölpreis hatte jede Menge Zeit und Gelegenheit, nach unten wegzubrechen. Er scheiterte daran aber immer wieder aufs Neue. Was sind die Gründe?
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Eine der Fragen, die ich mir angesichts des einen oder anderen Großereignisses stets stelle, ist, was darüber wohl dereinst in den Geschichtsbüchern dieser Welt stehen wird. Die möglichen Antworten helfen mir sehr, das aktuelle Geschehen einzuordnen: normales Weltgeschehen oder einschneidende Wegmarke. Der vergangene Montag zählt für mich ganz ohne Frage zu Letztgenanntem. Dieser dritte Montag des Jahres 2025 wird, neben vielem anderen mehr, mit Sicherheit nicht als der Tag erinnert werden, an dem die Erwärmung unseres Lebensraums gebremst oder gar final gestoppt wurde. „Drill, baby! Drill!“ steht für das glatte Gegenteil.

Es dürfte niemanden überraschen, dass unter diesen Vorzeichen der Ölpreis zuletzt zurückgekommen ist. Allein der Gedanke an eine Angebotsausweitung wird in nicht administrierten Märkten meist genau zu diesem Ergebnis führen. Deutlicher überraschender dürfte deshalb meine Prognose für die nächsten Monate sein: Der Ölpreis wird dennoch steigen.

Für die Begründung dieser Prognose muss ich ein wenig ausholen. Eine wirklich wichtige Grundregel meines Faches könnte man, frei von Investmentbankerkauderwelsch, ungefähr so zusammenfassen: Verdaddeln die Pessimisten ihre Chancen, werden andere die überschaubare Zukunft bestimmen. In einer Welt, die nur schwarz oder weiß oder Bären und Bullen kennt, werden deshalb notwendigerweise die Letztgenannten am Zug sein.

Der abgebildete Chart verdeutlicht diese Regel anschaulich: Der Ölpreis (Brent) hatte jede Menge Zeit und Gelegenheit, nach unten wegzubrechen, scheiterte daran aber immer wieder aufs Neue. Seit Anfang 2023 versuchten sich die Bären regelmäßig an der außerordentlich wichtigen Unterstützungszone zwischen 69 und 71 Dollar und kamen nicht weiter. Mit dem Beginn der Sanktionierung der russischen Schattenflotte bekamen nach zwei Jahren nun die Bullen ihre erste richtige Chance – und nutzten sie vehement.

Mittlerweile ist der Ölpreis an seinem langfristigen Abwärtstrend angekommen und von ihm abgeprallt. Durchaus verständlich wäre, wenn viele darin den Beginn einer abermaligen Trendwende nach unten sehen würden. Aber dieses Marktverhalten ist in einem Aufwärtstrend völlig normal. Nach einer für viele unerwartet dynamischen Rallye werden Spekulanten, Investoren und Händler fast immer nachdenklich werden und sich fragen, ob es wirklich gerechtfertigt ist, mit einer Zeitenwende zu rechnen. Denn genau dieses Signal ginge von einem Ausbruch über den Abwärtstrend aus. Entscheidend ist: Unter den gegebenen technischen Rahmenbedingungen werden die Marktteilnehmer in der Folgezeit meist zu dem Ergebnis kommen, dass ein „Ja“ die richtige Antwort ist.

Wilde Zeiten

Meine aktuelle Zielzone bildet der Widerstandsbereich zwischen 85 und 88 Dollar. Das mag sich nicht nach viel anhören. Von dem aktuellen Niveau aus wäre damit ein weiterer Anstieg von rund zehn Prozent verbunden, und den könnten gerade viele Verbraucher bestimmt verschmerzen. Diese Zielzone ist in meinen Augen allerdings äußerst konservativ gewählt und deshalb bestenfalls die halbe Wahrheit. Langfristig richtet sich mein Blick auf Bereiche deutlich im dreistelligen Bereich. Die fast alles entscheidende Rolle spielt dabei abermals der Abwärtstrend: Die Überwindung eines Trends seiner Klasse führt meist nicht nur zu einem Anstieg im Kleinkleckerkrambereich. Vielmehr stehen danach oft genug wilde Zeiten und ein haussierender Chart an.

Diese Einschätzung würde erst mit einer Unterbietung der Unterstützungszone zwischen 69 und 71 Dollar obsolet. Aber genau das wird man als technischer Analyst momentan nur prognostizieren dürfen, wenn man willens ist, sich mit Vorsatz am Regelwerk der technischen Analyse zu vergehen. Das aber habe ich noch nie getan, und ich müsste von allen guten Geistern verlassen sein, wenn ich ausgerechnet jetzt damit beginnen würde.

Signifikant steigende Ölpreise würde es gerade nach der Erhöhung des CO2-Preises zum Jahreswechsel schon an sich bestimmt nicht brauchen. Denkt man über mögliche Gründe nach, wird es auch nicht besser. Es könnte auch bedeuten, dass die Welt noch unruhiger wird, als sie es ohnehin schon ist. Sehen wir es am besten fürs Erste positiv: Steigende Preise führen im Regelfall schon aus rein ökonomischen Überlegungen zu einem geringeren Verbrauch. Das hilft zwar nicht an der Tanke, aber dem Klima.

Wieland Staud leitet die Staud Research GmbH in Bad Homburg.
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