Fashion Week in Paris und Mailand: Was gibt es Neues?

Mehr Show als Schau Bei den Blockbuster-Schauen in Mailand, bei Prada, Dolce & Gabbana und Gucci, sind Hunderte Gäste geladen, und Tausende warten vor der Tür. Letztere sind natürlich nicht wegen der Designer da, sondern meist wegen der Stars oder weil sie hoffen, zum Beispiel im Paillettenslip fotografiert zu werden. Der Streetstyle-Fotograf Tommy Ton hat jetzt seinen Ärger darüber auf Instagram niedergeschrieben: „Modenschauen werden wie Filmpremieren oder Konzerte gehandelt, die Tausende von kreischenden Fans anlocken oder, schlimmer noch, Menschen, die sich wie Pfaue aufführen.“ Er wisse nicht, warum ausgerechnet Mailand die Stadt für Pfauen-Treffen sei. Scott Schuman, ebenfalls Streetstyle-Fotograf, stellte via Instagram erfreut fest, dass immerhin bei Jil Sander kaum Influencer zugegen waren. Von Fachbesuchern kann bei Modenschauen wirklich keine Rede mehr sein, und trotzdem erinnern diese Beiträge an einen Text, den die einflussreiche Modekritikerin Suzy Menkes vor zehn Jahren unter dem Titel „Der Zirkus der Mode“ für die „New York Times“ schrieb. Auch sie beschwerte sich über die Pfaue vor den Eingängen, die kamen, weil auf einmal nicht mehr allein Modekritiker, Stylisten und Zeitungsfotografen mit Tickets zur Schau liefen, sondern auch immer mehr Streetstyle-Fotografen (wie Scott Schuman und Tommy Ton) vor der Schau Looks einfingen. „Als jemand, der die Punk-Ära miterlebt hat und die Vorstellungskraft, die in Outfits gegangen ist, sehe ich, wie anders die Zeiten waren, als sich die coolen Kids füreinander angezogen haben – oder nur für sich selbst“, schrieb Menkes. Aus der Mode sei ein „Zoo“ geworden, mit einem „Viehmarkt“ aus Posern, die darauf warteten, von den Fotografen auserwählt oder abgelehnt zu werden. Mal sehen, welche Influencerin sich dann in zehn Jahren über die Bedingungen bei Modenschauen beschwert, die nichts mehr mit der Welt von 2023 zu tun haben, als Designer ihnen Outfits bereitgehängt haben, ihnen die Übernachtung im Luxushotel spendierten und noch eine Gage für die Anwesenheit bei der Schau zahlten. Die Strahlkraft der Supermodels Die Kraft der Supermodels ist ungebrochen. Besonders deutlich ist das im Vergleich mit Models von heute zu erkennen: Da kann bei Versace Kendall Jenner die Schau eröffnen, seit 2018 das am besten bezahlte Model der Welt. Da kann Gigi Hadid – ebenfalls eines der bekanntesten Gesichter unserer Zeit – als Vorletzte erscheinen. Aber was sind sie schon gegen die Frau, die bei Versace die Schau schließt: Claudia Schiffer. Sie läuft durch das s-kurvige Laufstegtheater im Industriegebiet weit draußen von Mailand, als hätte sie nie etwas anderes gemacht. Am Tag darauf bei Dolce & Gabbana: Naomi Campbell. Sämtliche iPhones filmen mit. Die Supermodels fallen in eine eigene Kategorie Superstar. Sie sind Zeitzeuginnen einer längst vergangenen Mode-Ära und landen in unserer Welt, wenn ihnen gerade danach ist (wie jetzt etwa, da mit „The Super Models“ eine Doku über sie auf Apple TV+ läuft). So erstarrt auch die Menge, als Linda Evangelista bei Fendi als Gast auftaucht. Vor zwei Jahren schrieb sie über ihren Leidensweg nach verpfuschten Schönheitseingriffen. Wie sie infolgedessen ein Leben als Einsiedlerin geführt habe. Jetzt ist sie wieder da. Seit einiger Zeit modelt sie für Fendi. Samba auf dem Laufsteg Meistens ist es ja so: Die Models schreiten über den Laufsteg, hin und her, und kommen am Ende noch mal alle hintereinander raus; kurz danach zeigt sich der Designer für wenige Sekunden, um den Applaus entgegenzunehmen. Vielleicht winkt er kurz, aber das war’s auch schon. Gelacht wird wenig, gehetzt schon eher, schließlich ist ja alles Business, und das nächste Defilee wartet schon. So gesehen war der Auftritt der Designerin Gabriela Hearst bei Chloé ein echtes Highlight bei der Pariser Fashion Week. Aber von vorne. Zunächst ging alles seinen Gang: Die Models liefen auf einem offenen Laufsteg am Seine-Ufer brav hin und her. Man stellte sich drauf ein, dass es gleich vorbei sein wird, als plötzlich eine Samba-Band und weiß angezogene Tänzerinnen erschienen und die leicht unterkühlte Mode-Stimmung ordentlich aufmischten. Der Höhepunkt kam aber, als plötzlich Hearst auf den Laufsteg stürmte, wie ein Irrwisch mittanzte und damit das gesamte Publikum mitriss. Alle tanzten oder wippten mit, alle lächelten, alle hatten Spaß. So viel Leidenschaft und Power hat man selten in Paris gesehen. Leider dürfte es sich um eine einmalige Sache gehandelt haben. Denn mit der Miniparty am Ende des Defilees feierte die amerikanische Designerin leider auch ihren Abschied bei Chloé. Die Beine im Mittelpunkt Bei der Wade ist es so: Mal sieht man sie, mal nicht. Das hängt davon ab, ob eine Frau Hose trägt oder einen langen oder kurzen Rock. Sonst schenkt man ihr oft keine weitere Beachtung. Das hatte sich schon in diesem Sommer geändert. Vor, in und nach den Schauen der Pariser Fashion Week sah man überall Besucherinnen mit schwarzen Kniestrümpfen aus Nylon, eine Mischung aus Oma-Look und Puppen-Style. Nicht jedermanns Sache. Aber gewöhnen sollte man sich daran, denn auch für den nächsten Sommer haben Designer die Wade im Blick. Bei Dior (Bild) sind die Beine mit vielen schwarzen Gummischnüren versehen, auf die in halblangen Röcken mit Schlitz der Blick freigegeben wird. Givenchy präsentierte Kniestrümpfe in allen möglichen Farben, von Nude bis Orange, die man zum flatternden Glitzerrock genauso tragen kann wie zum transparenten Organza-Kleid. Und auch bei den Männern werden die Socken (die in diesem Sommer gerne mit Adiletten getragen wurden) möglicherweise abgelöst. Jedenfalls trugen die männlichen Models, die sich bei der italienischen Marke Marni unter die Frauen mischten, gestreifte Kniestrümpfe, wie einst die Fürsten im Barock unter ihren Kniebundhosen. Aber Modemut braucht man dafür schon. Good bye Barbie Vermutlich hat seit Langem kein Film mehr so sehr die Kleidung geprägt wie der Blockbuster „Barbie“ von Greta Gerwig, der mehr als eine Milliarde Dollar eingespielt hat. Sattes Pink, grelles Gelb und bunte Muster sah man nicht nur im Film, sondern in Parks, an Stränden und auf den Straßen überall auf der Welt. Millionen von Menschen schauten im Kino Margot Robbie und Ryan Gosling als Barbie und Ken dabei zu, wie sie in neonfarbenen Trainingsklamotten mit Rollerblades am Venice Beach entlangfuhren, wie Barbie morgens in ihrer pinkfarbenen dreistöckigen Villa mit Rutsche aufwachte, wie sie in ihrem rosafarbenen Cabrio gemeinsam mit Ken durch die Sonne von Kalifornien fuhr. Dass das Spiel mit der berühmtesten Puppe der Welt demnächst vorbei sein könnte und wir im nächsten Sommer möglicherweise wieder zum Alltag übergehen müssen, der nun mal selten so bonbonfarben ist wie in der Barbie-Welt, ahnte man schon, als in Mailand Ken alias Ryan Gosling die Gucci-Schau in schwarzem Blouson zu schwarzer Hose besuchte. In Paris kam nun die Bestätigung: Die Party ist vorbei. Die Farben der Kollektionen für Frühjahr und Sommer 2024 sind gedeckt und deutlich abgedunkelt. Zu sehen waren Töne von Asphaltgrau über Nachtschwarz bis zu Schlammbraun. Dekonstruierte schwarze Kleider gab es bei Dior zu sehen, wo im Kontrast dazu der Laufsteghintergrund in grellem Rosa und Gelb gehalten war, Einteiler in gedeckten Farben bei Acne Studios, ziemlich viel Beige bei Dries Van Noten (Bild), Givenchy und Gauchere. Dazu ein Hauch von Gothic und ein Anflug von Grunge. Jetzt geht es wohl von der Massen- zurück zur Subkultur. Ist das schlimm? Nein, nur ein kleines Stückchen mehr Alltag. Das neue Gucci Eins ist sicher, die Rüschenhemden mit Schluppen am Kragen für Männer wie Frauen gehören der Vergangenheit an. So wie die Blumenjacken zu Blumenhosen, die Renaissance- und Geisha- und Roboter-Elemente und auf was auch immer Alessandro Michele in seiner fast achtjährigen Amtszeit als Kreativdirektor von Gucci noch so gekommen ist. Der Neue heißt Sabato de Sarno und bringt Gucci zurück auf den Boden der modischen Tatsachen, mit Regenmänteln, schlichten Blazern, Troyern, Hoodies und Tanktops. Da mögen die Miniröcke samt eingenähten Shorts noch so kurz sein, da mag auch hier und da ein Kristallbesatz aufblitzen, das Ergebnis ist trotzdem angezogener als in der Ära Tom Ford bei Gucci (1994–2004) und weniger dekoriert als in der Ära Alessandro Michele (2015–2022). Selbst auf eine Markenfarbe lässt sich Gucci jetzt ein: Ochsenblutrot. Damit kann man nichts falsch machen. Nur: Sabato de Sarno ist für Gucci auserwählt worden, um alles richtig zu machen. Im vergangenen Jahr verdiente die Marke satte 10 Milliarden Euro für ihren Konzern Kering. Zum Vergleich: Bei Prada, ebenfalls gerade sehr erfolgreich, waren es 4,2 Milliarden. Und Kering-Konzernchef François-Henri Pinault spricht nun vollmundig von mehr als 15 Milliarden, die für Gucci schon drin sein sollten. Sabato de Sarno braucht also dringend einen Hype um sein neues Gucci. Seine erste Kollektion war hingegen unaufgeregt, solide.