Memes auf Social-Media : Wie Karen zum Klischee wurde
Während der Pandemie erlangte ein Meme im Netz traurige Aufmerksamkeit, das sinnbildlich für etwas steht, das schiefläuft in der Gesellschaft: die Figur der Karen. Man erkennt eine Karen oft am Haarschnitt: vorne etwas länger, hinten kurz, gerne mit peppiger Strähne.
Eine Karen, wie es das Meme will, ist eine weiße Frau mittleren Alters mit fragwürdigem Frisurengeschmack. Aber „Karen-ness“ macht sich vor allem am Auftreten und Verhalten erkennbar. So verlangt eine Karen nach dem Chef („I want to speak to the manager!“), um damit die bedienende Servicekraft bloßzustellen, die vermeintlich ihrem Willen nicht nachkommt.
Es wird nach unten ausgeteilt
Oder sie ruft die Polizei, um eine Person of Color im öffentlichen Raum zu schikanieren, ohne Rücksicht auf die potentiell tödlichen Konsequenzen für das Gegenüber durch Polizeigewalt. Kurzum: Karens sind Frauen, die ihre Privilegien in der bestehenden Hackordnung gegen diejenigen einsetzen, die vermeintlich unter ihnen stehen.
Das Klischee der Karen stammt aus den USA. Dort war der Name Karen im Jahr 1965 einer der beliebtesten Babynamen. Das heißt, die namensgebende Kohorte der Karens ist heute um die 60 Jahre alt. „Untere Schwelle zum Boomertum, eher noch Teil der Generation X“, sagt Apryl Williams.
Die Assistenzprofessorin für Kommunikation, Medien und digitale Studien an der Universität von Michigan ist die führende Expertin auf dem Gebiet der Karen-Memes. „Eine Karen ist eine weiße Frau, die sich ihres Privilegs nicht bewusst ist, ihrer Macht aber durchaus.“
„Die Wächterin des Status quo“
Neu ist das Phänomen nicht: „Schwarze sprechen schon seit Langem von einer ähnlichen Figur. Ich würde sagen, wahrscheinlich sogar seit einem Jahrhundert – nur unter einem anderen Namen“, berichtet Williams. Karen sei „die Wächterin des Status quo“ in einer klassistischen und rassistischen Machtstruktur. „Letztlich sehe ich Karen als eine verängstigte Frau. Sie merkt, dass sie entmachtet wird, und sie hat Angst vor dieser Entmachtung, aber anstatt sie gegen diejenigen zu richten, die in der Hierarchie ganz oben stehen, wendet sie sie gegen diejenigen, die ganz unten stehen.“
Während der Pandemie, als das gesellschaftliche Leben vor allem online stattfand, gingen einige Videos viral, in denen mittelalte weiße Frauen zu sehen waren, die People of Color grundlos die Polizei auf den Hals hetzten, sie mit Waffen bedrohten oder lautstark gegen das Maskentragen zeterten. „Es gab so etwas wie einen Sättigungspunkt, an dem die Figur der Karen überall präsent war“, sagt Williams.
„Besonders zu dieser Zeit war es unangenehm, diesen Namen zu tragen“, sagt die Künstlerin und Modedesignerin Karen Jessen. Als blonde Friesin ist sie es gewohnt, dass Witze auf ihre Kosten gemacht werden, „aber diese rassistische Assoziation mit dem eigenen Namen hat eine andere Qualität“. Amerikaner rieten ihr sogar, ihren Namen zu ändern. „Aber ich mag meinen Namen eigentlich.“
Distanzierung von der Klischee-Karen
Mit ihren Kreationen an der Grenze zwischen Kunst und Mode will Karen Jessen ein Zeichen setzen. „Die Modebranche ist weit entfernt von nachhaltigen Praktiken, und das System funktioniert weder für die Menschen, die darin arbeiten, noch für den Planeten.“ Sie setzt deshalb auf Upcycling, nachhaltige Materialien und Slow Fashion. „Durch meine Kunst, die sich gegen den Status quo der Modeindustrie richtet, drücke ich aus, dass ich mit der Klischee-Karen nichts gemein habe.“
Und wie ging es mit der Karen nach der Pandemie weiter? Seither seien die Nachrichten über die Karens „immer seltener“ geworden, sagt Apryl Williams. Sie habe deutlich weniger Interviewanfragen zu dem Thema bekommen. Bis es im vergangenen Jahr wieder losging: „Die Figur hat ein internationaleres Publikum gefunden, das in der Karen ein Symbol für das Ausnutzen von Privilegien und Macht sieht.“
Vereinfachte Narrative werden durch Klischees vermittelt
Lisa Bogerts ist Mitglied des Instituts für Protest- und Bewegungsforschung in Berlin und beschäftigt sich mit dem Einsatz von Memes im rechten Raum. Der Begriff Meme wurde vom Evolutionsbiologen Richard Dawkins geprägt. „Er beschreibt die Weitergabe und -entwicklung von Informationsschnipseln durch Kommunikation“, sagt sie.
Memes gehören zur Netzkultur. Sie haben meist eine spöttische Note und vermitteln schnell einfache Sachverhalte. „Oft bedienen sie Klischees“, sagt Lisa Bogerts, weshalb sie sich auch leicht für vereinfachte Narrative nutzen lassen. „Rechte Narrative sind oft weniger komplex als pro-demokratische.“ So eignen Memes sich auch gut für die schnelle Kommunikation von unterkomplexen Ideen und Weltbildern.
„Das Meme der Karen ist in gewisser Weise eine Ausnahme.“ Es kommt nicht von rechts, sondern von Black Twitter, also dem Netzwerk der schwarzen Diaspora, und ist somit eine Bewältigungsstrategie marginalisierter Menschen. Im deutschen Kontext gibt es keine Eins-zu-eins-Entsprechung zum Meme der Karen, „am nächsten kommen ihm vielleicht die Alman-Memes, zum Beispiel zu Alman-Armin oder Alman-Annika“, sagt Bogerts. Mit dem Wort Alman, das aus dem Türkischen stammt, macht man sich über typisch deutsche Verhaltensmuster lustig: Sparsamkeit, Spießigkeit, Spaßbremserei – aber auch Alltagsrassismus.
Aufklärung durch Memes?
Dabei geht es nicht nur darum, etwas lächerlich zu machen. Schaut man Alman-Memes an und fühlt sich ertappt, hat das womöglich einen aufklärerischen Effekt. „Diese Kategorien machen Gruppen, die bis dato als Norm verstanden wurden, bespottbar, und ermöglichen es, dass sie ihre Privilegien checken können“, sagt Bogerts.
Auf Instagram hat ein Post eines Meme-Accounts Zehntausende Likes bekommen, der die Geschichte umdreht. Auf dem Plakat einer mittelalten Frau ist „Karens against Police Brutality“ zu lesen und „I'd like to speak to the Manager of Systemic Racism, please“. Apryl Williams lacht darüber: „Eine Karen, die sich für einen positiven Systemwandel einsetzt, ist streng genommen keine Karen mehr.“
„Als Gegenentwurf einer Karen könnte man die ,Childless Cat Lady' nennen“, sagt Williams. JD Vance hat den Begriff im amerikanischen Wahlkampf verwendet, um Menschen ohne Nachwuchs eine Teilhabe an der Zukunft des Landes abzusprechen. Es ist ein sexistisches Narrativ, das sich in die Zeit der Hexenverbrennungen zurückverfolgen lässt.
Schnell entglitt ihm der Begriff aber, als Frauen sich selbst als „Childless Cat Lady“ bezeichneten und das Bild der kinderlosen Katzenfrau positiv besetzten. Auch die Figur der Karen kann mobilisieren. Nach dem Motto: Wenn sogar Karens aktiv werden können, dann kann ich das auch. Die Designerin Karen Jessen jedenfalls mag die Idee, dass man als Karen seine relative Macht einsetzen kann. „Ich war bisher einfach nur wütend, dass mir mein Name so leidig gemacht wurde. Aber man kann diese Wut ja auch für Wandel nutzen.“