„Du musst bekloppt sein“

Von JÖRG THOMANN
Foto: Affonso Gavinha

10.01.2018 · Seit mehr als zwei Jahrzehnten zählt der Bayer Michael Mittermeier zu Deutschlands erfolgreichsten Comedians. Hier buchstabiert er seine Welt durch.

A rschlochkind. Ein Begriff, den ich kreiert habe, eigentlich mag ich das sehr gerne. Es gibt einfach Menschen, die sind ab der Kindheit Arschlöcher. Natürlich kommt die Erziehung hinzu: Mit Arschlocheltern hast du es nicht so einfach, ein Netter zu werden. Ein Arschlochkind ist eines, das am Sandkasten wirklich keiner haben will, weil es jeden schlägt und jedem was wegnimmt. Das Lustige ist: Als ich mir den Begriff ausgedacht habe, habe ich an ein bestimmtes Kind gedacht. Dessen Eltern sahen irgendwann die Show und sagten hinterher zu mir: Wir kennen das, Freunde von uns haben so ein Arschlochkind. Da musste ich sehr grinsen.

B ayern München. Mein Lieblingsverein. Das sage ich gern, und ich sage es laut. Oft heißt es ja: Ihr seid die Teilzeit-Fans, die Luxus-Fans. Das bin ich nicht. Ich bin als kleiner Junge im Olympiastadion gestanden, habe Rummenigge spielen sehen, die Hoeneß-Brüder, Beckenbauer, Müller, all diese Leute. Du vergibst dein Herz für einen Fußballverein nur einmal. Ob das langweilig ist, dass wir dauernd gewinnen? Wir langweilen uns halt auf einer anderen Ebene als die anderen. Es ist nicht so, dass die Bayern immer die Allerbesten sind – es ist nur so, dass alle anderen irgendwann aufgeben.

C annabis. Immerhin muss man, wenn man heute das Wort ausspricht, nicht mehr um sich gucken. Gut, am Münchner Flughafen würde ich nicht laut über Cannabis sprechen. Ich habe viele schöne Nummern darüber gemacht. Übrigens war ich heuer in Oman und habe an meinem ersten Weihrauchbaum geschnüffelt: Das Zeug ist so unfassbar intensiv, dass es dich echt auf eine Art und Weise high macht. Und es ist gesund, weil’s ja heilig ist. Du kannst dich mit Weihrauch auch mumifizieren, das wusste ich vorher nicht. Für mich war es einfach das Zeug, das die Katholiken vorne schwenken und das quasi die Einstiegsdroge für Cannabis ist.

D orfen. Da bin ich geboren und aufgewachsen. Ich hatte eine schöne Jugend und habe dort viel erlebt, was mich geprägt hat. Es war damals natürlich eine – in Anführungszeichen – kleinere Welt. Aber auch heute, wo ich mehr über Grenzen gehe, gucke ich mit den Wurzeln meiner Heimat, was auch gut ist. Ich brauche die Mischung.

Wie wird man eigentlich... Comedian Video: F.A.Z.

E hrgeiz. Dazu habe ich eine ganz klare Schizophrenie. Ich bin extrem ehrgeizig bis manisch darin, das Beste zu machen, was ich kann. Ich möchte, dass mein neues Programm „Lucky Punch“ noch besser wird als das letzte. Nicht wirklich ehrgeizig bin ich, was Ruhm und Erfolg angeht. Das klingt blöd, ist aber so. Ich habe nie eine regelmäßige Fernsehsendung gemacht. Stattdessen bin ich am Höhepunkt meiner Karriere nach Amerika gegangen und habe auf Open-Mic-Bühnen gespielt – einfach, um zu sehen, ob es auf Englisch funktioniert. Nach sechs Monaten bin ich dann wieder heimgefahren, weil ich wusste, es geht.

F unny bones. Hast du oder nicht. Funny bones kannst du nicht erlernen. Das ist in dem gleichnamigen Film mit Jerry Lewis sehr gut beschrieben. Es gibt eine Szene, in der erst der alte Star auf die Bühne geht, und danach kommt sein Sohn, der nicht weiß, dass er all die Jokes schon gemacht hat – und er stirbt quasi auf der Bühne. Diese Szene finde ich brutaler, als wenn du „Hostel“ 1 bis 3 anschaust. In Deutschland gibt es Leute, die gut funktionieren, aber sie sind Arbeiter, sie werden nie funny bones haben. Jerry Lewis, der leider gerade gestorben ist, war der Großmeister der funny bones, bei ihm waren selbst die Knochen im kleinen Zeh lustig. Für mich war Jerry Lewis der erste Mensch, der mich professionell zum Lachen gebracht hat. Es war toll, ihn kennenzulernen und mit ihm eine Show zu seinem Achtzigsten zu machen. Das war eines der größten Erlebnisse in meinem Leben.

G ürtellinie. Ist so ein deutscher Ausdruck, der von irgendwem erfunden wurde. Waren’s Katholiken, war’s das deutsche Feuilleton, war’s das Kabarett? Ich finde, es ist ein sehr dummer Begriff. Die Gürtellinie, das ist ein konstruierter Ausdruck, um Dinge schlechtzumachen. In Amerika oder England interessiert das keine Sau.

H altung. Eines der wichtigsten Dinge im Leben. Und zwar eine generelle Haltung – zur Welt, zur Gesellschaft, zur Politik, zur Menschheit. Ich bin nie verletzend, ich stoße nie nach unten; wenn, dann stoße ich nach oben. Comedy-Nummern ohne Haltung sind meistens ziemliche Kopfgeburten.

Ein echtes Urgestein: Seinen Durchbruch als Stand-up-Comedian erlebte Michael Mittermeier 1996 mit dem Programm „Zapped“. Foto: dpa

I rrtümer. Das ist für mich kein wichtiges Wort. Was andere als Irrtum bezeichnen würden, war für mich in dem Moment genau der Weg, den ich gehen wollte: kein Irrtum, sondern eher eine Abzweigung. Jeder von uns macht mal Fehler, eine Nummer, die nicht so passt, einen Joke, der nicht funktioniert – aber das ist auch gut so. Sonst wären wir ja alle Gott. Und ich glaube, da wäre er ziemlich sauer – denn wir dürfen ja keine anderen Götter haben neben ihm.

J esus. Nach Jesus ist in der Kirche nicht mehr viel Gutes gesagt worden. Jesus hat die Essenz aller Essenzen formuliert, die ist komplett religionsfrei: Liebe deinen Nächsten, tu niemandem das an, was du nicht willst, dass man es dir antut. That’s it. Keine Zehn Gebote, das braucht kein Mensch. Nach dieser Maxime versuche ich zu leben, das versuche ich meinem Kind beizubringen.

K atzenhitler. Steht stellvertretend dafür, dass – egal, was du machst – du immer von irgendjemandem beschimpft wirst. Ich hatte eine lustige, jahrealte Nummer über eine Katze bei „Wetten, dass..?“ gebracht, damals noch mit 15 Millionen Zuschauern. Plötzlich meldeten sich ganz viele Tierliebhaber, die darin eine Aufforderung zur Tierquälerei sahen, und es wurde wirklich wüst, die Beschimpfungen, die Drohungen. Es war keine große Gruppe, aber ein paar tausend Wahnsinnige, die sich entschlossen hatten, einen Kreuzzug zu machen. Dann kam eine zweite Welle von Leuten, die gesagt haben: Ich habe selbst eine Katze, aber ich bin nicht blöd, ich versteh Humor. In einem Interview mit der „Bild“-Zeitung habe ich schließlich gesagt: Entschuldigung, ich bin hier doch nicht der Katzenhitler. Das war mein Fehler. So einen Satz darfst du nicht sagen. Das war in der „Bild“-Zeitung dann die Headline. Ich habe damals viel darüber gelernt, wie die Mechanismen funktionieren.

L ausbub. Sollte man sich behalten: Lausbub, Lausemädel. Wobei Lausemädel einen negativen Touch hat, Lausbub ist immer positiv. Ich mag ganz gern, dass der bei mir immer noch da ist. Er hilft mir auch beim Nummernschreiben, weil er ganz ungefiltert und naiv Dinge anguckt.

N atzis. (Anm. der Red.: Im Sommer 2016 beklagte sich der Comedian Mario Barth bei Facebook darüber, dass man angeblich nicht mehr seine Meinung sagen dürfe, weil man sofort als – sic. – „Natzi“ gelte. Mittermeier warf ihm daraufhin „billige Stimmungsmache“ und „nebulösen Populismus“ vor.) Über das Thema wurde alles gesagt. Es ist eine Frage von Haltung. Ich habe meine Haltung gezeigt, man kann das nachlesen. Kollegen haben hinterher zu mir gesagt: gut gemacht. Aber keiner sagt es öffentlich.

O ld Shatterhand. Wollte ich mal werden. Als Jugendlicher hatte ich, ich glaube, von meiner Mama, eine braune Lederjacke mit Fransen, das war meine Old-Shatterhand-Jacke. Er hat mich, als ich angefangen habe, Karl May zu lesen, auf Reisen mitgenommen, er hat mich in diese Welten getragen, und ich habe darin gelebt.

P ausen. Kann ich mittlerweile etwas besser einhalten. Wenn ich’s mir verordne, kann ich auch mal wie im Sommer in Südfrankreich zwei Wochen lang nichts tun. Ich sollte mir mal wieder eine lange Pause gönnen.

Foto: Olaf Heine

Q uatsch Comedy Club. War für die deutsche Stand-up-Comedy ein Meilenstein – aber auch für uns Comedians persönlich. Es war für uns eine Heimat und ein Ort, wo eben nicht diskutiert wurde über Gürtellinien oder darüber, ob ein Witz politisch ist – sondern nur darüber, ob du lustig bist oder nicht. Damals, ab 1992 bis zum Ende der Neunziger, wurde für uns Stand-up zum Rock’n’Roll. Mit einigen der Comedians bin ich immer noch gut befreundet.

R eif und bekloppt. Ich bin sehr stolz darauf, den Prix Pantheon „Reif und bekloppt“ bekommen zu haben. Und das im zarten Alter von 51. Ich glaube, man muss etwas bekloppt sein, um das Ganze so durchzuziehen, wie ich es getan habe. Auf eine Art und Weise bin ich natürlich auch reif, weil ich viel gelernt habe.

S omersault. Der frühere Künstlername meiner Frau. Meine größte Liebe, seit 27 Jahren, und außerdem die Mutter meines Kindes. Ich bin wirklich stolz, dass wir eine tolle Beziehung führen, die viel Licht und viel Dunkel hatte. Sie ist einfach die tollste Frau, und ich denke, ohne sie wären wir nicht mehr zusammen. Ich schätze sie auch sehr als Künstlerin. Sie produziert jetzt ihre zweite bayerische Platte, das ist wirklich ganz großartig. Sie ist da so wie ich: Sie macht, was sie will, und es ist ihr völlig egal, welchen Erfolg es hat.

T innitus. Der kommt ab und zu und sagt: Pass auf, du bist schon wieder über der Grenze. Das erkennt man manchmal und manchmal nicht. Ich habe das Glück gehabt, das homöopathisch – tatsächlich! – irgendwie in den Griff zu kriegen. Es kam durch einen Hörsturz, zugezogen beim AC/DC-Konzert im Circus Krone, der damals für AC/DC definitiv zu klein war. Da hat’s uns die Ohren runtergehauen.

U 2. War immer meine Lieblingsband und wird es immer bleiben. Das ist wie mit dem Fußballverein: Einmal FC U2, immer FC U2. Ich habe die Jungs gerade erst auf ihrer „Joshua Tree“-Tour in Rom besucht, und es war ganz toll, dreißig Jahre nach diesem komischen Auftritt in München mit Bono Whisky zu trinken und zu sagen: Schon schräg, dass wir uns kennen.

V eganer. Ich finde, dass das ganze Thema viel zu billig und klischeehaft behandelt wird. Zu viele Comedians machen zu viele schlechte Nummern darüber. Die Welt kann was lernen von Menschen, die mit den Ressourcen umgehen, die da sind. Das ist die gute Seite des Ganzen: Wenn dich einer vegan an die Wand kochen kann, dann ist das Kunst. Ich finde es nur schade, dass das Thema durch ein paar missionarische Vollidioten versaut wird.

W eiterbildung. Ich bin auf ewiger Weiterbildung. Das ist einer der Gründe, warum ich ins Ausland gegangen bin. Englisch, das ist die Ursprache der Comedy, und du lernst niemals so viel wie dann, wenn du komplett deine Deckung aufmachen musst. In der Komfortzone gibt es keine Weiterbildung. Wenn du nachts um zwei in Schottland auf einer Bühne stehst und hundert der dreihundert Besucher besoffen sind: Das ist ein Trainingscamp.

X avier Naidoo. Ein guter Freund, ein toller Mensch, der viele tolle Dinge in seinem Leben gemacht hat. Was ich sehr traurig finde: Dass mittlerweile kein Journalist auch nur ansatzweise recherchiert, bevor er über ihn etwas schreibt. „Der bekennende Homophobe“ oder „der bekennende Reichsbürger“ – das stimmt nicht. Er hat sich davon distanziert, da gibt es Videos davon. Jahrelang sind wir zusammen mit „Alive and Swingin’“ herumgefahren, hatten mit Thomas Hermanns einen schwulen Regisseur – und dann heißt es „der bekennende Homophobe“? Humbug.

Y outube. Fluch und Segen zugleich. Auf der einen Seite kann ich mir Clips anschauen von jedem Comedian dieser Welt – die Jungen können endlich mit Qualitäts-Comedians aufwachsen, ohne dass sie sich strecken müssen. Wir mussten noch Videos bestellen, die dann nach drei Monaten per Post kamen. Andererseits ist es schade, dass mancher einfach eine ganze Show von dir, mit der du dir viel Mühe gegeben hast, auf Youtube stellt, in schlechter Qualität.

Z arganar. Ein großer Mann. Einer der mutigsten Comedians, der in Burma im Gefängnis saß und später freikam. Eines der meistgefürchteten Dinge in einer Diktatur ist Humor – Satire weicht die Autorität auf. Als ich 2010 eine Dokumentation über ihn machte, habe ich viel gelernt. Es gab einen Punkt, an dem unser Team nicht mehr wusste, wie wir heimkommen, bei einer Autoverfolgungsjagd, als Menschen mit Maschinengewehren hinter uns herfuhren. Dass Zarganar schließlich rauskam, wozu wir einen Teil beigetragen haben, hat gezeigt, dass alles geht. Immer nur auf die Bühne zu gehen und zu reden, das reicht nicht: Du musst auch etwas tun im Leben.

Michael Mittermeier

Geboren 1966 im oberbayerischen Dorfen.
Bei einem U2-Konzert holte ihn 1987 Bono aus dem Publikum auf die Bühne, wo Mittermeier mit der Band Gitarre spielen durfte – ein Initiationserlebnis.
Als Stand-up-Comedian erlebte er den Durchbruch 1996 mit dem Programm „Zapped“.
Seine langjährige Freundin Gudrun, die erst als Somersault und nun unter ihrem echten Namen Musik macht, heiratete Mittermeier 1998. Tochter Lily, die ihn zur Bühnenshow und zum Buch „Achtung Baby!“ inspirierte, wurde 2008 geboren.
Anfang Februar geht er mit dem neuen Programm „Lucky Punch“ auf Tour, bis dahin tritt er mit der Vorgängershow „Wild“ auf. Termine unter www.mittermeier.de

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