Kommentar : Das Kreuz im Film
An diesem Donnerstag läuft in den deutschen Kinos der Film Mel Gibsons an, der seit einem Jahr die Kritik in zwei Lager teilt. "Die Passion Christi" ist amerikanisches Kino im besten Sinn und doch kein schematisches Hollywood-Produkt.
An diesem Donnerstag läuft in den deutschen Kinos der Film Mel Gibsons an, der seit einem Jahr die Kritik in zwei Lager teilt. "Die Passion Christi" ist amerikanisches Kino im besten Sinn und doch kein schematisches Hollywood-Produkt. Als Regisseur hat Mel Gibson in der Wirklichkeit die Rolle übernommen, die er sonst, in "Braveheart" oder in "Der Patriot", nur darstellte: die Rolle des Einzelkämpfers, der seiner Bestimmung folgt und sich selbst von härtestem Widerstand nicht entmutigen läßt. Abseits vom üblichen Betrieb hat er sich seine Darsteller gesucht und unverbrauchte Gesichter gefunden. Schon diese Entscheidung war für die Schönheit und den Erfolg des Films entscheidend. Meryl Streep als Jungfrau Maria, Nicole Kidman als Maria Magdalena, Robert Redford als Pontius Pilatus - kein Mensch hätte dies im Ernst ausgehalten. Nun aber ist jede Szene eine Entdeckung.
Die Besetzung mit Unbekannten war das erste Risiko, das Mel Gibson einging. Ein zweites war die Entscheidung, den Film zu untertiteln und durchweg Latein und Aramäisch sprechen zu lassen. Es hat sich gelohnt. Die eigentümliche Verfremdung hilft dem Film, sie nimmt ihm etwas von dem Süßlichen, dem sich die Musik an manchen Stellen gefährlich nähert. Für europäische Sensibilitäten mögen Pasolinis Verfilmung des Matthäus-Evangeliums in ihrem strengen Armuts-Realismus oder Godards Verkündigungsfilm "Je vous salue, Marie", der ganz auf die marianischen Themen von Licht, Schönheit und Unschuld gestimmt war, näherliegen. Dennoch: "Die Passion Christi" ist ein bedeutender Film, nicht nur ein Zeitereignis.
Das Publikum hat, jedenfalls in den Vereinigten Staaten, an der Kinokasse abgestimmt und sich von der Kritik nicht beeindrucken lassen. Aber selbst der Erfolg wird nun dem Regisseur zum Vorwurf gemacht, nachdem man im vergangenen Jahr noch schadenfroh registriert hatte, daß die Verleihfirma "Fox" aus dem Vertrag ausgestiegen war und es für einen Moment scheinen konnte, als werde der Film niemals in die Kinos kommen. Von Anfang an waren die Widerstände gegen diesen Film massiv. Sie reichten vom Vorwurf des Antisemitismus über Gewaltverherrlichung bis zu theologischen Einwänden gegen die weithin buchstäbliche Orientierung an den Evangelien. Und sie waren nicht nur von der Natur des zwanglosen Arguments. In Frankreich hat sich ein Verleiher erst vor zwei Wochen gefunden.
Fördert der Film den Antisemitismus, wie man behauptet hat? Gewiß, die Hohepriester erscheinen im Film wie in den Evangelien als ein verhetztes Kollegium. Aber die Leidensgeschichte Christi erfüllt ihren Sinn nicht in der Anklage einer Gruppe. Das Wort "Jude" wird in dem Film einmal als Schimpfwort gebraucht, von einem gemeinen, quälenden römischen Soldaten gegenüber Simon, der Jesus beim Tragen des Kreuzes hilft. So hat sich Mel Gibson von einer Haß-Rhetorik abgegrenzt. Johannes Paul II. jedenfalls hält diese Distanzierung für glaubwürdig. Zwar gab es, nachdem der Papst den Film gesehen hatte, über die ihm zugeschriebene Aussage "Es ist, wie es war" einige Verwirrung. Aber der Vatikan hat, ohne eine offizielle Stellungnahme abzugeben, doch eine gewisse Sympathie für Gibsons umstrittenen Film erkennen lassen. Und es führt kein Weg an der Einsicht vorbei, daß die Kritik an dem Film, soweit sie die Darstellung der Hohepriester betrifft, sich auch gegen die Evangelien selbst zu richten hätte. Diese Konsequenz hat dann auch Daniel Goldhagen in seinem jüngsten Buch über die Verstrickungen Pius' XII. in die Kriegsereignisse gezogen, als er forderte, künftig bestimmte Stellen des Neuen Testaments zu revidieren.
Und die übermäßige Darstellung der Gewalt? Tatsächlich hat Gibson die Qualen der Geißelung und später der Kreuzigung so dargestellt, wie es dem Film heute möglich ist; er wendet den Kamerablick nicht ab. Man sollte "Die Passion Christi" nicht mit Kindern ansehen, die Festsetzung der Altersgrenze auf sechzehn Jahre ist vernünftig. Aber vielleicht reagierte der Regisseur, als er das furchtbarste Leid darstellte, nur auf eine Tendenz der Gegenwart, die Herausforderung des Kreuzes zu mildern. Denn mancher, auch in der Kirche, will den Anblick des toten Christus den Menschen nicht mehr zumuten.
Die Hamburger Bischöfin Maria Jepsen äußerte 1996, daß man am Zeichen des Kreuzes selbst durchaus festhalten könne - wenn man es "sanfter" mache: Statt des Gefolterten könne man auf dem Querbalken spielende Kinder zeigen. Es ist diese Theologie, der die Menschen davonlaufen, und man wird vermuten können, daß sich manche unter ihnen von Gibsons Film, diesseits aller Subtilitäten der Auslegung, eher angesprochen fühlen.
Für manche wird die eigentliche Überraschung darin liegen, daß ein kompromißlos christlicher Film beim heutigen Publikum ankommt. Das ist es, was die zumeist säkular-liberalen Kritiker irritiert, irritieren muß. Denn der Normalfall in der Kulturindustrie war über lange Jahre der, bei christlichen Gehalten reflexhaft die Löschtaste zu drücken. Als man vor einem Jahr plante, den Roman "Wiedersehen mit Brideshead" des Katholiken Evelyn Waugh zu verfilmen - einen Roman, der von nichts anderem handelt als von einer Konversion -, bemerkte der Regisseur, er wolle auf das überflüssige katholische Beiwerk verzichten. Ein solcher Automatismus wird vom Publikum inzwischen offenkundig weniger akzeptiert.
Gibson spielt seinen Heroismus als Regisseur aus. Aber er spielt die Rolle anders als Schwarzenegger. Dieser nämlich gehorchte den Geboten der Postmoderne, er war der selbstironische Held, übertrieben muskulös bis zur Lächerlichkeit, aber mit einem Augenzwinkern gab er immer zu verstehen, daß es so ernst nun doch nicht gemeint sei. Gibson meint es ernst. Das ist neu, und es gefällt nicht jedem.