Lando Norris verpasst Sieg in Formel 1: „Ich hätte gewinnen müssen“

Max Verstappen atmete sichtbar erleichtert auf. „Es war sehr eng, wir mussten eine aggressive Strategie wählen“, sagte der Niederländer nach seinem siebten Sieg im zehnten Formel-1-Rennen der Saison und wischte sich den Schweiß aus der Stirn. Triumphe setzen inzwischen harte Arbeit voraus beim Weltmeister. Im Red Bull gewann er am Sonntag in Barcelona knapp vor Lando Norris (McLaren) und Lewis Hamilton im Mercedes: „Wir konnten uns keinen Fehler leisten, ich musste Gas geben.“ Das hat sich gelohnt. In der Fahrerwertung vergrößerte er seinen Vorsprung auf 69 Punkte vor Norris. Der erkannte, was sich geändert hat in der Szene. Es geht nicht mehr um Glück: „Ich hätte gewinnen müssen.“ Verdichtung der Leistungselite Barcelona wurde wieder zur Pilgerstätte. Kein Platz blieb frei am Sonntag, angeblich 100.000 Zuschauer. Obwohl die Rennstrecke, so schön geschwungen sie über Berg und Tal führen mag, nicht viele spannende Formel-1-Geschichten zu erzählen hat, eher Prozessionen bietet. Wenig Überholmanöver, Sieger kamen in den vergangenen sieben Jahren bestenfalls aus der zweiten Startreihe, wie Verstappen am Sonntag. Und so beginnt das zehnte Kapitel der Formel-1-Saison 2024 mit einer Wiederholung. Schon wieder der Weltmeister ganz vorne. Schon wieder souverän. Und doch braut sich dahinter etwas zusammen. Was sich seit Wochen abzeichnet, bot das Rennen von der ersten Runde an. Ein aufregende Verdichtung der Leistungselite. McLaren, Mercedes, Ferrari tauchten zuletzt immer wieder in Schlagdistanz auf, überholten Red Bull, selbst den Boliden mit dem besonderen Steuermann Verstappen im Cockpit. Und schaffen es dann doch nicht, den Champion hinter sich zu lassen. Weil der Niederländer die Annäherung der Konkurrenz geschickt zu nutzen weiß. Russell schießt vor Ein Mercedes vorne? Das deutet sich schon in Kanada an vor zwei Wochen, als George Russell auf die Pole Position stürmte. Vor den Toren von Barcelona schoss der Engländer nach dem Start am Ende der Geraden auf der Außenbahn an Verstappen und Norris vorbei in Führung. Sauber 550 Meter die Beschleunigung aus dem Stand nutzend, schlängelte sich Russell durch das Gewühl vor der ersten Kurve. Sein Landsmann Norris, am Samstag um 0,02 Sekunden Schnellster im Qualifikationstraining, büßte für diesen marginalen Vorsprung. Nichts ist hilfreicher als Windschatten für Piloten in den so windanfälligen Boliden. Vorausgesetzt, die Autos sind halbwegs gleich schnell. In Spanien sprachen Teamchefs wie Toto Wolff (Mercedes) von Nuancen. Mitunter soll es nur noch am Reifendruck, an den Temperaturen liegen. Ein, zwei Grad Celsius mehr oder weniger als leistungsbestimmender Faktor? Verstappen ließ diese Einschätzung ein bisschen wie heiße Luft aussehen. Russells Vorsprung saugte er auf. Das Überholmanöver hinein in die Führung zählte zu den leichtesten. Und er zog davon, auf zwei, drei, vier, fünf Sekunden. Nichts zu machen für die Silberpfeil-Fraktion, schon gar nicht für Ferrari. Sie trugen dennoch zur Unterhaltung bei. Spannung in der Luft Mit harten Attacken untereinander, mit Rad-an-Rad-Duellen zwischen Hamilton und Sainz. Auch Nico Hülkenberg, wieder Elfter, trug dazu bei, als er Fernando Alonso (Aston Martin) hinter sich ließ. Hier und da touchieren sich am Sonntag die Boliden, Fahrer klagen, die Rennleitung schweigt klug. Nichts passiert, außer Sport. Und deshalb Spannung in der Luft. Weil McLaren und Norris auf Sieg setzten mit einer anderen Strategie. Lange draußen bleiben, lange fahren, um den Serien-Weltmeister im letzten Drittel über den Umweg Boxenstopp überholen zu können. Eine schwierige Kalkulation, nervenzerreißend. Denn Norris scheint den Anschluss zu verlieren, Sekunde um Sekunde. Als er nach seinem ersten Boxenstopp in der 24. Runde zurückkehrt, Verstappen war in der 19. zum Service gekommen, sind es gut elf. Aber nichts ist gelaufen. Norris saust heran, zieht an Hamilton vorbei, kämpft mit Russell. Haarscharf, keinen Zentimeter verschenkend. Norris gewinnt. „Gib Gas, da kommt jemand“ Er sitzt nicht nur im Hinterkopf von Verstappen: sieben Sekunden nur noch und zwanzig Touren zu drehen. Das ist der Moment für das Weltmeisterteam, die letzte Karte zu ziehen. Boxenstopp in der 45. für Verstappen, wieder raus mit neuen Pneus. Vollgas. Und dabei fliehend warten. Eine interessante Konstellation: Warten auf Norris. Der muss noch einmal abbiegen. Jetzt kommt die „entscheidende“ Phase, ruft ihm sein Renningenieur zu. Drei Runden nach Verstappen wechselt er ein zweites Mal. 3,8 Sekunden brauchen die Mechaniker für den Reifentausch. Viel zu lang. 1,9 wird für Red Bull notiert. Das Weltmeisterteam ist auch neben der Strecke fix. Verstappen übernimmt wieder die Führung. Wenn auch gejagt von Norris. Der knabbert nicht nur, er reißt größere Stück raus. Verstappen erhält freie Fahrt, muss keine Rücksicht mehr nehmen auf seine Reifen. Anders gesagt: „Gib Gas, da kommt jemand, der es schaffen kann.“ Nicht Mercedes mit dem inzwischen an Russell leicht vorbeigesausten Rekord-Weltmeister Hamilton, nicht Ferrari, wenn auch nur knapp hinter den Silberpfeilen mit Charles Leclerc (5.) und Carlos Sainz (6.). Es ist der Wieder-Aufsteiger McLaren, der 2,2 Sekunden nach Verstappen ins Ziel kommt. Ein paar Runden länger nur, und er hätte es geschafft? Norris lächelt. Er weiß, wann er das Rennen verloren hat. Am Start.