„Ethno will ich nicht“

PETER-PHILIPP SCHMITT (Text), SEBASTIAN HERKNER (Fotos)
Das Muster der handgewebten Teppiche erinnert an Säcke, in denen die Bauern in Kolumbien ihre Kartoffeln transportieren. Die Teppiche, die im Mittelstück verlängert sind und somit wie übereinander gelegt wirken, werden in einem kleinen Familienbetrieb in der Stadt Nobsa nordöstlich von Bogotá gefertigt.

29.09.2018 · Sebastian Herkner über altes Handwerk, seine Reisen um die Welt zu kleinen Manufakturen und seine Versuche als Modemacher

Herr Herkner, Sie haben Industriedesign an der Hochschule für Gestaltung in Offenbach studiert, setzen aber besonders auftraditionelles Handwerk. Woher kommt Ihre Faszination dafür?
Wir sind als Kinder viel mit unseren Eltern durch Europa gereist, haben mal die Handschuhstadt Millau, mal die Nougatstadt Montélimar in Frankreich besucht - Städte, die bekannt für altes Handwerk sind. So fing es an.

In Hongkong: Sebastian Herkner mit Schaukelstuhl Mbrace

Gibt es in Ihrer Familie Handwerker?
Mein Großvater war eigentlich Schuster, hat aber nach dem Krieg als Briefträger gearbeitet.

Welchen Einfluss hatte die Hochschule hier in Offenbach?
Zunächst einmal ist Offenbach ja die deutsche Lederstadt. Davon ist aber fast nichts mehr übrig außer dem Ledermuseum. So habe ich mich schon als Student gefragt: Wie kann es sein, dass so ein altes Handwerk keine Wertschätzung mehr genießt und ausstirbt?

Und die Hochschule selbst?
Nach dem Grundstudium hatte ich mich auf Möbel spezialisiert. Als ich dann 2009 zur Plattform für Nachwuchsdesigner in Mailand, dem Salone Satellite, eingeladen wurde, stellte sich die Frage: Was zeige ich? Ich entschied mich für den Tisch Bell, auch weil ich einen perfekten Prototypen präsentieren wollte, ohne große Kosten zu haben. Das funktioniert nur übers Handwerk.


Wie kann es sein, dass so ein altes Handwerk keine Wertschätzung mehr genießt und ausstirbt?
SEBASTIAN HERKNER

Der Tisch besteht aus mundgeblasenem Glas.
Genau. Und er hat ein Oberteil aus gedrücktem Metall. Zwei alte Handwerke, bei denen die Werkzeugkosten für mich überschaubar waren. Außerdem hat der Metalldrücker Jürgen Cloos seine Werkstatt ganz in der Nähe, in Bad Vilbel. Bis ich eine Glasbläserei gefunden hatte, die den Glasfuß des Tisches herstellen kann, dauerte es ein paar Wochen. Schließlich fand ich die Glasmanufaktur von Poschinger in Frauenau im Bayerischen Wald, die älteste der Welt, die noch in Familienbesitz ist. Sie wurde 1568 gegründet, sprich vor 450 Jahren.

Handwerk scheint auch bei anderen Industriedesignern wieder mehr Wertschätzung zu finden.
Das denke ich auch. Als ich studiert habe, ging es vor allem um neue Materialien aus Kunststoff und neue Technologien. Das hat mich nie sonderlich interessiert, auch wenn ich natürlich neue Technologien einsetze, 3D-Drucker beim Modellbau zum Beispiel. Nur steht es nicht so im Vordergrund. Mit meiner Idee, altes Handwerk wiederzubeleben, stand ich ziemlich alleine da. Ich erinnere mich noch gut, wie ein etwas älterer Kollege zu mir sagte: Du mit deinem Handwerk, das wird nichts.

Die Sitzflächen dieser Outdoor-Möbelserie werden auf der Insel Cebu in den Philippinen von Hand geflochten.

Was macht Handwerk aus?
Eine besondere Ästhetik, eine Qualität, die nicht immer perfekt ist, was jedes Stück einzigartig macht. Für mich ist es toll, zu den Werkstätten zu reisen, ob in Bayern, Kolumbien oder den Philippinen. Ich lerne jedes Mal etwas Neues. Viele Handwerker gibt es hier ja nicht mehr.

Welche zum Beispiel?
Flechter. Meine Outdoor-Möbel für Dedon werden auf der Insel Cebu in den Philippinen, die dazugehörigen Teakgestelle in Surabaya in Indonesien gefertigt.

Was auch mit den Kosten zu tun hat.
Ich denke, der Hauptgrund für die Produktion in Asien ist das einzigartige Know-how des Flechtens und Arbeitens mit Fasern. Das ist kulturgeschichtlich dort sehr verankert, stärker als in Europa.

Andererseits fördern Sie Handwerksbetriebe im Ausland. Sie suchen inzwischen bewusst nach kleinen Manufakturen und lassen sich bei Ihrer Arbeit inspirieren. Wie kam es dazu?
Das fing mit Patrizia Moroso und ihrer M'Afrique-Kollektion an. Sie hatte die Idee, Designer zu bitten, Produkte zu entwerfen, die von Handwerkern in Dakar in Senegal hergestellt werden. Ich wurde wohl auch wegen meiner Leidenschaft fürs Handwerk gefragt. So entstand 2013 der Stuhl Banjooli aus geflochtenem Fischernetzgarn und zuletzt die Seku-Kollektion.



Wie sind Sie nach Kolumbien gekommen?
Über die Marke Ames, die von Ana María Calderón Kayser 2006 gegründet wurde. Sie ist in Kolumbien aufgewachsen und lud mich ein, Kolumbien zu erkunden. Wir fuhren mit dem Bus durchs Land und suchten nach kleinen Betrieben. Ich arbeitete mit den Handwerkern für einige Tage, verbrachte Zeit mit ihnen, beschäftigte mich mit ihren Traditionen. Überall lernte ich neue Herstellungstechniken kennen. Zuletzt war ich mit Ana María in einem Dorf, in dem Teppiche aus Fique, der Faser einer Agavenart, geflochten werden. Die ersten Entwürfe sind gerade fertig und werden im Januar präsentiert.

In Kolumbien lässt sich preiswerter produzieren als hier.
Ich muss natürlich schauen, ob ein Produkt von den Kosten her Sinn macht. Ein handgeknüpfter Fique-Teppich kann nicht 8000 Euro kosten, dann kauft ihn keiner. Mehr als 2000 Euro dürfen es nicht werden. Ich will zeigen, dass von Hand gefertigte Produkte erschwinglich sein können, wie zum Beispiel unsere Barro-Gefäße aus schwarzer Keramik.

Caribe: In Santa Marta an der kolumbianischen Karibikküste entdeckte Herkner Stühle aus Stahlrohr und Kunststofffäden. Daraus entstand eine neue Kollektion für Ames. Die Webtechnik nennt sich Momposino und ist typisch für die Region.

Das funktioniert auch in großen Stückzahlen?
Ja, denn es sind Familienbetriebe. Bei einer größeren Bestellung werden einfach Tanten und Onkel zusammengetrommelt oder auch andere Dorfbewohner. So wachsen die Betriebe übrigens auch.

Es entstehen neue Arbeitsplätze.
Genau. Viele junge Leute haben die Dörfer verlassen und sind in Großstädte wie Bogotá gezogen. Dort haben sie kaum Chancen, weil ihnen die Bildung fehlt. Sie haben aber das Handwerk ihrer Eltern erlernt und arbeiten eben jetzt für uns am Rand von Bogotá. Dabei stellen sie fest, dass ihre Arbeit wertgeschätzt wird und sie respektiert werden. Die Nachfrage an den von ihnen gegründeten Manufakturen wächst. Der Vorteil: Sie haben ein gutes Auskommen und können in der Großstadt leben.

Barro: Die Serie aus schwarzer Keramik für Ames, zu der Schüsseln, Schalen, Teller und Vasen mit besonderen Prägungen am Rand gehören, wird von Hand in Tolima in Kolumbien gefertigt.

Wer legt die Preise für die Arbeit fest?
Die Handwerker. Wir müssen nur schauen, dass es ein Preis ist, der zu unserer Kalkulation passt. Ana María achtet sehr darauf, dass Arbeitsbedingungen und Löhne fair sind. Zudem investiert sie auch, zum Beispiel in neue Webstühle. Man darf das nicht unterschätzen, die Lebenshaltungskosten in Kolumbien sind schon höher als in den Philippinen und in Indonesien.

Dort produziert der Outdoor-Möbelhersteller Dedon, für den Sie die Mbrace-Kollektion entworfen haben.
Dedon hat auf der Insel Cebu in den Philippinen ein Werk mit mehr als 1000 Mitarbeitern, vor allem Flechter, die auch in eigenen Werkstätten arbeiten. Dedon fördert ihre Ausbildung. Das Ganze ist sozial aufgebaut, es gibt eine Kantine mit freiem Essen, die Angestellten werden mit Bussen zur Arbeit gebracht und wieder nach Hause.


Wir kombinieren Handwerk mit meiner internationalen Designsprache, entwickeln so neue Farben und Formen.
SEBASTIAN HERKNER

Gibt es Gemeinsamkeiten bei Ihren Produkten?
Sie sind alle sehr unterschiedlich, da ich mich stark nach der jeweiligen Marke richte und nicht versuche, ihnen etwas unterzujubeln. Das Produkt muss meine Handschrift tragen und zur Firma passen.

Wie würden Sie Ihre Handschrift beschreiben?
Ich verwende bei allen Produkten nachwachsende Materialien - mit der Ausnahme Marmor. Glas, Metall, Holz sind wiederverwertbar, genauso wie übrigens die Faser aus Polypropylen, die bei meinen Outdoor-Kollektionen für Dedon eingesetzt wird, weil sie den Wetterbedingungen standhält. Die Fique-Teppiche sind sogar kompostierbar. Selbst in einem vermeintlich industriell gefertigten Produkt wie dem Thonet-Stuhl 118 steckt viel Handwerk. Der Sitzrahmen besteht aus Bugholz, das Holz wird von Hand in Form gebogen.

Ihre von Hand gefertigten Produkte sind alle massentauglich.
Ja, was auch wichtig für mich als Designer ist. Ich werde pro Stück bezahlt. Man darf nicht den Fehler machen und Handwerk mit Kunsthandwerk gleichsetzen. In vielen Industrieprodukten steckt Handwerk, selbst wenn Teile von Robotern gefertigt wurden.

Circo: Dieser Stuhl aus Stahlrohr, das mit Pulver beschichtet ist, und buntem Kunststoffgeflecht wird für Ames in Santa Marta hergestellt. Auch Pflanzgefäße gehören zur Kollektion.

Legen Sie selbst auch Hand an?
Ich probiere jedes Handwerk aus, das ich für eine meiner Arbeiten einsetze. Die Handwerker finden es amüsant, wenn ich versuche zu flechten oder Teppiche zu knüpfen. Doch als Annäherung an Land und Leute und ans Produkt ist das entscheidend. Ich will auf einer Ebene mit den Menschen kommunizieren, auch wenn ich kein Spanisch spreche. So versteht man sich ohne Worte, baut eine Beziehung auf, die dazu führt, dass die Menschen bereit sind, Neues auszuprobieren.

Glas haben Sie auch schon geblasen?
Eine Kugel, die liegt zu Hause. Nichts Besonderes. Das Glasbläser-Handwerk will erlernt sein. Mindestens sechs,sieben Jahre Berufserfahrung braucht man, um einen Tisch wie den Bell in Form blasen zu können. Anfangs wollte ihn auch keiner herstellen, drei Jahre hat es gedauert, bis Classicon ihn ins Programm aufnahm. Heute ist der Tisch einer meiner Bestseller und der Entwurf, der am meisten mit meinem Namen verbunden wird.

Was unterscheidet Ihre Produkte wie etwa die Keramikware oder die Teppiche aus Kolumbien von Souvenirs?
Es soll nicht nach Ethno aussehen. Wir haben einen anderen Ansatz, kombinieren Handwerk mit meiner internationalen Designsprache, entwickeln so neue Farben und Formen. Bei den neuen Teppichen etwa habe ich unterschiedlich geknüpfte Stücke Blau eingefärbt und wie bei Patchwork zusammensetzen lassen. Das sieht man so in Kolumbien nicht.

  • Circo: Stuhl aus pulverbeschichtetem Stahlrohr und buntem Kunststoffgeflecht
  • Caribe: Stühle aus Stahlrohr und Kunststofffäden
  • Mbrace: Outdoor-Möbelserie aus Teakholz und Sitzflächen aus der Dedon-Faser
  • Banjooli: Ein Stuhl wie ein Afrikanischer Strauß bei der Balz
  • Barro: Serie aus schwarzer Keramik, zu der Schüsseln, Schalen, Teller und Vasen mit besonderen Prägungen am Rand gehören.

Sie verwenden gerne kräftige Farben. Hat das auch mit Ihrem Jahr bei Stella McCartney zu tun?
Meine Vorliebe für Farben hat sicher mit Stella zu tun, aber auch, dass ich Materialien kombiniere. Stella entwickelte zudem früh die Haltung: kein Pelz, kein Leder. Das wurde damals belächelt, heute ist ihre Marke damit erfolgreich. Auch ich fand es wichtig, früh eine eigene Haltung zu entwickeln.

Sie gingen schon während des Studiums zu Stella McCartney. Warum?
Das war nach meinem Vordiplom 2003/2004. Ich wollte mich nicht nur auf eine Disziplin beschränken, nur aufs Produktdesign. Darum ging ich ein Jahr nach London.

Haben Sie auch Mode entworfen?
Das wäre zu viel gesagt. Ich habe zugearbeitet, ein paar Muster entworfen, Ladeneinrichtungen mitgestaltet. Und einmal habe ich an einem Kleid mitgenäht, am Oscar-Kleid für Annie Lennox. Sie gewann 2004 für "Into The West" aus dem dritten Teil von "Herr der Ringe". Ich saß vorm Fernseher und habe gezittert, weil ich fürchtete, die Nähte meiner Schulterpartie könnten den Abend nicht überstehen.

Die Fragen stellte Peter-Philipp Schmitt.

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