Soll das ein Statussymbol sein?

VON ISABELLE BRAUN

24.06.2017 · Schmucktrends ändern sich nicht jede Saison. Aber trotzdem gibt es jetzt viele Neuigkeiten, bei denen man zweimal hinschauen muss und die man oft immer noch nicht versteht. Zeit für einen Überblick.

Der Ohrring

Mix-Match-Ohrringe von Marni Foto: Hersteller

Beim Yoga Achtsamkeit trainieren, mit Selbsthilfebüchern das Bewusstsein finden, durch Detox-Kuren Verzicht üben – all das machen Menschen auf der Suche nach ihrer inneren Balance. Denn Ungleichgewicht scheut der mindfulness praktizierende Leistungsträger wie der Teufel das Weihwasser. Und auch das Gehirn empfindet optische Symmetrien als harmonisch: zwei Augen, zwei Ohren. Darum gibt es logischerweise den Schmuck dafür immer paarweise. Diese Einheit wird durch den einseitig getragenen, bis auf die Schulter baumelnden Mono-Ohrring, auch shoulder duster genannt, sabotiert. Aber Innovationen sind heutzutage ja im besten Fall disruptive, stören also die bestehende Ordnung. Wie zum Beispiel die Annahme, dass Schmuck ein Statussymbol ist, mit dem man zeigt, was man hat. Bei dem Single-Ohrring zeigt man, worauf man verzichten kann. Zum Beispiel auf den Spruch: „Du hast einen Ohrring verloren!“ Einfach die Augen verdrehen und „Das trägt man jetzt so“ entgegnen. Nicht ganz so aufsässig ist der Trend, zwei Ohrringe zu tragen, die sich in Form, Farbe oder Länge unterscheiden, sogenannte Mix-Match-Ohrringe. Das erzeugt Spannung, und mit dem auffälligeren Stück kann man die Schokoladenseite betonen.


Das Halsband

Choker aus mehrreihiger Perlenkette von Gabriele Frantzen Foto: Hersteller

Der Name „Choker“ (auf Englisch: „to choke“ = würgen) beschreibt schon das Wesen des Schmuckstücks: ein krausenartig den Hals umschlingender Ring, der irgendwie an ein Hundehalsband oder Sexspielzeug erinnert. Der Choker hat noch eine seriöse Schwester: das Kropfband. Heute verbindet man es mit Trachtenaccessoires, und da hat es auch seinen Ursprung. In besonders jodarmen Regionen, also zum Beispiel im Süden von Deutschland und in Salzburg, bildeten sich durch den Mangel krankhafte Wucherungen, und ein wulstiger Kropf entstand. Den konnte man mit dem breiten Band hübsch verpacken. Dank moderner Medizin gibt es das Problem nicht mehr, aber ob man das nun gut findet oder nicht, die neunziger Jahre sind mit voller Wucht in der Mode zurück. Und in diesen stilistisch umstrittenen Zeiten waren „Tattoo-Ketten“ bei Teenagern der letzte Schrei, also enganliegende Gummi-Halsbänder, die an Henna-Malerei erinnern. Das skandinavische Szene-Label Acne hat sogar diese Modelle, die man damals in der Zeitschrift „Bravo“ als Kaufanreiz geschenkt bekam, neu aufgelegt. Die Teenager von einst sind jetzt erwachsen. Aber auch die neuen Stil-Vorbilder der Jugendgeneration wie der Social-Media-Stars Kendall Jenner und Gigi Hadid, deren Look irgendwo zwischen Playboy-Bunny und Getto-Braut oszilliert, binden sich praktisch alles um den Hals, was man verknoten kann: von schnürsenkeldünnen Bändern aus Samt oder Leder bis zu opulenten Halskrausen. Zum Glück gibt es für trendbewusste Frauen mit Geschmack auch edle Varianten, zum Beispiel aus Perlen. Die erinnern mehr an ein Collier à la Grace Kelly als an ein Katzenhalsband.


Der Ring

Phalanx-Ring von Catbird (über Net-a-porter.com) Foto: Hersteller

Fingerknöchelring, Midi-Ring, Stapelring, Oberfingerknochenring, Mikro-Ring. Es kursieren zahlreiche Begriffe für die zarten Ringe, die am obersten Fingergelenk getragen werden und zuerst im Jahr 2004 vom New Yorker Label Catbird lanciert wurden. Der wohl eleganteste lautet Phalanx-Ring. Und es ist auch der treffendste Begriff: Phalanx ist der medizinische Fachbegriff für Finger- oder Zehenglied. Und diese hauchfeinen Handschmeichler werden eben nicht, wie üblich, an der Fingerwurzel, also nah am Handrücken, getragen, sondern rutschen Richtung Fingerkuppe. Das wirkt auf den ersten Blick, als sei der Ring der Trägerin zu klein und passe nicht über die Knöchel. So wie einst die Fundstücke aus Omas Schmuckschatulle, die höchstens am kleinen Finger passten. Und das ist auch wohl der Grund, warum die Ringe so beliebt sind: Wenn Spießig das neue Cool ist, dann darf es ruhig ein bisschen tantig zugehen. Warum sich nur die filigrane Ausführung durchgesetzt hat, höchstens mit einem Schmuckstein besetzt? Massive Modelle würden wegen ihres Gewichts vom Finger rutschen. Das wäre dann nicht nur schlechter Stil, sondern auch ziemlich schade drum.


Die Uhr

Smartwatch von Frederique Constant Foto: Hersteller

Eines der ersten Wearables, also der am Körper tragbaren Technologie, war schon in den achtziger Jahren auf dem Markt und weltweit ein echtes Must-have: der Walkman. Spätestens 2015, mit der Lancierung der Apple Watch, wurden Wearables dann wieder zum Gesprächsthema. Trendforscher bescheinigten den in Kleidung, Accessoires oder Schmuck integrierten Mini-Computern eine glorreiche Zukunft und sogar revolutionäre Sprengkraft. Doch der wahre Boom blieb aus. Denn bisher sahen Wearables, trotz der um Schönheit bemühten Hersteller, immer ein bisschen zu sehr nach dem aus, was sie nun einmal sind: funktionale Geräte. Um den Blutzuckermesser auf sexy zu drehen, halfen auch keine aufgeklebten Glitzersteine. Bei der neuen Generation ist der Ansatz umgekehrt: Wie kann man ein ästhetisches Schmuckstück, also zum Beispiel eine klassische Uhr, um smarte Technologie erweitern? Klingt doch gleich besser. Und sieht auch so aus.


Die Ohrklammer

Earcuff von Ileana Makri (über den Online-Shop Stylebop) Foto: Hersteller

Der Earcuff, eine über die gesamte Ohrmuschel verlaufende Klammer oder ein den Knorpel umfassender Ring, ist in den vergangenen Jahren ein Lieblingsaccessoire unter Modefreunden geworden. Die Ohrklammern sind eine Liaison aus Piercing und Schmuckstück. Also die passende Preziose für die Möchtegernpunks unter uns: Ein Piercing wäre zu radikal, aber ein Hauch von Rebellion darf es schon sein. Frei nach dem Motto „Born to be ein bisschen wild“ und ganz in der Tradition von Madonna, die Anfang der Achtziger Trendsetter war, „Like a virgin“-trällernd für einen Skandal sorgte und ihr Ohr mit Metallklammern schmückte, an denen kleine Anhänger in Stern- oder Herzform baumelten. Aktuell ist bei der Prominenz mehr Bling-Bling gefragt: Stars wie Cara Delevingne, Diane Kruger oder Kate Bosworth tragen auf dem roten Teppich Earcuffs, die opulent mit Strasssteinen oder Swarovski-Kristallen besetzt sind. Minimalisten, also jeder, der nicht hauptberuflich auf Abendveranstaltungen geht, greift zu hauchdünnen Spangen, die am äußeren Rand eingeklippt werden.


Der Glieder-Ring

Berbère-Ring von Repossi (über Myther esa.com) Foto: Hersteller

2007 wurde Gaia Repossi mit nur 21 Jahren Kreativ-Chefin des Haute-Joaillerie-Hauses Repossi, das ihr Urgroßvater im Jahr 1920 in Italien gegründet hatte. Und die Erbin legte bislang ein beachtliches Tempo vor: Schon 2010 entwarf sie für die Modenschauen der New Yorker Designer Alexander Wang und Joseph Altuzarra Schmuck, nur ein Jahr später gelang ihr der ganz große Wurf: Inspiriert von den Stammestätowierungen nordafrikanischer Nomaden, den Touareg-Berbern, kreierte sie die „Berbère“-Kollektion. Dazu gehören mehrgliedrige Ringe aus übereinanderliegenden Reihen, die den Finger lang und schlank erscheinen lassen. Ein durchaus rebellischer Gegenentwurf zu opulenten Wohlstandsklunkern, die charakteristisch für traditionsreiche Schmuck-Manufakturen sind. Die Kollektion wurde ein Hit, der Pariser Kultstore Colette lancierte eine limitierte Edition. Zahlreiche Kopien folgten. Das Original aber, zum Beispiel aus Roségold oder rhodiniertem Gold, machten sie nur noch begehrenswerter.


Die Handspange

Handspange von Gucci (zu bestellen über Net-a-Porter.com) Foto: Hersteller

Den Arm-Cuff, also eine Armspange, hat sich die modebewusste Frau schon vor einigen Saisons zugelegt. Dieser rutscht jetzt von der Handwurzel ein Stück in Richtung Fingerspitze auf den Mittelhandknochen. Es ist sozusagen der Schlagring für die Dame von Rang, etwa für Oscar-Preisträgerin Jennifer Lawrence, die bei der Filmpremiere zu „Die Tribute von Panem – Catching Fire“ mit ihrer dekorierten Hand Luftküsse ins Publikum verteilte. Man kann in der Handspange aber auch eine Reminiszenz an den indischen Handschmuck „Hath Panja“ („hath“ bedeutet Hand, „panja“ bedeutet fünf) erkennen. Die beringten Finger sind hier durch verzierte Ketten mit einem Armband verbunden und zieren so den Handrücken. Manche Online-Shops bezeichnen dieses Schmuckstück auch als Sklavenarmband. Das ist politisch natürlich so unkorrekt, dass man am liebsten die geschmückten Hände vor dem Gesicht zusammenschlagen möchte.


Der Maxi-Ohrhänger

Chandelier-Ohrringe von Wempe Foto: Hersteller

Darf’s ein bisschen mehr sein? Wenn ja, dann sind Chandeliers (zu Deutsch: Kronleuchter) die richtige Wahl. Der Name ist selbsterklärend: Gemeint sind große, festliche Ohr- hänger, die auch unter dem Begriff Statement-Ohrring zusammengefasst werden. Charakteristisch sind die hängenden, beweglichen Elemente, die hübsch klimpern und, sofern mit echten Steinen veredelt, das Licht reflektieren. So wie bei einem prachtvollen Lüster, der von der Zimmerdecke hängt. Aber Vorsicht, wenn Sie jemand demnächst zum Chandelier-Spiel einlädt. Dann werden nicht Juwelen jongliert, sondern Pingpongbälle in rote Plastikbecher geworfen. Denn Chandelier heißt auch ein amerikanisches College-Trinkspiel, das jetzt in Deutschland zunehmend beliebter wird.

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