Auto Union Typ 52: Weltpremiere nach 90 Jahren

Ein altes polnisches Sprichwort sagt: „Besser spät als gar nicht“. Dies passt bestens zum Fall des Auto Union Typ 52, der an diesem Wochenende auf dem Festival of Speed im englischen Goodwood seine Weltpremiere feiert. Und zwar erst 90 Jahre nachdem die Idee geboren wurde. Wie konnte das passieren? Es sind die wilden 1930er, als die Auto Union mit ihren von einem gewissen Ferdinand Porsche und seinem Konstruktionsbüro „Hochleistung Motoren“ entwickelten Silberpfeilen vom Typ A bis zum Typ D im noch jungen Grand-Prix-Zirkus ganz vorne mitfahren. 25 siegreiche Rennen gehen auf Konten von Fahrer wie Tazio Nuvolari, Bernd Rosemeyer und Hans Stuck. Aus ihnen werden wahre Helden, während der findige Ferdinand ein Geschäft wittert und die Siege gewinnbringend nutzen möchte. Getreu des auch heute noch gängigen Mottos „Win on Sunday, sell on Monday“ hat er zum Typ A eine Straßenversion ersonnen, die in Kundenhand gelangen und so den Rennzirkus refinanzieren sollte. Bei der Audi Tradition weiß keiner so recht Der „Schnellsportwagen“ hätte das Zeug zum ersten Vertreter jener Gattung gehabt, die man heute gerne Hypercar nennt, weil Supersportwagen zu gewöhnlich klingt. Denn 200 PS aus 16 Zylindern und eine Höchstgeschwindigkeit von 200 km/h waren damals ebenso unerreicht wie der Sprintwert von 8,5 Sekunden. Zum Vergleich: Der 180 PS starke Mercedes 540K, gemeinhin gefeiert als der Supertrumpf in den Autoquartetts der 1930er, kam auf 170 km/h und brauchte für den Sprint fast doppelt so lange. Dumm nur für die Auto Union: Der Wegbereiter für Autos wie den Bugatti Veyron, den Porsche Carrera GT und natürlich den Audi R8 blieb eine Vision. Bei der Audi Tradition weiß keiner so recht, wann und warum die Idee versandet ist, blieben von ihr auch nicht viel mehr übrig als ein paar Skizzen und theoretische Machbarkeitsstudien. Hätte, wäre, könnte, sollte . . . Zwar war der Typ 52 kein mystisches Geheimnis, zumal es auf Basis der alten Porsche-Skizzen sogar mal ein paar Spielzeugautos gegeben hat. Doch so recht beantwortet war die „Was wäre, wenn“-Frage damit nicht. Bis zu dem Zeitpunkt, als Audi im Höhenflug von 13 LeMans-Siegen in 17 Jahren es tatsächlich wissen und den Konjunktiv ein für alle Mal ausmustern wollte. Beim englischen Oldtimer-Spezialisten Crosthwaite and Gardiner, der für die Bayern auch die Silberpfeile am Fliegen hält, haben sie deshalb einen Neubau in Auftrag gegeben. Nach alten Plänen, mit alten Materialien und alten Methoden. Zehn Jahre, viele tausend Stunden Handarbeit und einen niedrigen siebenstelligen Betrag später ist das besondere Projekt endlich fertig. Der Typ 52 kann fast ein Jahrhundert nach seiner Konstruktion als fabrikneuer Oldtimer zur Jungfernfahrt aufbrechen kann. Riesige Uhren im Cockpit Das ist eine lange Zeit. Doch musste Audi zwischenzeitlich sparen, erst recht nach dem Ausstieg aus dem Langstreckensport. Außerdem haben sie mangels konkreter Skizzen immer wieder neu entscheiden müssen, wie das Auto wirklich aussehen soll, welche Scheinwerfer er bekommt, wo die Lüftungsschlitze Platz finden, wie die riesigen Uhren im Cockpit zu verteilen sind oder wie viel Rennwagen und wie viel Luxusliner im Fahrzeug steckt. „Das war ein Prozess der langsamen Annäherung und viel Try und Error“, erinnert sich Timo Witt, der den historischen Fuhrpark der Bayern verantwortet. „Denn es gab keine Pläne und niemanden, den wir hätten fragen können.“ Also haben sie sich immer wieder zurückversetzt in jene Zeit und Entscheidungen nach Bauchgefühl getroffen. Nach 90 Jahren kam es auf ein paar Jahre mehr oder weniger auch nicht an. Außerdem ist das jetzt alles Schnee, oder in diesem Fall eher Feilstaub und Sägemehl von gestern. Mit kurzem Bug, endlos langem Heck und einer stromlinienförmigen Silhouette, wie aus dem Lehrbuch, strahlt die in seidenmattem Silber lackierte Alukarosserie über dem Holzrahmen jetzt in der Sonne. Ein Tritt aufs Gaspedal macht Schluss mit all der Grübelei. Gestern war gestern, jetzt geht’s ins Hier und Heute. Gefahren hat den Wagen außer den Entwicklern in England, Rennfahrer Stuck Junior und Audi-Silberpfeil-Mechaniker Thomas Bauch noch niemand. Und weil die Mienen der Macher ziemlich eisig werden, wenn die Frage nach dem Schlüssel aufkommt, bleiben nur die Polster links oder rechts des Fahrers, der mittig sitzt wie in einem Silberpfeil für die Rennstrecke. Aber vielleicht ist das auch ganz gut so. Selbst der nicht übermäßig große Mechaniker passt kaum hinter das Lenkrad, das groß ist wie das Ruder eines Dampfers. Zudem sortiert er die Füße mühsam über den kleinen Pedalen, während er in der Kniekehle des Sozius nach dem Schaltknauf greift. Luxus stellt man sich heute irgendwie anders vor. Aber man muss Prioritäten setzen. Und erste Priorität hat hier der mächtige Motor, der wie bei den Silberpfeilen hinter dem Fahrer montiert ist. Genau wie bei den Dienstwagen der Herren Nuvolari, Rosemeyer oder Stuck ist das ein 16-Zylinder-Kompressor, der zusammen mit dem Tank und zwei Ersatzrädern den gesamten Platz im Heck des 5,45 Meter langen Sonderlings beansprucht. Sehr schmale Räder Das Triebwerk ist das einzige Bauteil, bei dem Audi die wenigen originalen Pläne wissentlich über den Haufen geworfen hat. Denn Porsche hatte für den Schnellsportwagen zum Schutz für Leib und Leben der Kunden mit einem abgespeckten Typ8-Motor von 4,4 Litern und etwa 200 PS geplant. Doch jetzt tobt im Nacken der Insassen das gleiche Kraftwerk wie in den Rennwagen von Typ C und D. Weil es praktischer ist und billiger, alle Oldtimer einer Ära mit dem gleichen Antrieb auszurüsten und entsprechend flexibel die wenigen Ersatzteile nutzen zu können. Nichts ist besser als Leistung. Außer mehr Leistung. Porsche hätte sicher nicht widersprochen. Deshalb stehen jetzt sechs Liter Hubraum und 520 PS im Fahrzeugschein. Selbst der Mechaniker legt die Ohren an, wenn er Gas gibt und die riesige Nadel im mittig montierten Drehzahlmesser zu steigen beginnt. 60, 80, 120 sind sie schon gefahren, kurz sogar mal 200. „Und da ist noch viel Luft nach oben“, sagt er respektvoll. Die auszukosten, traut sich aber aktuell noch keiner. Das Fahren in ihm ist nicht ganz ungefährlich, sehr schmal sind die Räder. Wohl wäre es auch unverzeihlich, 90 Jahre Wartezeit binnen Sekunden zu zerstören. Fuhrparkchef Witt kann es kaum erwarten, den Typ52 möglichst oft einzusetzen und so den geneigten Fans der Auto Union endlich eine Antwort auf die „Was wäre, wenn“-Frage zu geben. Aber während er noch über einen Fahrplan für seinen fabrikneuen Oldtimer sinniert, träumt er schon von weiteren Lückenschlüssen. Ein paar Ideen hat Witt schon noch, selbst wenn es keine ganz so spektakulären Karteileichen mehr in der Sammlung gibt. Zumindest keine, von denen er schon etwas wüsste. Doch jetzt sind erst mal die Neuwagen-Kollegen gefragt. Nachdem gerade die Modelle R8 und TT ausgelaufen sind, herrscht bei den Bayern akuter Sportwagenmangel. Von Supersportwagen oder Hypercars ganz zu schweigen. Der Typ 52 könnte da durchaus als Vorbild dienen. Schließlich hat Bugatti, zwar nicht mehr im Konzern, aber doch noch eng verbunden, für den neuen Tourbillon gerade einen neuen V16 gebaut. Da könnte sich doch mal einer fragen: Was wäre, wenn . . .?