Die stillen Lieblinge der deutschen Wirtschaft
Von UWE MARX, Grafiken JOHANNES THIELEN · 23. Oktober 2023Familienunternehmen haben in Deutschland einen exzellenten Ruf – und eine große Sorge, von der die meisten nichts ahnen.
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inige deutsche Konzerne und auch der eine oder andere Spitzenmanager dort haben ihren guten Ruf in den vergangenen Jahren gehörig ramponiert. Man muss nicht in den unternehmerischen Abgrund von Wirecard schauen, um diesen Befund zu untermauern. Gleichzeitig gibt es Unternehmen, die geradezu als gutes Gewissen der deutschen Wirtschaft gelten, zusammengefasst werden sie unter einem Sammelbegriff: Familienunternehmen. Davon gibt es sehr viele und sehr große, die allergrößten kennt wohl jedes Kind. Aber es sind nicht Volkswagen, Bosch, Lidl und Co. , die – obwohl in Familienhand – das Bild vom guten alten Familienunternehmen prägen, sondern zumeist Mittelständler, also Unternehmen anderen Kalibers.
Es gilt deshalb abzugrenzen – oder eben genau zu definieren, wie es zum Beispiel das Institut für Mittelstandsforschung macht. Es nennt zwei schlüssige Voraussetzungen, die für ein Familienunternehmen erfüllt sein sollten: Dass nämlich die Gesellschafterseite mindestens 50 Prozent der Anteile am Unternehmen hält und ebendiese Gesellschafter auch der Geschäftsführung angehören, also operativ tätig sind. Das schafft einerseits Klarheit: Eigentümer oder Miteigentümer, die ihre Unternehmen selbst leiten – Gründer, deren Kinder oder Verwandten – sind Familienunternehmer. Andererseits wäre dann auch Volkswagen in der Ära von Ferdinand Piech ein lupenreines Familienunternehmen gewesen, aber dem stand allein schon die Größe entgegen. Wobei: Zwei Unternehmen aus der gerade stark beachteten Heizungsbranche – Vaillant und Viessmann – sind mit rund 4 Milliarden Euro Umsatz auch nicht gerade klein, dennoch gelten sie als Inbegriff deutscher Familienunternehmen. Die Sache ist also komplex.
Unkomplizierter ist es mit der geographischen Abgrenzung. Die Mehrheit der größten deutschen Familienunternehmen finden sich erwartungsgemäß in Nordrhein-Westfalen, Baden-Württemberg und Bayern, sehr wenige hingegen in den ostdeutschen Bundesländern, wo Unternehmertum nach dem Zweiten Weltkrieg keinen leichten Stand hatte, Familienunternehmen abwanderten oder in der DDR enteignet wurden; ein Erbe, das bis heute nachwirkt. Es gibt aber auch in den durch Bevölkerungsreichtum und Wirtschaftskraft privilegierten Ballungszentren Ausreißer nach oben. In NRW sind es Teile Westfalens, in Bayern das großstädtische Umland, in Baden-Württemberg die schwäbische Alb. Überall dort wimmelt es nur so vor erfolgreichen, oft vom Export getriebenen Familienunternehmen. Es sind regionale Größen mit internationaler Ausrichtung. Im Städte-Ranking führen Hamburg (192), München (102) und Berlin (95). Überraschender sind Bremen auf Platz fünf (60), Bielefeld auf neun (33) und Osnabrück als Zehnter (30.)
Doch es ist nicht allein ihr Beitrag in Messgrößen wie Umsatz oder Beschäftigtenzahl, der den guten Ruf von Familienunternehmen begründet. Vielmehr geht es darum, dass ihnen in einigen Kategorien mehr zugetraut wird als Konzernen oder Start-ups. Das Beratungsunternehmen PWC hat in einer Befragung zum Image von Familienunternehmen herausgefunden, dass etwa ein Drittel der Deutschen in einem davon am liebsten arbeiten würden. Konzerne kamen nur auf 15 Prozent. Positiv bewertet werden Familienunternehmen vor allem wegen ihrer regionalen Verwurzelung, ihres wertschätzenden Umgangs mit Beschäftigten und ihrer gesellschaftlichen Verantwortung. Da rücken die oft höheren Gehälter und besseren Karrieremöglichkeiten in Konzernen offenbar in den Hintergrund.
Ebenso wird die langfristige Strategie von Familienunternehmen geschätzt. Diese reklamieren oft für sich, „in Generationen“ zu denken, nicht mit Blick auf die nächste Bilanz oder den Börsenkurs. Dementsprechend gibt es in Familienunternehmen nicht nur auf der Gesellschafter- und Geschäftsführungsseite Berufskarrieren über Generationen hinweg. Jahrzehnte im Unternehmen zu bleiben, ist unter den Beschäftigten keine Seltenheit, und oft kommen auch die eigenen Kinder zum selben Arbeitgeber.
Ein langer Atem ist also typisch. Das lässt sich besonders gut an jenen Familienunternehmen erkennen, die sich nicht Jahrzehnte, sondern Jahrhunderte behauptet haben. Zwar wurden besonders viele Unternehmen im ersten Drittel des 20. Jahrhunderts gegründet, aber ein extrem langlebiges Exemplar wie die Kornbrennerei Schwarze und Schlichte aus Oelde in – natürlich: Westfalen – nennt 1664 als Gründungsjahr. Das Familienunternehmen wird in 13. Generation geführt. Das Alter – Schwarze und Schlichte zählt sich zu den fünf ältesten Unternehmen Deutschlands – ist außergewöhnlich, der Umsatz hingen ist typisch: Er lag lange bei etwa 50 Millionen Euro und ist zuletzt etwas gestiegen. Das ist die Größenordnung, in der sich viele Familienunternehmen bewegen.
Da kommt in der Summe einiges zusammen. Die Stiftung Familienunternehmen hat vom Ifo-Institut errechnen lassen, wie viel Steuern die 500 beschäftigungsstärksten Familienunternehmen zahlen und kam zwischen 2010 und 2018 auf durchschnittlich 22 Milliarden Euro im Jahr. Davon entfielen rund 12 Milliarden Euro auf das Inland, nicht also auf Auslandsgesellschaften. Alle Familienunternehmen zusammen hätten in diesem Zeitraum jährlich durchschnittlich 67 Milliarden Euro Unternehmenssteuern gezahlt, etwa 48 Prozent des gesamten Aufkommens an diesen Steuern hierzulande.
Alltagsprobleme wie Steuerlast, Inflation, Energiepreise, politische Krisen, Bürokratie sind es aber nicht, die den Unternehmern am meisten zusetzen – und die zusätzlich die Attraktivität des Unternehmensstandortes Deutschland drücken.
Es ist vielmehr, so ist immer wieder zu hören, die Frage der Nachfolge. Sie stellt sich in Tausenden Unternehmen. Was als Lebenswerk verstanden wird, soll in Familienhand bleiben. Aber was, wenn es keine Kinder gibt oder wenn diese andere Interessen oder nicht die Fähigkeit haben, das Familienunternehmen in der nächsten Generation zu führen?
Attraktive Unternehmen bekommen regelmäßig Angebote ins Haus, von Konkurrenten oder Investoren, weil dieses Dilemma allseits bekannt ist. Familienunternehmer kann nicht jeder.