Editorial : Politiktok

Kai Trump ist ein Star auf Tiktok. 1,5 Millionen Menschen folgen der sympathischen jungen Frau, die dort harmlose Golfschwünge, Tanzvideos und gelegentlich ihren Opa zeigt.
Der kommt in dem sozialen Netzwerk ebenfalls sympathisch rüber. Dabei ist er selbst ein Star. Nach eigener Aussage sogar ein großer. Denn seitdem Donald Trump 14 Millionen Follower auf Tiktok hat, findet auch der US-Präsident das chinesische Netzwerk ganz prima. Schließlich ist die App mit rund 150 Millionen Nutzern in den USA extrem angesagt und zudem eine wichtige Nachrichtenquelle. Von einem Tiktok-Verbot, das Trump in seiner ersten Amtszeit noch angestoßen hat, will er nun nichts mehr wissen. Vielmehr strebe er eine „politische Lösung“ an.
Wie diese Lösung aussehen könnte, wissen wir jetzt auch. Elon Musk, Trumps Mann fürs Grobe, könnte nach X (Twitter) nun auch den amerikanischen Teil von Tiktok übernehmen. Was wir vergangene Woche an dieser Stelle schon vermutet haben, scheint nun in der komplexen amerikanisch-chinesischen Geopolitik diskutiert zu werden: Wenn die Chinesen schon Tiktok in den USA verkaufen müssen, dann am liebsten an einen Verbündeten wie Elon Musk. Der vertreibt schließlich 40 Prozent seiner Autos in China, betreibt dort eine Gigafactory und ist gerngesehener Gast der chinesischen Staatsführung. Sich den Interessen der Chinesen zu widersetzen, kann sich selbst der reichste Mann der Welt kaum leisten. Wohl aber die geschätzten 40 bis 50 Milliarden Dollar aufbringen, die als Kaufpreis für Tiktok kolportiert werden.
Und Donald Trump hätte nach X dann schon ein zweites soziales Netzwerk unter seiner faktischen Kontrolle und damit eine Medienmacht wie noch kein Präsident vor ihm. Die Kombination aus X und Tiktok wäre eine ernsthafte Konkurrenz zu Mark Zuckerbergs Imperium aus Facebook, Instagram und Whatsapp, was vielleicht sogar dessen rasanten Kniefall vor dem neuen Präsidenten erklärt.
Verlierer dieses geopolitischen Schachspiels wären die Demokratie, der Wettbewerb – und die amerikanischen Tiktok-Nutzer, die offenbar keine große Lust verspüren, instrumentalisiert zu werden oder doch vor verschlossenen Türen zu stehen. Seit dieser Woche steht der chinesische Konkurrent Xiaohongshu an der Spitze der Download-Charts in den USA.
Noch ist dieses Szenario nicht bestätigt. Aber seit Zuckerbergs Kotau ist auch in der digitalen Welt nichts mehr unmöglich.
Eine interessante Lektüre unseres Briefings wünscht
Ihr
Holger Schmidt