Mit dem Rentenpaket II der Bundesregierung, das Ende Mai 2024 in den Bundestag eingebracht werden soll, wird das sogenannte «Generationenkapital» gesetzlich geregelt. Es bindet erstmals den Kapitalmarkt zu Teilen in die Finanzierung der Deutschen Rentenversicherung ein. Auch wenn es sich dabei um eine deutlich abgeschwächte Form der von der FDP 2021 vorgeschlagenen «Aktienrente» handelt, so ist das weiterhin scharf zu kritisieren. Kapitaldeckung ist der Gesetzlichen Rentenversicherung (GRV) nämlich systemfremd.
Wie funktioniert die Rente bisher?
Doch von vorne. Das Alterssicherungssystem ist für Angestellte auf drei Schichten aufgebaut: Die erste Schicht ist die der Gesetzlichen Rentenversicherung (GRV), die zweite Schicht ist die der betrieblichen Altersversorgung und die dritte die der privaten Altersvorsorge. Bei der ersten Schicht war der Kapitalmarkt bisher nicht beteiligt. Die Gesetzliche Rentenversicherung funktioniert nach dem Umlageverfahren. Die Arbeitnehmer*innen und die Arbeitgeber*innen zahlen paritätisch, also zu gleichen Teilen Beiträge aus dem Bruttolohn bzw. zusätzlich zum Arbeitnehmerbrutto der Beschäftigten ein. Aus diesen Einnahmen werden dann die aktuellen Renten finanziert. Auf diese Weise ermöglicht das Umlageverfahren eine Anpassung der Renten an das Lohnniveau. In die beiden letzteren Schichten ist der Kapitalmarkt bereits durch unzählige Anlagemodelle integriert, mit denen die Anbieter*innen der Betriebsrenten und privater Versicherungen die Auszahlungen der späteren «Renten» finanzieren.
Dipl.-Soz.Wiss. Matthias W. Birkwald MdB ist renten- und alterssicherungspolitischer Sprecher der Linken im Bundestag und ihr Obmann im Ausschuss für Arbeit und Soziales, die Volljuristin Olga Jablonka ist wissenschaftliche Mitarbeiterin im Büro Birkwald.
Nun fließen in die Finanzierung der GRV aber nicht nur die Beiträge, sondern auch noch Beiträge des Bundes und mehrere Bundeszuschüsse aus Steuermitteln. Letztere dienen nicht etwa dazu, ein durch mangelnde Einnahmen gerissenes Loch der Rentenkassen zu stopfen. Die Bundeszuschüsse finanzieren Leistungen, die als versicherungsfremd bezeichnet werden und von den Beitragseinnahmen nicht gedeckt sind. Dazu zählen zum Beispiel die Anrechnung der Kindererziehungs- oder der Ausbildungszeiten sowie der Ersatzzeiten für Kriegsfolgen. Die Beitragszahler*innen sollen dafür aus Gerechtigkeitsgründen und wegen der Beitragsäquivalenz nicht aufkommen müssen. Das Äquivalenzprinzip bedeutet schlicht: wer mehr Beiträge im Erwerbsleben gezahlt hat, erhält eine höhere Rente, wer weniger gezahlt hat, eine niedrigere. Es geht also um die Entsprechung gezahlter Rentenbeiträge mit dem späteren Rentenanspruch.
Beim Umlageverfahren wirkt sich der demografische Wandel unmittelbar und unweigerlich auf die Finanzierung aus. Allerdings ist dafür nicht nur das Verhältnis der Beitragszahler*innen zu den Rentner*innen entscheidend. Hier spielen viele weitere Faktoren eine Rolle, insbesondere die Lohnentwicklung und die steigende Arbeitsproduktivität sowie die Zahl der erwerbslosen und der zugewanderten Menschen. Dass die geburtenstarke Babyboomer-Generation seit 2019 das Rentenalter erreicht hat, stellt das Umlageverfahren vor besondere Herausforderungen.
Die «Aktienrente» soll das Gespenst der Finanzierungslücke vertreiben
In den Debatten um die Finanzierbarkeit der Renten wird vor allem mit den vermeintlich explodierenden Bundeszuschüssen ein Schreckgespenst an die Wand gemalt. Bei der Nennung der Größenordnung von rund 85 Milliarden Euro bleibt gerne unerwähnt, dass es sich hier um lediglich 22 bis 23 Prozent der Einnahmen der Deutschen Rentenversicherung handelt *. Eine Größenordnung, die im Verhältnis zu den Haushaltsausgaben und zum Bruttoinlandsprodukt seit Jahren stabil bleibt. Dass sie für die versicherungsfremden Leistungen noch nicht einmal ausreicht und dafür Beitragseinnahmen hinzugezogen werden müssen, wird ebenfalls gerne verschwiegen.
Um also dieses Problem der Finanzierbarkeit zu lösen, wollte die FDP eine «Aktienrente nach schwedischem Vorbild» einführen und die Beitragszahler*innen direkt in die Anlagen einbinden. Im Jahr 2021 stellte die FDP ihr Modell vor, das das Umlageverfahren umfassend ergänzen sollte, indem die Versicherten zwei Prozent ihres Bruttoeinkommens in einen staatlichen Aktienfonds einzahlen sollten. Die Versicherten würden über ein individuelles Konto verfügen. Mit den eingezahlten Geldern sollte der Fonds auf dem Aktienmarkt investieren (Bäcker/Schäfer in Soziale Sicherheit 4/2021, S. 150ff.).
Die SPD stellte sich jedoch völlig zu Recht gegen eine derart umfassende Abwendung vom Umlageverfahren. Als Bundesfinanzminister der Ampel-Koalition entwickelte Christian Lindner mit dem «Generationenkapital» eine abgeschwächte Version, die die Versicherten nicht mehr einbezog. Nach seiner Vorstellung soll nun durch den Bund Schulden aufgenommen und dieses Geld in einer unabhängigen Stiftung am Aktienmarkt angelegt und über Jahre vermehrt werden. Zinsdifferenzgeschäft nennt er das. Viele würden es zocken nennen.
Aus den Renditen der gebildeten Rücklagen könne dann ab Ende der 2030er Jahre Geld an die Deutsche Rentenversicherung gezahlt werden, um den Anstieg der Rentenbeiträge zu dämpfen und die daran gekoppelten Bundeszuschüsse zum Teil zu kürzen, um den Bundeshaushalt zu entlasten. Über die nächsten fünfzehn Jahre hinweg sollen nach den Plänen des FDP-Chefs insgesamt 200 Milliarden Euro eingezahlt werden. Im Koalitionsvertrag waren dafür bisher nur Kredite (!) in Höhe von zehn Milliarden Euro für den Bundeshaushalt 2023 vorgesehen. Eingezahlt wurden diese ersten zehn Milliarden jedoch nicht. Nach dem Haushaltschaos durch das Urteil des Bundesverfassungsgerichts soll es nun in diesem Jahr mit zwölf Milliarden Euro auf Pump losgehen. Vorbild und Verwalterin dieser Stiftung soll zunächst der 2017 eingerichtete «Fonds zur Finanzierung der kerntechnischen Entsorgung» (KENFO) sein, der eine Summe von 24,1 Milliarden Euro kontrolliert, die von den Betreibern der deutschen Kernkraftwerte eingezahlt wurden, um dem Bund jährlich einen dreistelligen Millionenbetrag für die Kosten der Zwischen- und Endlagerung zu erstatten. Anlagekriterien für das sogenannte «Generationenkapital» sind noch nicht festgelegt.
Das «Generationenkapital» bringt kaum finanzielle Vorteile
Ein befürchteter umfassender Paradigmenwechsel weg vom Umlageverfahren der ersten Schicht hin zu einer echten kapitalgedeckten Rentenfinanzierung scheint zunächst abgewendet. Dass Herr Lindner dieses Ziel aber immer noch verfolgt, betont er oft und gerne, etwa beim sogenannten «Kick-off-Even» seines Bundesfinanzministeriums im Januar 2023. Deshalb muss eine Kritik am «Generationenkapital» immer auch die Warnung vor einer weitergehenden Einbeziehung des Kapitalmarktes hin zu einer «Aktienrente» beinhalten.
Mit Finanzminister Lindners aktuellen Plänen kann der Bundeshaushalt nicht signifikant entlastet werden – darin sind sich alle einig. Die teilweise versprochene Entlastung der Versicherten um einen halben Beitragssatzpunkt kann nach Berechnungen des Deutschen Gewerkschaftsbundes (Hofmann/Schäfer in: Soziale Sicherheit 2/2023, S. 64ff.) selbst in einem optimistischen Szenario für den Renditenverlauf nicht erreicht werden. Zwar könnten bei fünf Prozent Rendite ab 2038 Zuschüsse von 10,5 Milliarden Euro erwirtschaftet werden, was heute der Finanzierung eines Beitragssatzpunktes entspricht. In 15 Jahren ist das aber nicht mehr der Fall, denn die Beitragseinnahmen steigen jedes Jahr um rund drei Prozent an, sodass es dann nur noch ungefähr einem halben Beitragssatzpunkt entsprechen würde. Hinzu kommt, dass die zu erwartenden Kosten, die die Kapitalanlage mit sich bringen würde, bisher nicht mit einberechnet werden konnten. Somit dürfte das sogenannte «Generationenkapital» kaum mehr nutzen als der sprichwörtliche «Tropfen auf dem heißen Stein». Selbst Fans einer kapitalgedeckten Rente zeigen sich enttäuscht. Zu Recht, denn es sollen nach dem aktuellen Referentenentwurf nun nur noch 0,3 Prozentpunkte bzw. 0,4 Prozentpunkte Beitragssatzdämpfung ab 2040 bzw. ab 2045 werden. Das wären in heutigen Werten und Preisen zweieinhalb bzw. dreieinhalb Kölsch. Donnerwetter!
Darüber hinaus bietet diese Rentenreform auch keine Lösung für die demografischen Herausforderungen. Die Annahme, die Bevölkerungsentwicklung spielte bei der Kapitaldeckung keine Rolle, ist ein Irrglaube. Denn die erwerbstätigen Generationen müssten die Renditen ja ebenfalls erwirtschaften. Sowohl die Renten aus dem Umlageverfahren als auch die Renten aus dem Kapitaldeckungsverfahren müssen immer von der jeweils arbeitenden Bevölkerung erwirtschaftet werden. Das Brötchen des Jahres 2024 wird im Jahre 2054 völlig ungenießbar sein. Es gilt das «Mackenroth-Theorem», d.h. die Sozialausgaben einer Volkswirtschaft müssen immer auch aus dem laufenden Volkseinkommen erbracht werden. Abgesehen davon: Der geburtenstärkste Jahrgang 1964 wird regulär ab 2031 in Rente gehen, doch die Renditen aus dem «Generationenkapital» sollen erst ab allerfrühestens 2037 oder später ausgezahlt werden.
Rentenspekulation: riskant, intransparent und folgenreich
Doch wer trägt die mit dem Einstieg in die kapitalgedeckte Alterssicherung verbundenen Risiken? Für die Anlageverluste beim «Generationenkapital» wird es dann weniger Dämpfung der Beitragssätze geben – in dem Sinne haften die Versicherten. Doch sollte es tatsächlich zur Einbindung der Beiträge kommen, wie Christian Lindner sich das vorstellt, sind zusätzliche individuelle Risiken für die Rentner*innen zu erwarten. Johannes Geyer vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) weist darauf hin, dass eine kapitalgedeckte Altersversorgung insbesondere auch dazu führen könne, dass eine Koppelung der Renditeentwicklung an die Löhne nicht erwartet werden dürfe. Denn für die aktuellen Zinsvorstellungen gibt es keine Garantien. Damit wäre die bisher durch das solidarische Umlageverfahren garantierte jährliche Rentenanpassung in Gefahr. Dazu darf es nicht kommen!
Außerdem stellt sich die Verteilungsfrage: Wer erwirtschaftet die Renditen des «Generationenkapitals»? Und wer ist an den damit verbundenen Anlageentscheidungen beteiligt? Camille Logeay von der Hochschule für Wirtschaft und Technik Berlin argumentiert, das Kapitaldeckungsverfahren führe letztlich «nicht zu mehr Verteilungsmasse, sondern verteilt das Gleiche, was auch das Umlageverfahren verteilt, nur auf eine unklarere Weise».
Doch die Kapitaldeckung ist nicht nur intransparenter, sie bringt auch weiterreichende Folgen mit sich. Wird das Geld beispielsweise im Wohnungsmarkt angelegt, profitiert die kapitalgedeckte Rente von steigenden Mieten, denn es soll ja Rendite erwirtschaftet werden. Solche und andere zweifelhaften Investments werden aktuell auch schon bei den Anlagemodellen des KENFO kritisiert. Vage versprochene Nachhaltigkeitskriterien, die es bisher noch nicht einmal in den Referentenentwurf des «Rentenpakets II» geschafft haben, werden das nicht auflösen können.
Die umlagefinanzierte Rente ist besser als ihr Ruf
Mit dem «Generationenkapital» werden weder Finanzierungsprobleme nachhaltig angegangen, noch andere aktuelle Rentenprobleme, wie das der steigenden Altersarmut, gelöst. Im Gegenteil: Die Risiken der Kapitalmarktdeckung schaffen zusätzlich neue, heute noch nicht absehbare Probleme und machen die Alterssicherung in Deutschland intransparenter. Und wofür das Ganze? Damit Christian Lindner ein schickes Aktienprojekt vorweisen kann und der Kreis derer, die davon profitieren, um weitere Unternehmen erweitert wird?
Nicht zuletzt wird damit verleugnet, dass das Umlagesystem die Renten in Deutschland bisher zuverlässig, stabil und vor allem kostengünstig finanziert hat – die Verwaltungskosten der Deutschen Rentenversicherung belaufen sich auf 1,3 Prozent ihrer Einnahmen; bei privaten Versicherungen belaufen sich diese oft auf zehn bis 25 Prozent ihrer Einnahmen. Das umlagefinanzierte Rentensystem trug die Rentner*innen sicher durch alle Finanzkrisen und überstand auch die lang anhaltende Niedrigzinsphase. Zudem bietet es die Möglichkeit, die dringenden Probleme in der Rente zu lösen, wenn es denn politisch gewollt wäre.
Durch eine Rückkehr zu einem Rentenniveau von 53 Prozent, wo es vor den Kürzungen der Agenda 2010 lag, würden alle Renten sofort und einmalig um zehn Prozent angehoben werden. Das kostete einen Durchschnittsverdiener und seine Chefin gerade einmal ein Prozent des Bruttolohnes; in aktuellen Werten sind das jeweils nur 38,12 Euro. Außerdem ist eine Umwandlung in eine Erwerbstätigenversicherung, in die auch Beamte, Freiberufler, Selbstständige und allen voran Bundestagsabgeordnete einzahlen, längst überfällig. Ein gerechtes und solidarisches System für alle Menschen mit Erwerbseinkommen, das wünschen sich viele Menschen in Deutschland. Sehr viele von ihnen sind bereit, dafür auch mehr einzuzahlen, denn sie wissen, dass die Alternative nur noch schlechtere Renten oder längeres Arbeiten bedeuten würde.
* Die Zahlen sind dem Vortrag von Gundula Roßbach, Präsidentin der Deutschen Rentenversicherung, auf der Jahrestagung der Arbeitsgemeinschaft für betriebliche Altersversorgung e.V. am 14.05.24 entnommen.