Biodiversität als entscheidender Resilienzfaktor für Unternehmen

Biodiversität als entscheidender Resilienzfaktor für Unternehmen

Der Verlust der biologischen Vielfalt wurde im Global Risks Report 2021 des Weltwirtschaftsforums zum zweiten Mal in Folge als eines der fünf größten Risiken in Bezug auf Wahrscheinlichkeit und Auswirkungen eingestuft. Unternehmen sollten jetzt handeln, um ihre Auswirkungen auf die biologische Vielfalt zu messen und abzumildern, denn zukünftig könnte sehr schnell Kapital von all jenen Unternehmen abgezogen werden, die natürliche Ressourcen verbrauchen oder negative Auswirkungen auf die biologische Vielfalt haben. Gleichzeitig fordern immer mehr Handelsketten sowie die kommende Gesetzgebung der EU ein, dass Unternehmen ihre Risiken und Chancen im Bereich der biologischen Vielfalt verstehen, Rechenschaftspflicht ablegen und ihr Handeln offenlegen.


Doch was genau ist Biodiversität und warum ist sie auch Grundlage für ein resilientes Unternehmen?

„Der Mensch kann Bäume pflanzen, aber keinen Wald“, das schreibt die Biologin Frauke Fischer in ihrem Buch „Was hat die Mücke je für uns getan?“, denn der Wald ist sehr viel mehr als mehrere Bäume, er ist nämlich ein Ökosystem, das aus vielen Interdependenzen besteht.

Wenn wir von Biodiversität sprechen, so sprechen wir immer vom Dreiklang der Variabilität innerhalb einer Art, der Vielfalt von Arten und der Vielfalt von Ökosystemen. Biodiversität ist für Ökosysteme eine Frage des Überlebens. Klar wird dies, wenn wir die Grundprinzipien der Biodiversität auf ein menschengemachtes System übertragen. Ziehen wir als Beispiel das Ökosystem einer Stadt heran. Eine Stadt besteht aus Gebäuden, Infrastruktur, Kommunikation u.a.m. Nun nehmen wir mal an, Ihre Toilette ist verstopft, in Ihrer Stadt gibt es aber nur Bäcker. Oder es gibt keine Möglichkeit zu kommunizieren, weil es keine Post oder kein Internet oder Telefon gibt. An diesem simplen Beispiel ist schnell verständlich, warum ein funktionierendes Ökosystem Diversität braucht und warum ein Ökosystem, z.B. ein Wald, nicht nur aus Bäumen bestehen kann, sondern aus vielen diversen Teilnehmern, um in der Gesamtheit resilient zu sein.

Das Jahr 2020 war laut einer international stark diskutierten Studie ("Global human-made mass exceeds all living biomass" Elhacham u.a.) das erste Jahr, in dem die von Menschen gemachten Produkte vom Gewicht her auf diesem Planeten mehr ausmachten als natürliche Biomasse. Diese Entwicklung ist besorgniserregend und kann zu einer Illusion führen, dass wir ohne die Natur und die Artenvielfalt leben können.

Tatsächlich basieren laut World Economic Forum (WEF) mehr als die Hälfte des von Menschen geschaffenen Bruttosozialproduktes direkt auf Leitungen aus der Natur. Das heißt unser Wirtschaftswachstum würde rein mathematisch ohne Natur auf 50 % zurückgehen. Faktisch würde sie aber natürlich auf null zurückgehen, denn ohne Natur gibt es kein Leben. Wenn wir von den Leistungen der Natur und ihrer Biodiversität sprechen, dann betrachten wir die Natur als Dienstleister, weshalb man von Ökosystemdienstleistungen spricht, wovon man zumindest vier verschiedene Arten von Versorgungsleistungen durch die Natur kennt:

  1. Rohstoffe/Produkte, die wir direkt aus der Natur entnehmen, wie einen Festmeter Fichtenholz oder eine Tonne Thunfisch
  2. Regulationsleistung der Natur, wie das Reinhalten von Luft und Wasser oder das Fernhalten von Viren
  3. Kulturelle Leistung der Natur, in der wir Erholung und Inspiration finden – als Basis für die Freizeitgestaltung und den Tourismus
  4. Photosynthese, als Sauerstoffquelle und Basis des Atmens

Einige dieser Leistungen der Natur können wir bis heute technisch nicht ersetzen (z.B. die Photosynthese oder die Bereitstellung von fruchtbarem Boden) und wenn wir es schaffen (z.B. die Reinigung von Wasser durch technische Filter, das Bestäuben von Pflanzen durch eine Roboterbiene), so ist die technische Lösung zumeist wesentlich teurer.


Erhalt der Biodiversität als Grundbedingung für unternehmerische Resilienz.

Nur wenige Pionierunternehmen verfolgen bislang glaubwürdige Biodiversitätsstrategien mit soliden Biodiversitätszielen. Dies könnte sich aber schnell ändern. Hierfür gibt es mehrere Gründe:

1. Investoren lenken Kapital um

Für Unternehmen, die negative Auswirkungen auf die biologische Vielfalt verursachen, könnte es schwieriger werden, Kapital zu erhalten. Denn immer mehr Investoren und Banken haben damit begonnen, Biodiversitätskriterien in ihre Überlegungen mit einzubeziehen, um der regulatorischen Kurve einen Schritt voraus zu sein und um sicher zu gehen, dass sie nicht gestrandeten Vermögenswerten ausgesetzt sind, die durch fortschreitende Biodiversitätsvorschriften entstehen. Aus diesem Grund könnte schon sehr bald Kapital von Unternehmen, die direkt oder indirekt negative Auswirkungen auf die biologische Vielfalt verursachen, in solche umgelenkt werden, die "naturfreundlich" sind.

Auch eine Vielzahl neuer Regulierungsansätze sind auf internationaler, europäischer und nationaler Ebene angekündigt und zu erwarten, darunter strenge Regeln für die kommerzielle Nutzung bestimmter Flächen, Subventionsreformen, Steuern und Geldstrafen, die Umsetzung wissenschaftlich fundierter Ziele und Handelsrichtlinien.

 

2. Auswirkung von Biodiversität auf den Unternehmenserfolg

Der Zusammenbruch von Ökosystemen könnte erhebliche betriebliche Risiken mit sich bringen. Die Finanzinitiative des Umweltprogramms der Vereinten Nationen fand heraus, dass 13 der 18 Sektoren mit Produktionsprozessen verbunden sind, die eine hohe oder sehr hohe materielle Abhängigkeit von der Natur aufweisen. Ihr nach bedeutet das, dass jedes fünfte Unternehmen infolge des Zusammenbruchs von Ökosystemen mit erheblichen Betriebsrisiken konfrontiert sein könnte. Diese wesentlichen Naturrisiken können typischerweise mit den folgenden Faktoren in Verbindung gebracht werden:

-         Abhängigkeit: Wenn ein Unternehmen im Rahmen seines Geschäftsmodells direkt von der Natur abhängig ist (z.B. in Bezug auf Frischwasser, Bestäubung oder produktive Böden), könnte dies seine finanzielle Leistungsfähigkeit beeinträchtigen. Beispielsweise sollten Getränkehersteller über eine verlässliche Frischwasserversorgung verfügen, Lebensmittelhersteller sind auf die Stabilität von Nutzpflanzen und Ackerland angewiesen, und Biopharmaunternehmen sind auf Ökosysteme angewiesen, um neue Quellen für Medikamente zu erschließen.

-         Auswirkungen: Der Verlust der biologischen Vielfalt fließt in verschiedene ESG-Risikoarten ein und kann sich direkt auf Unternehmen auswirken, indem er ihre Lieferketten unterbricht, die Kosten für die Einhaltung von Vorschriften erhöht und die soziale Lizenz zum Betrieb (SLO) eines Unternehmens untergräbt.

 

Risiken in Bezug auf die biologische Vielfalt lassen sich berechnen.

Die Risiken in Bezug auf die biologische Vielfalt lassen sich in ähnlicher Weise berechnen wie die Risiken des Klimawandels. Man unterscheidet hier im Wesentlichen drei verschiedene Risiken:

1. Physische Risiken

Hierbei handelt es sich um Schäden an Sachwerten oder den Verlust von Ökosystemleistungen, die für Produktionsprozesse notwendig sind. Beispiele hierfür sind Verluste in der Landwirtschaft durch verminderte Bestäubung durch Insekten und Verluste in der Medizin und im Technologiesektor durch verminderte genetische Biodiversität, die Forschung und Entwicklung behindert.

2. Risiken des Übergangs

Dazu gehören politische Veränderungen, rechtliche Entwicklungen und technologische Veränderungen. Da mehrere Interessengruppen im UN-Übereinkommen über die biologische Vielfalt (CBD) dazu auffordern, ein globales Ziel für eine positive Naturbilanz bis 2030 und die vollständige Wiederherstellung der Natur bis 2050 anzustreben, werden diese Risiken mit zunehmender Wahrscheinlichkeit eintreten.

3. Störungsrisiken

Hierbei handelt es sich um Risiken, bei denen die Beeinträchtigung der Natur zu einer Störung der Gesellschaft oder der Märkte führt, z.B. wenn die Beeinträchtigung natürlicher Lebensräume wie im Beispiel von Covid zum Ausbruch einer Zoonose führt.

 

 

3.      Die Chancen eines richtigen Umgangs mit Biodiversität für Unternehmen

Überlegungen zur biologischen Vielfalt können wesentlich dazu beitragen, die Wertschöpfungskette widerstandsfähiger zu machen. Im Zuge des weltweiten Übergangs zu einer kohlenstoffarmen Wirtschaft wird von Unternehmen zunehmend erwartet werden, dass sie nicht nur ihre Dekarbonisierungsstrategien nachweisen, sondern auch, wie sie negative Auswirkungen auf die biologische Vielfalt reduzieren (und idealerweise verbessern).

Dazu wird z.B. in der EU-Taxonomie auch gehören, dass sie offenlegen, wie sie Geschäftspraktiken eingeführt haben oder einführen wollen, die mit der nachhaltigen Nutzung und Bewirtschaftung von Naturkapital, einschließlich Luft, Wasser, Land, Mineralien und Wäldern, vereinbar sind. So wie die Unternehmen bestrebt sind, einen Kohlenstoffpreis in die Entscheidungsfindung mit einzubeziehen, sollten sie auch jetzt schon formale Naturkapitalkonten einrichten, um Innovation und Erhaltung und Planung von Ökosystemleistungen zu unterstützen.

Die biologische Vielfalt ist das Lebenserhaltungssystem der Menschheit. Sie ist die Grundlage des weltweiten Nahrungsmittelsystems, erhält die Qualität der Luft, des Süßwassers und der Böden, verteilt Süßwasser, reguliert das Klima, sorgt für Bestäubung und Schädlingsbekämpfung, absorbiert Kohlenstoffemissionen und reduziert die Auswirkungen von Naturgefahren.

Wenn wir lernen, unsere biologische Vielfalt zu erhalten, wiederherzustellen und fair und nachhaltig zu nutzen, dann werden wir auch weiterhin Zugang zu einer Reihe wunderbarer natürlicher Ressourcen haben. Nicht nur jetzt, sondern auch für viele weitere Generationen.

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