Regisseurin Angelika Zacek :
„Die MeToo-Bewegung läuft sich nicht tot“

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Am Sonntag war Premiere: Angelika Zacek hat „Prima Facie“ in Marburg auf die Bühne gebracht.
Eine Juristin, die wegen sexueller Übergriffe angeklagte Männer vertritt, wird von einem Kollegen vergewaltigt – davon handelt das Stück „Prima Facie“. Ein Gespräch mit Regisseurin Angelika Zacek über sexualisierte Gewalt gegen Frauen.
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Frau Zacek, Sie sind Regisseurin, waren fünf Jahre lang Vorsitzende von Pro Quote Bühne und inszenieren gerade im Hessischen Landestheater in Marburg den Monolog „Prima Facie“: Eine Juristin, die sich zur Topstrafverteidigerin hochgearbeitet hat und Männer vertritt, die wegen sexueller Übergriffe angeklagt sind, wird selbst, nach anfangs einvernehmlichem Sex, von einem mächtigen Kollegen vergewaltigt. Im Prozess wird dann ihr Glaube an die Justiz erschüttert. Aber das ist doch das klassische Dilemma solcher Fälle: Es steht Aussage gegen Aussage.

So ist es. Aber die Anwältin erlebt in ihrer neuen Rolle als Opfer und einzige Zeugin das Rechtssystem ganz anders. Die sehr niedrige Verurteilungsrate bei Sexual­delikten liegt natürlich an der Schwierigkeit, dass ein Übergriff nur schwer zu beweisen ist. Auf der anderen Seite ist das Stück „Prima Facie“ der australischen Autorin Suzie Miller ein Beleg dafür, dass Gesetze vorwiegend von Männern geschrieben wurden, die wenig wissen über Frauenkörper und psychologische Vorgänge vor, während und nach einer Vergewaltigung. Dissoziation, Sprachlosigkeit, Ängste, Aggression und Autoaggression, Traumatisierung, Schuldgefühle, Posttraumatische Belastungsstörung sind die Folgen von sexualisierter Gewalt. In einem Gerichtsverfahren auszusagen ist sehr anstrengend und führt zu einer Retraumatisierung. Das „Victim Blaming“ der Betroffenen, die sich ungern als Opfer bezeichnen lassen wollen, zeigt, wie tief Frauenfeindlichkeit im Unterbewusstsein sitzt.

Der Fall des Berliner Grünen-Politikers Stefan Gelbhaar, aber nicht nur er, zeigen freilich auch die Möglichkeit von falschen Verdächtigungen mit sehr weitreichenden Konsequenzen.

Ja, leider wird die durch die MeToo-Debatte hervorgerufene wachsende Wahrnehmung für Übergriffe missbraucht. Selbstverständlich gilt die Unschuldsvermutung. Ein faires, rechtsstaatliches Verfahren ist unabdingbar.

Hat die MeToo-Bewegung sich auch durch solche Fälle totgelaufen?

Nein. Solange bei Vergewaltigungen, sexuellen Übergriffen und sexueller Nötigung in Partnerschaften die Opfer zu mehr als 95 Prozent weiblich sind, jeden dritten Tag in Deutschland eine Frau durch Gewalt in einer Beziehung getötet wird, solange kann nur von einem Anfang der MeToo-Debatte gesprochen werden. Der Fall Pelicot in Frankreich, also die massenweise Vergewaltigung einer bewusstlosen Frau durch anerkannte Mitglieder der bürgerlichen Gesellschaft, zeigt, wie drängend das Problem noch ist.

Was hat die Debatte bisher bewirkt?

Bei allen möglichen, auch negativen Begleit­erscheinungen: Die Bewegung hat offengelegt, wie tief sexualisierte Gewalt gegen Frauen in unserer Kultur verankert ist. Sie offenbart eine Gesellschaft, deren Bewusstsein für Übergriffigkeit langsam steigt. Auch der Mut und die Bereitschaft wächst, Missstände anzusprechen. Es wurden Anlaufstellen und externe Vertrauensstellen geschaffen, ein Verhaltenskodex platziert, ­Awareness-Konzepte beschlossen.

Zählt zu den Folgen von MeToo eine mitunter auch übertriebene Aware­ness?

Nein. Allerdings ersetzt ein gesteigertes Bewusstsein nicht den Faktencheck und die gründliche Recherche.

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