Absagen im Handball : Familienidyll statt Titelkampf

Wie gut sind Beruf und Familie vereinbar? Einige Handballprofis wollen sich lieber um ihre Kinder kümmern, als bei der EM zu spielen. Der Verband muss dringend Lösungen finden.
Den Deutschen Handballbund (DHB) hat ein Thema erreicht, das Mütter und Väter jeden Tag beschäftigt: die Vereinbarkeit von Familie und Beruf. Oder ist es die Unvereinbarkeit? Die Nationalspieler Fabian Wiede und Patrick Groetzki verzichten auf die Europameisterschaft im Januar, weil sie sich um ihre Kinder kümmern wollen – und müssen. Noch schmerzlicher waren die Verluste, die Bundestrainer Alfred Gislason bei der WM zu Beginn dieses Jahres in Ägypten aus gleichem Grund hinnehmen musste: Hendrik Pekeler und Steffen Weinhold. Die Kieler blieben zu Hause, weil dort drei (Pekeler) und zwei (Weinhold) Kinder zu versorgen waren. Das wollten die erfahrenen Profis nicht ihren Frauen überlassen.
Es ist überfällig, dass Männer Verantwortung in Haushalt und Erziehung übernehmen; Elternzeit und Vätermonate sind für Handballprofis aber nicht machbar. Oder besser: Vätermonate sind machbar. Aber auf Kosten der Nationalmannschaft.
„Wir wollen gemeinsam die Bedingungen für die Familien verbessern“
Immerhin haben der Deutsche Handballbund und der Ligaverband HBL das Thema identifiziert: „Wir wollen gemeinsam die Bedingungen für die Familien verbessern“, sagt DHB-Sportvorstand Axel Kromer, „vielleicht denken dann weniger Spieler darüber nach, ihre Nationalmannschaftskarrieren so früh zu beenden.“ Auf dem Weg zu einem modernen Dienstleister macht sich der DHB die richtigen Gedanken.
Für den Moment aber leidet das sportliche Niveau. „Es ist der bestmögliche Kader unter diesen Umständen“, sagte Gislason, als er am Dienstag die 19 Spieler für die EM in Ungarn und der Slowakei vorstellte: „Ich bin natürlich nicht begeistert von den Absagen.“ Er hat nun eine junge, hungrige Mannschaft mit vielen Anfängern. Schon das Erreichen der Hauptrunde wäre ein Erfolg. Andererseits sind es willige Spieler, die den Stamm bis zur EM 2024 in Deutschland bilden sollen – Aufbruchstimmung ist vorhanden.
Neidisch und ein wenig verärgert schaut der DHB auf Spanien, Frankreich und Kroatien, wo ältere Spieler selbstverständlich Jahr für Jahr bei WM oder EM die Knochen hinhalten. Auch bei den Skandinaviern ist die Begeisterung für die Landesauswahl groß. Dabei sind ihre Bundesligaprofis ähnlich belastet.
Da muss also mehr sein. Etwa, dass das Nationalteam durch schwache Platzierungen seit 2016 an Zugkraft verloren hat. Bei einem Titelfavoriten möchten Spieler lieber dabei sein als bei einem Mittelklasse-Team.
Langfristig können nur die Reduzierung der Liga und weniger internationale Wettbewerbe weiterhelfen, mehr Zeit in den Familien und mehr Lust auf den DHB zu verschaffen. Doch hier dreht sich der Handball seit Jahren im Kreis. Gislason tut insofern gut daran, seine Aufgabe pragmatisch zu nehmen. Die wirklich besten Spieler wird er als Bundestrainer vermutlich nie trainieren.