Im Projekt „Farm“ am Bodensee treffen Kunst und Design auf Bauernhof

Eine Gruppe junger Designer und Künstler aus Stuttgart, Köln, Berlin trifft auf einen Demeter-Bauernhof am Bodensee. Dass aus dieser ungewöhnlichen Konstellation etwas Fruchtbares werden kann, zeigt das Projekt „Farm“. Möbel, Leuchten, Brot und Kunstwerke, auf dem Hofgut Rimpertsweiler entstanden und noch bis 24. September dort ausgestellt. Im Interview erklären die Initiatoren, Nils Körner und Patrick Henry Nagel vom Designstudio Haus Otto, und der Hofbäcker Svende Schlingmann, wie die Zusammenarbeit über die Disziplinen hinweg funktioniert. Herr Körner, Herr Nagel. Warum kommt man als Designer auf die Idee, auf einem Bauernhof zu arbeiten? Patrick Henry Nagel: Der Ausgangspunkt war die Idee, eine Ausstellung zu initiieren mit aktuellen und jungen Positionen aus Deutschland, Positionen an der Schnittstelle von Kunst und Design. Fernab von gewohnten Strukturen und dem Alltag in der Stadt haben wir nach einem inspirierenden Ort gesucht, an dem unterschiedliche Menschen und Disziplinen zusammenkommen können. Sowohl in der Landwirtschaft wie auch im Design beschäftigt man sich mit der Produktion, mit Materialkreisläufen – es wird etwas gestaltet. Wir fanden es spannend, vermeintliche Gegensätze zusammenzubringen und über Gemeinsamkeiten nachzudenken. Ausstellungen finden häufig in relativ sterilen Museums- oder Galerieräumen statt, man darf nichts anfassen, und die Arbeiten haben meistens keinen Bezug zum Ort. In der Farm-Ausstellung können die Objekte dagegen benutzt werden. Und dann gibt es Workshops, in denen Menschen aktiv an dem Projekt teilhaben können. Was waren im Team des Hofguts die ersten Reaktionen, als die jungen Designer sich meldeten? Svende Schlingmann: Gute Frage. Erst mal: Das klingt spannend. Wir sind ein relativ junger Hof, die Menschen in den verantwortlichen Positionen sind maximal 40 Jahre alt. Auf dem Hof ist in den vergangenen Jahren viel passiert, wir haben immer Lust auf was Neues. Aber für viele von uns war natürlich nicht direkt greifbar, was die Gruppe konkret vorhat. Bei uns ist das anders, wir bauen Getreide an und Gemüse, wir backen Brot. Da kann sich jeder etwas darunter vorstellen. Wie sind Sie als Gruppe das Projekt angegangen? Patrick Henry Nagel: In der Anfangsphase haben wir viel individuell recherchiert und digital zusammengearbeitet. Der eigentliche Start des Projekts war dann die erste gemeinsame Woche auf dem Hof im Oktober 2022. Wir konnten die verschiedenen Arbeitsbereiche kennenlernen und in den Alltag auf dem Hof eintauchen. Wie war das, als die Gruppe im vergangenen Jahr auf den Hof kam? Svende Schlingmann: Wir sind ein großer Hof, im Winter arbeiten 20 Leute hier, im Sommer 30 bis 40. Sie müssen alle verpflegt werden und unterkommen, brauchen einen privaten Raum. Die größte Herausforderung war, den Besuch der Gruppe so zu organisieren, dass die Leute, die hier leben, sich nicht übergangen fühlen. Deshalb mussten die acht aus der Gruppe auf die verschiedenen Bereiche aufgeteilt werden. Ein bis zwei Leute haben vormittags beim Kochen geholfen. In der Landwirtschaft ist es auch nicht sinnvoll, mehr als ein oder zwei Leute mitlaufen zu lassen. Bei Gemüse, im Gewächshaus oder auf dem Acker dagegen, da kann man immer viele Hände gebrauchen. Wie haben Sie den Alltag auf dem Hofgut erlebt? Patrick Henry Nagel: Die Idee der Woche war, aufzusaugen, zu lernen, Fragen zu stellen … Wir waren positiv überrascht, wie hilfsbereit und offen alle waren. Nils Körner: Das war ein schöner Moment. Wir wurden von der Hofgemeinschaft aufgenommen, wir haben zusammen zu Abend gegessen, viel gelacht und sind inhaltlich tiefer eingestiegen. Wie haben Sie die Objekte entwickelt? Nils Körner: Nach der Woche haben wir uns als Gruppe regelmäßig online ausgetauscht und ansonsten selbständig in unseren Studios und Ateliers Ideen entwickelt. Svende hat die Kommunikation mit dem Hof gemanagt. Im Mai dieses Jahres waren wir dann noch mal für einige Tage auf dem Hof und haben unsere Ideen getestet und umgesetzt. Welche der Objekte sind besonders bemerkenswert? Svende Schlingmann: Nils, Patrick und ich haben zusammen ein Endless Bread gestaltet. Die beiden haben eine Form entwickelt, mit der man einzelne Brotlaibe ineinander stecken und eine Kette schaffen kann. Zur Vernissage war das Brot drei oder vier Meter lang und wurde zur Eröffnung feierlich mit den Besuchern geteilt. Was ich auch sehr gelungen finde, ist die Gemeinschaftsarbeit der Gruppe: das Mobiliar für unsere Scheune. Sie haben aus alten Kästen vom Hof ein modulares Möbelstück kreiert, was man als große Tafel nutzen kann. Und durch einfaches Umstecken auch als Sitzbänke. Nils Körner: Es ist sehr schwierig, einzelne Arbeiten zu nennen, da vor allem das Zusammenspiel der verschiedenen Arbeiten spannend war. Mir persönlich hat aber besonders gut eine der Arbeiten von Studio Œ gefallen: Sie haben sich mit dem Spelz beschäftigt, den Hüllen der Getreidekörner. Diese werden nach der Ernte vorübergehend eingelagert, um sie später als Einstreu zu verwenden. Die Idee war, den Spelz zwischenzunutzen für Sitzgelegenheiten. Dafür haben sie eine Hängematte und eine Art Sitzsack entworfen und mit Spelz gefüllt. Was bleibt vom Projekt über die Ausstellung hinaus? Svende Schlingmann: Physisch bleibt auf jeden Fall der Scheunenraum. Den haben wir ja erst „entdeckt“. Der Raum war die letzten 20 Jahre zugerümpelt. Ich habe viel Arbeit und Energie reingesteckt, den Raum leer zu räumen und mit Technik auszustatten, als Veranstaltungs- und Ausstellungsraum. Das bleibt. Und ideell die Erfahrung, was alles möglich ist. Wenn man sich darauf einlässt, wenn man Lust hat, voneinander zu lernen. Als das Projekt noch nicht greifbar war, war die normale menschliche Reaktion eine gesunde Distanz. Mir ist aufgefallen, dass durch das Kennenlernen und durch die Arbeiten sich viele von uns begeistern konnten. Das kann man in einen größeren Kontext setzen: Wenn man sich mit dem Unbekannten beschäftigt, kann es Spaß machen. Ich fand auch die Möglichkeit spannend, sich mit Fragen auseinanderzusetzen, die einen so umtreiben. Da sehe ich auch meine Rolle: den Raum dafür zu schaffen. Welche Fragen können das sein, die im Alltag auf dem Hof wenig Raum haben? Svende Schlingmann: Eine wesentliche Frage ist: Was ist überhaupt Kunst? Wenn wir in unserem Alltag sind, heißt es einfach nur: arbeiten. Aufstehen, die Arbeit machen, es gibt immer viel zu tun. Da mal rauszukommen und sich zu fragen, welchen Wert hat das Leben jenseits der Arbeit? Haben Sie etwas gelernt für Ihre Arbeit als Designer? Nils Körner: Das Projekt hat uns so richtig bewusst gemacht, dass wir gerne zwei unterschiedliche Welten von Menschen zusammenbringen, um etwas Neues zu erschaffen. Das ist eine soziale Komponente in der Arbeit, die uns viel Spaß macht. Svende Schlingmann: Das Multidisziplinäre ist für unsere gesellschaftliche Zukunft extrem wichtig. Ich glaube, dass wir viel mehr Möglichkeiten brauchen, uns gegenseitig kennenzulernen, wenn wir unsere Gesellschaft gestalten wollen. Wie fruchtbar das funktionieren kann, zeigt dieses Projekt.