Gustav Mahler Jugendorchester : Abschied und Zerfall

Die lange Stille, in die der Pianissimo-Streicherschluss von Mahlers letzter vollendeter Sinfonie mündet, lud sich in der Basilika von Kloster Eberbach stark mit Bedeutung auf.
Gustav Mahlers neunte Sinfonie ist, nicht zuletzt von bedeutenden frühen Interpreten wie dem Dirigenten Willem Mengelberg, als Werk des Abschieds ausgelegt worden. Sozusagen als instrumentales Requiem Mahlers in eigener Sache. Die Wiener Uraufführung 1912 erlebte der Komponist nicht mehr, noch vor der Drucklegung der Partitur starb er. Von den Seufzermotiven des Beginns bis zum Zitat eines eigenen „Kindertotenliedes“ im weltentrückten Adagio-Schluss der Streicher mag vieles diese Deutung nahelegen.
Aber in welcher Sinfonie Mahlers, die monumentale achte vielleicht ausgenommen, geht es eigentlich nicht um Abschied? Dieser Frage ließ sich beim Rheingau Musik Festival in kurzer Zeit nachgehen, weil in Kloster Eberbach zu einem Mahler-Schwerpunkt die dritte, die zweite, also die „Auferstehungs-Sinfonie“, sowie die vierte Sinfonie mit ihrem Schlussgesang vom Hinübergehen ins „himmlische Leben“ erklangen. Am ehesten dieser lichten vierten Sinfonie wollte der Komponist seine neunte an die Seite gestellt sehen, mit deren Aufführung das Gustav Mahler Jugendorchester die Reihe beim Festival nun beschloss.
Kompositorische Modernität
Die Idee vom selbst komponierten Lebensabschied, die Theodor W. Adorno „albern hochtrabend“ fand, stand in der tief ergreifenden Aufführung unter der Leitung von Jakub Hrůša ebenso im Raum wie die in der Akustik der Basilika fast wundersame Offenlegung der Zukunftsgerichtetheit dieses Werks. Die oft kleinteilige Motivik, der Vorrang der Variation vor der musikalischen Durchführung, die Tendenz zur Auflösung wiederum wurden objektiv zwingend erfasst.
Beides, emotionale Tiefe wie die kompositorische Modernität, kam in der hörbar intensiv bis ins Detail einstudierten Interpretation zur Geltung. Jähe Kontraste, Fortissimo-Abstürze im ersten Satz, nur noch brüchige Nachklänge von Ländler und Walzer im zweiten: Jakub Hrůša fasste das Heterogene trotzdem geschlossen ein. Stark gelangen die zahlreichen exzellenten, plastisch wie Reliefs hervorgehobenen Soli von Pauken und Harfen, von den stechend grellen Trompeten oder dem schaurig-kalten Kontrafagott.
Den jungen Musikern war eine tiefe Vertrautheit mit dem Werk anzumerken. Sie mag dadurch begünstigt gewesen sein, dass die Aufführung bereits die siebte im Rahmen einer achtteiligen Europatournee war. Zugleich war deutlich, wie wichtig ein konzeptionell wie schlagtechnisch sicherer Dirigent gerade für die Arbeit mit Jugendorchestern ist. Hrůša, Chefdirigent der Bamberger Symphoniker und in London designierter Musikdirektor der Königlichen Oper Covent Garden, erwies sich dafür als idealer Künstler.
Ein letzter von vielen der hoch kontrolliert ausformulierten musikalischen Gedanken: Die lange Stille, in die der Pianissimo-Streicherschluss mündet, ließen die in ihrer Spielhaltung dafür gleichsam einfrierenden Musiker sichtbar zum Teil des Werks werden – Stille als Überwindung von Abschied und Zerfall.