EM-Kolumne „Bolzplatz“ : United by football

Es muss nicht immer die Fanzone sein. Ein Fußballspiel in der S-Bahn auf dem Smartphone mit syrischem Kommentar zu verfolgen, hat seinen eigenen Reiz. Public viewing mal anders.
Kurz vor 21 Uhr: Verlasse mit einer verspäteten S-Bahn endlich Frankfurt in Richtung Zuhause. Ganz wie in Kurt Tucholskys Gedicht „Augen der Großstadt“ bin ich allein mit meinen Sorgen: Es gibt keine Chance mehr, das EM-Halbfinale Spanien gegen Frankreich gemütlich zu schauen. Das Smartphone lässt sich im in die Jahre gekommenen Waggon nirgendwo aufladen, um wenigstens den Live-Ticker zu verfolgen. Mir kommt plötzlich Tucholsky in den Sinn: „Zwei fremde Augen, ein kurzer Blick. Die Braue, Pupillen, die Lider – Was war das?“
Ein junger Syrer hat mein Dilemma erkannt, stupst mich an und deutet auf sein Smartphone, auf dem gerade das Spiel über einen syrischen Sender übertragen wird. Public Viewing auf fünf Zoll Bildschirmdiagonale reduziert – besser als nichts. Ich bedanke mich und biete dem unbekannten Gegenüber Snacks aus meinem Rucksack an. Der junge Mann schaltet die Kopfhörer ab, damit ich auch in den Genuss des Tons komme. Keine Beschwerden im Zug.
Für die Zeit der EM gelten auch mal andere Regeln. Und dann das: Man hat Fußball nicht erlebt, wenn man nicht einmal arabischen Kommentatoren zugehört hat. „Ein Auge winkt, die Seele klingt“, wie Tucholsky schreibt.
Was zählt es schon, dass ich der Sprache nicht mächtig bin? Die Leidenschaft des syrischen Sprechers, der darauf bedacht ist, so viele Szenen wie menschenmöglich in Worte zu kleiden, ist elektrisierend. Gleiches gilt auch für den jungen Mann neben mir, der kaum Deutsch und nur etwas Englisch spricht, und doch bei denselben Szenen wie auch ich jubelt, raunt oder die Hände in die Luft reißt.
Dann gemeinsames Fluchen: In der Nähe der Flughafens gibt es kurzzeitig kaum Empfang. Als die Verbindung wieder steht, jubeln mein Gegenüber und ich wieder gemeinsam: Kolo Muani hat in der Zwischenzeit in der neunten Minute die Franzosen zur Führung geköpft. Wenig später erzielt Lamine Yamal auf wunderschöne Weise den Ausgleich. Der Syrer sucht nach den passenden Worten. Wir einigen uns auf „perfect“. Kurz darauf endet die Verbundenheit.
Noch vor der Halbzeit muss der junge Mann aussteigen. „Er sieht vorüber und zieht vorüber.“ Ja, der Tucholsky.
Ich bleibe allein auf dem Platz zurück – aber nicht lange. Weiter vorne schauen zwei Jugendliche das Spiel über ein Smartphone abwechselnd auf Deutsch und Türkisch kommentierend. Nach kurzer Überlegung setze ich mich hinzu.