Deutsches Aus bei Handball-WM : „Hat sich angebahnt, dass wir verlieren würden“
Wer den strahlenden Renars Uscins der Olympischen Spiele erlebt hatte, erkannte ihn in diesem Moment kaum wieder. Strahlender Held nicht nur des dramatisch zustande gekommenen Sieges über Frankreich im Viertelfinale, ging er am späten Mittwochabend mit verweinten Augen durch die Interviewzone und sagte kein Wort. Niemand sprach ihn an.
Schon auf dem Spielfeld hatte der 22 Jahre alte Hannoveraner untröstlich gewirkt – über das Ausscheiden der deutschen Handball-Nationalmannschaft im Viertelfinale der Weltmeisterschaft, aber wohl auch über seine eigene Leistung: Vier Tore aus zwölf Versuchen sind eine kümmerliche Ausbeute.
In Erinnerung wird bleiben, wie Uscins den letzten Angriff der regulären Spielzeit verhunzte, als es 26:26 stand und die Deutschen in den verbleibenden 20 Sekunden keinen Torwurf zustande brachten: Uscins lief sich fest.
So kam die Verlängerung zustande, in der die Portugiesen ihrerseits einen starken letzten Versuch zustande brachten, den überragenden Andreas Wolff in Person Martim Costas bezwangen und 31:30 gewannen.
Mehr Krampf als Freude
Die Deutschen hatten es mehrfach verpasst, um die 50. Minute herum aus einer Zwei-Tore-Führung eine womöglich entscheidende Drei-Tore-Führung herauszuwerfen. So endete diese Handball-Weltmesse für die enttäuschten Ballwerfer in der Runde der letzten acht – wie vor zwei Jahren in Danzig gegen Frankreich.
Portugal spielt an diesem Freitagabend (21.00 Uhr im F.A.Z.-Liveticker zur Handball-WM, bei Eurosport und Dyn) in der Unity-Arena in Bærum im Osloer Stadtgebiet gegen Dänemark, das zuvor sicher 33:21 gegen Brasilien gewonnen hatte. Im Abschlussklassement, das sich für die Ausgeschiedenen aus den bisherigen Partien ergibt, landet Deutschland auf Rang sechs.
Es war das Ende eines Turniers, bei dem aus deutscher Sicht vieles hakte. Verletzt, müde, erkrankt – diese WM war mehr Krampf als Freude, so richtig ins Rollen kam Bundestrainer Alfred Gislasons Sieben nie. „Ich bin stolz auf meine Jungs“, sagte Gislason trotzdem gefasst und ruhig, „die Mannschaft hat nach schlechtem Start super gekämpft, hat Kampf und Einsatz gezeigt. Es ist bitter, Sekunden vor Schluss dieses Tor zu bekommen und auszuscheiden.“
Ausgerechnet der vorbildliche Kapitän Johannes Golla kam drei Sekunden vor Schluss nicht in den Zweikampf mit Martim Costa – auch vorn ließ er zwei große Chancen aus; insgesamt zollte auch Golla der Riesenbelastung des vergangenen Jahres Tribut und ging mit schmerzender Wurfschulter ins Turnier. „Wir haben uns mühsam zurückgearbeitet und waren dann nicht kühl genug“, sagte er.
Vermisste Leichtigkeit und Spielfreude
Nicht nur die Abwehr hatte während dieser WM gebraucht, um ins Turnier zu finden. Wo waren Leichtigkeit und Spielfreude von Paris abgeblieben? Was Schwung und Dynamik der Angriffe anging, wähnte man sich vor zwei Jahren weiter, und wieder war ein unglaublicher Torwart nötig, um überhaupt wettbewerbsfähig zu bleiben.
Am Mittwochabend wehrte Andreas Wolff 21 Bälle ab. Nach Spielende tobte und schimpfte Wolff über seine Vorderleute – die ihn nicht nur beim letzten Wurf im Stich gelassen hatten; im gesamten Turnier landeten nahezu alle Abpraller nach seinen Paraden beim Gegner. Später hatte Wolff seine Mitte wiedergefunden und sagte: „Wir hatten große Chancen, haben den Sack aber nicht zugemacht. Den Knock-out haben dann die Portugiesen gesetzt.“
In der schütter besetzten, tristen und abgelegenen Arena in Oslos Westen auf dem Gelände des früheren Flughafens Fornebue kam verglichen mit Herning nie WM-Stimmung auf. Und auch die Deutschen brauchten, um auf Betriebstemperatur zu kommen – 1:5 stand es nach zehn Minuten, ehe Gislason den nach einem Virus geschwächten Juri Knorr für Luca Witzke als Spielmacher brachte.
Knorr zeigte, was er kann, verhinderte den 9:13-Halbzeitstand aber auch nicht. Dann folgte der beste zweite Durchgang des Turniers, hinten packten sie zu, vorn waren es Knorr (sieben Tore), Julian Köster und der starke Rechtsaußen Lukas Zerbe (neun Tore), die die Portugiesen beim 22:20 in der 51. Minute am Wickel hatten.
Ihren Abwehrchef Luis Frade hatten sie da nach Roter Karte schon verloren, der nach einer positiven Dopingprobe gesperrte Spielmacher Miguel Martins fehlte sichtbar. Doch die Deutschen verpassten das Momentum, hatten nichts von der viel beschworenen Nervenstärke und schlidderten in eine Niederlage, die gegen die große Turnierüberraschung keine Blamage, aber eine böse Überraschung war: „Es hat sich angebahnt, dass wir verlieren würden, oft hat der Gegner bessere Lösungen gefunden“, sagte Linksaußen Rune Dahmke nüchtern. Ähnlich sah es Juri Knorr: „Es tut weh, aber man muss es akzeptieren. Über die gesamte Spielzeit sind die Portugiesen der verdiente Sieger.“
Gislason hatte seinen Anteil an der Niederlage. Wo sind die versprochenen taktischen Varianten vorn (Überzahlspiel, zweite Welle) und hinten (offensive Deckung)? In den Auszeiten selten klar genug und im situativen Coaching diesmal ohne erkennbaren Einfluss, ging die Idee, Knorr zu schonen, nicht auf – wieder, wie im gesamten Turnier außer gegen Tunesien, lief seine Mannschaft einem Rückstand hinterher.
Auf Seiten der Mannschaft, die ja keine Ansammlung lauter Novizen mehr ist, fehlte es an Coolness und Entschlossenheit – insgesamt waren da wenig anstachelnde Emotionen, weder von der Bank noch aus dem Team, und die Andreas Wolffs sind ja eher negative Schwingungen. Das Mitreißende fehlte, der selbst erzeugte Druck, nun zur Weltspitze aufgeschlossen zu haben und das Halbfinale erreichen zu wollen, wirkte wie ein Rucksack, während Portugal Freude an der Aufgabe hatte. Dabei hatten die Deutschen den deutlich leichteren Turnierbaum erwischt.
Auf den Vielspielern Wolff, Golla, Knorr und Köster ist die deutsche Handballherrlichkeit aufgebaut. Sind sie kaputt oder formschwach, ist Deutschland weit entfernt von der Weltspitze. Es wird in Zukunft mehr Breite benötigen, um wieder ein ernsthafter Medaillenkandidat zu sein – und zwar nicht nur eine breit besetzte Bank, von der kaum jemand spielt.
Hohe TV-Quote für deutsche Handballer
Zumindest bei den TV-Zuschauern in der Heimat war das deutsche Handball-Nationalteam der Sieger des Abends. Durchschnittlich 7,083 Millionen Menschen sahen am Mittwoch in der ARD das Aus der DHB-Auswahl bei der Weltmeisterschaft gegen Portugal. Die Übertragung aus Oslo war die erfolgreichste Fernsehsendung des Tages und kam nach Angaben der AGF Videoforschung auf einen Marktanteil von 27,2 Prozent.
Die Handball-WM sorgte bei den sieben Live-Übertragungen von den Spielen der deutschen Mannschaft bei ARD und ZDF für hohen Zuschauerzuspruch. Das letzte Spiel hat dabei den Bestwert erzielt.
ARD und ZDF beenden ihre WM-Berichterstattung, da sie keine Rechte für die verbleibenden Spiele besitzen. Handballfans können jedoch beide Halbfinal-Partien sowie das Endspiel live im Free-TV sehen. Eurosport überträgt die drei Partien.(dpa)