Deutscher Gegner bei WM : Achtung vor Portugals Superbrüdern!
In Trondheim geschah am 10. Januar vor fünf Jahren Denkwürdiges. Handball-Europameisterschaft, Frankreich traf auf Portugal und gegen den WM-Dritten wollte die Mannschaft von Trainer Paulo Pereira einigermaßen unbeschadet ins Turnier starten. Die Portugiesen sollten durch taktische Disziplin auffallen: Sie spielten durchgehend im sieben gegen sechs, nahmen also ihren Torwart heraus, um im Angriff einen Akteur mehr zu haben.
Die verpönte Spielweise minutenweise anzuwenden ist normal, in Unterzahl nach einer Zwei-Minuten-Strafe sogar handelsüblich. Doch Pereiras Portugiesen blieben sich treu und nahmen den Keeper konsequent heraus. Mit Erfolg: Das 28:25 war der Startschuss für ein starkes Turnier mit Siegen gegen Schweden und Ungarn. Dank eines taktischen Kniffs war Portugal auf der europäischen Handball-Landkarte markiert. Kritik wies Pereira zurück: „Wir sind eine kleine Handballnation und spielen das, was Erfolg bringt.“
Heute ist Pereira nicht mehr auf Außenseiter-Strategien angewiesen. Portugal und Brasilien sind die Farbtupfer dieser WM – und am Mittwochabend gegen Deutschland (20.30 Uhr im F.A.Z.-Liveticker zur Handball-WM und in der ARD) gilt Pereiras Team als aussichtsreicher Kandidat für das Halbfinale. Anders als die Deutschen sind die Portugiesen durchs Turnier geschwebt, haben auf diesem Weg Norwegen, Schweden und Spanien distanziert.
Tempo und Wurfhärte
Angekündigt hatte sich dieser Auftritt durch eine starke Champions-League-Runde von Sporting Lissabon. Schon im Herbst pries die Handball-Szene die Fähigkeiten der in Lissabon spielenden Costa-Brüder Francisco und Martim an, die von ihrem Vater Ricardo trainiert werden.
Der 19 Jahre alte „Kiko“ Costa gilt als größtes Talent des europäischen Handballs und soll wie Martim eine festgeschriebene Ablöse von einer Million Euro im Vertrag stehen haben. Schon bei der EM in Deutschland vor einem Jahr erhöhte Martim seinen Marktwert, als er 54 Tore warf und damit so viele wie der dänische Welthandballer Mathias Gidsel.
Die „Superbrüder“ sorgen für Tempo und Wurfhärte aus dem Rückraum; kommen zusammen auf 70 Treffer bei dieser WM – ein Fakt, der aus deutscher Sicht bedrohlich wirkt. Bei Würfen aus der Ferne war die Abwehr inklusive Torwart recht hilflos. In Kauf nimmt Pereira bei der Fokussierung auf den Rückraum, dass die Außen verkümmern und der starke Kreisläufer Luís Frade vom FC Barcelona manchmal gar vergessen wird. Keine Mannschaft, die im Viertelfinale steht, hat weniger Treffer über die Flügel erzielt.
Tragischer Tod des Torwarts
Ausgleichen können die Portugiesen diesen Makel durch ihren überragenden Gegenstoß: Mit 40 Toren sind sie darin sogar besser als die Dänen – und auch das eine schlechte Nachricht für Deutschland, lief der schnelle Rückzug nach Ballverlusten doch bislang recht kümmerlich.
Leistungsmindernd hätte sich eigentlich das Fehlen des Aalborg-Profis Miguel Martins auswirken müssen, der nach einer positiven Dopingprobe gesperrt wurde. Doch auch ohne ihren Spielmacher scheint das Wirken der Portugiesen strukturiert.
Im Tor haben sie nach dem Tod ihres Stammkeepers Alfredo Quintana im Jahr 2021 (Herzinfarkt im Training) einige Zeit gebraucht, um einen geeigneten Nachfolger zu finden. Auch emotional dauerte es, den Verlust des beliebten Torwarts zu verarbeiten; eine Tätowierung seiner Initialen auf Kiko Costas Unterarm erinnert an den Keeper, der nur 32 Jahre alt wurde. Inzwischen gibt es mit dem 27 Jahre alten Gustavo Capdeville vom FC Porto einen annähernd gleichwertigen Torhüter.
Geld aus dem Fußball
Kurios war, dass die Deutschen vor einem Jahr während der EM-Vorbereitung zweimal gegen Portugal testeten. Die Mannschaft galt Bundestrainer Alfred Gislason als Kopie des ersten Turnier-Gegners Schweiz, nutzten die Eidgenossen doch auch ständig das sieben gegen sechs. Pereira aber verwehrte Gislason Anfang Januar 2024 diesen Gefallen und ließ herkömmlich spielen – Deutschland gewann zweimal.
Der Durchbruch bei dieser WM kommt dem portugiesischen Verband nach dürftigen Jahren gerade recht, der größte Erfolg ist bis heute Platz sechs bei der EM 2020. Danach haben sich die Gegner auf Portugals Spiel eingestellt, überragende Individualisten fehlten, und so verschwand man aus dem Blickfeld. Die U-Mannschaften überraschten allerdings jeden Sommer – Portugal wurde zum Versprechen.
Mit Geld aus dem Fußball sind die Handballabteilungen und damit die Qualität der Liga gewachsen: Der FC Porto und die Lissabonner Vereine Sporting und Benfica spielen jedes Jahr im Europapokal und stellen den Großteil der Auswahl. Heimspiele gegen Paris, Kiel oder Barcelona sind Fests der Fußball-Ultras – entsprechende Stimmung inklusive. In Oslo dürfte die Verteilung auf den Rängen aber eine andere sein; besonders reisefreudig sind die Unterstützer der portugiesischen Handball-Nationalmannschaft noch nicht.