Bestform bei Olympia : Evenepoel ist ein Mann für alle Fälle
Aus Remco Evenepoels Gesicht war einiges abzulesen. Da waren einerseits die Strapazen der Tour de France, bei der die Fahrer schon mal ein paar Kilogramm Körpergewicht verlieren, abgebildet durch die hervorstehenden Wangenknochen und die klar erkennbaren Konturen der Augenhöhlen. Da war aber auch noch etwas anderes: dieses Lächeln eines Athleten mit der olympischen Goldmedaille um den Hals, das einfach nicht verschwinden wollte.
Am Montag hatte Evenepoel noch die ganze Zeit im Bett gelegen, einen Tag nach dem Ende der dreiwöchigen Hatz durch Frankreich, die er als Dritter im Gesamtklassement beendet hatte. Am Samstag gewann er nun das Olympia-Einzelzeitfahren von Paris. „Es gibt keine größere Ehre, als die Goldmedaille nach Hause zu bringen und Olympiasieger zu werden“, sagte Evenepoel: „So viele Emotionen strömen durch meinen Körper.“
Steuerkünste waren gefragt
Bei einer Grand Tour geht es darum, so viel Energie wie möglich zu sparen. Beim Zeitfahren am Samstag musste der 24-Jährige auf dem knapp 33 Kilometer langen und überwiegend flachen Kurs eine gute halbe Stunde lang noch mal alles investieren, was noch in seinem Körper steckte.
Ein kompletter Gegensatz. Doch Remco Evenepoel ist ein Mann für alle Fälle. Das hat er in diesem Sommer wieder eindrucksvoll bewiesen. Er ist nun der erste Radprofi in der Geschichte, der es geschafft hat, eine Grand Tour, eines der fünf großen Klassikerrennen, einen Weltmeistertitel und die olympische Goldmedaille zu gewinnen.
Gelungen war ihm Letzteres nicht nur mit der Kraft, die in seinen riesigen Oberschenkeln steckt. Auf regennasser Straße waren auch Steuerkünste gefragt. Schon zuvor hatte es Kritik an den Verhältnissen gegeben. Mit dem Regen verwandelte sich der an vielen Stellen schlechte Asphalt dann auch noch in eine Eispiste. Viele Fahrer rutschten weg. Dass der Weltverband UCI es offenbar nicht gestattete, die Piste vor dem Rennen noch mal unter veränderten Bedingungen zu testen, erschwerte die Angelegenheit.
Maximilian Schachmann kam als einziger Deutscher gut durch und landete auf Platz neun. Bei den Frauen stürzte rund die Hälfte des Feldes. Die US-Amerikanerin Taylor Knibb schlug dreimal auf dem Asphalt auf, und als ihr Betreuer ein neues Rad anreichen wollte, rutschte auch der weg. Das Rennen gewann die Australierin Grace Brown. Die Deutschen Mieke Kröger (13.) und Antonia Niedermeier (15.) schafften es nicht in die Top Ten.
Evenepoel ging am besten mit den Bedingungen um. In den Kurven fuhr er langsamer, dann beschleunigte der Zeitfahrspezialist wieder. „Gestern Morgen habe ich mich zum ersten Mal wieder großartig gefühlt“, sagte er nach dem Rennen: „Heute Morgen hatte ich wirklich das Gefühl, dass ich gewinnen könnte.“
Kopf und Beine haben sich erholt. Nun bleibt noch mal Zeit für Regeneration. Erst am Samstag steht das Straßenrennen an. Evenepoel und die Belgier, bei denen sich Wout van Aert Bronze sicherte, gehen wegen ihres starken Teams als Favoriten auf den Kurs.