Verlässt er die Eintracht? : Omar Marmoush auf dem Weg zum Weltstar
Als die Partie schon lange abgepfiffen war, nur ein paar Fans vor dem kühlen Millerntor mit den Beinen wippten, um doch noch einen Spieler zum Selfie zu überreden, begann in den Katakomben ein zweites Spiel. Die Eintracht hatte durch ein Tor von Omar Marmoush 1:0 bei St. Pauli gewonnen, schon am Dienstag spielt sie wieder, zu Hause gegen Freiburg. Wird Marmoush dabei sein? Eintrachts Sportvorstand Markus Krösche weiß es nicht. Woher auch? Er muss schließlich abwarten, was sich in rund 800 Kilometern Entfernung tut. Noch immer sei kein Angebot eingegangen, sagte er. Aber nach allem, was aus Manchester zu hören ist, ist es eine Frage der Zeit.
Dafür sprach auch, was die gewieftesten seiner Fans am Sonntag erkannten: Marmoush hatte wohl vergessen, auf Instagram den Live-Standort auszuschalten, befand sich demnach in der Früh schon im Vereinigten Königreich. Viele Menschen verfolgen im Jahr 2025 einen möglichen Transfer über das Internet längst so intensiv wie das Spiel ihres Lieblingsklubs.
Guardiola braucht Verstärkung
In den 86 Minuten, in denen Marmoush am Tag zuvor in Hamburg auf dem Platz gestanden hatte, lieferte er einen neuen Beweis, dass er der besten Liga der Welt gewachsen wäre. Manchester City, der Serienmeister dieser Liga, steht nach 20 Spielen auf dem sechsten Platz. Das ist viel zu wenig für eine Mannschaft, die die Champions League gewinnen soll. Deshalb soll der Klub von Pep Guardiola Interesse an Frankfurts bestem Torjäger zeigen. Zuletzt verlor sich City in den Pep’schen Passorgien, aber das Tor schien von Pass zu Pass nicht näher zu kommen, sondern weiter in die Ferne zu rücken.
Marmoush ist der Spieler, der das Schema brechen soll. Am liebsten lässt er sich etwas fallen, schleicht sich in die Halbräume zwischen Strafraum und Mittelkreis. Dort, wo sich Innenverteidiger und Sechser des Gegners nicht sicher sind, wer ihn decken soll. Im Laufe der Hinrunde haben sich die gegnerischen Trainer etwas einfallen lassen, das in Zeiten der fluiden Spielsysteme, die sie in einem Tutorat namens Pressekonferenz oft erläutern, beinahe fehl am Platz wirkt. Sie lassen Marmoush manndecken.
Für St. Pauli hatte Hauke Wahl die Ehre. Er sollte Marmoush von der eigenen Abwehr fernhalten. Der Norddeutsche, 30 Jahre alt, hat in seiner Laufbahn vermutlich schon entspanntere Nachmittage erlebt. Einmal, rund um die 60. Minute, grätschte Wahl Marmoush auf Höhe der Mittellinie ab. Er stand schnell auf und freute sich. Schon war der Eintracht-Stürmer wieder am Ball, drehte sich um ihn herum und schwups, weg war er. Wahl seufzte, schloss kurz die Augen und schaute dann resigniert nach unten.
Dieser Qualitätsunterschied ist Woche für Woche sichtbar. In der Bundesliga hat Marmoush in 16 Spielen 14-mal getroffen, er bereitete sieben Tore vor. Bisweilen wirkt es so, als würde ein Verbandsligaspieler in der zweiten Mannschaft aushelfen, so lässig lässt Marmoush seine Gegner stehen.
Er hat zudem seinen Abschluss verbessert: Im Eins-gegen-eins ist er ruhig, er schießt platziert und hart, nicht nur in den paulianischen Torwinkel. Saß er mal auf der Bank, veränderte sich das Spiel sofort, wenn Trainer Dino Toppmöller ihn einwechselte: Gegen Mönchengladbach entschied er in Unterzahl das Pokalspiel, in Lyon zog er in einem Duell voller Topspieler die Blicke auf sich.
„Everyone’s Darling“
In Manchester könnte Marmoush, 25 Jahre alt, Erling Haaland entlasten. City fehlt ein Spieler, der dem Norweger die Bälle auflegt, der aber auch selbst mehrere Spieler auf sich zieht. Hinter der Spitze spielen häufig zwei „hängende“ Offensivspieler. Bernardo Silva etwa, Kevin De Bruyne oder Phil Foden. Sie sind alle nicht in Topform, De Bruyne könnte den Klub im Sommer verlassen. Marmoush dürfte sofort zum Stammpersonal gehören. Dass er nicht in jeder Situation presst, manchmal zu lange den Ball hält, wird ihm Guardiola sicher abgewöhnen.
Lange hieß es, Marmoush solle seinen Landsmann Mo Salah in Liverpool beerben. Das wirkte schlüssig, denn der Ägypter hat neben seinen sportlichen Stärken eine weitere: sein Gespür für die große, vermarktbare Story. Als er sein erstes Tor für die Eintracht schoss, rannte Marmoush in Mainz vor den Gästeblock, warf sein Trikot weg – das perfekte Bild. Als er in Wolfsburg gegen seinen ehemaligen Klub traf, lächelte er charmant die Wolfsburger Fans an, die ihn wütend anbrüllten.
Sein Tor gegen Gladbach an Halloween feierte er mit einer Jokermaske. Und nun, in St. Pauli, wo er auch ein halbes Jahr spielte, hob er respektvoll die Hände, als er getroffen hatte. Die Zuschauer klatschten, auch als Marmoush das Feld verließ. Und er bedankte sich mit einer Instagram-Story, auf der das Hamburger Wappen zu sehen war. Marmoush ist „Everyone’s Darling“.
Und sein Geburtsland ein großer Absatzmarkt. Seit Tagen erreichen die Eintracht so viele Anfragen in arabischer Schrift, dass die Hälfte des Medienteams darüber brütet, sie zu entziffern. In Hamburg saßen neben den Reportern aus Wiesbaden, Frankfurt und Hanau auch solche, die für die „New York Times“ schreiben. Marmoush könnte der nächste große Spieler aus der Bundesliga sein, nach Haaland und Bellingham – wo sollte er spielen, außer in England?
Noch ist er aber in Frankfurt. Der F.A.Z. sagte er in einem Interview im Sommer, dass er einer der drei besten Spieler der Welt werden wolle. Damals hielten das viele für unrealistisch. Heute fragen sie sich, ob die Eintracht ihn nicht lieber schonen sollte, damit ein Wechsel nach Manchester nicht platzt und die großen Zahlen, über die getuschelt wird, solche mit einer Sieben, mit einer Acht an erster Stelle und sieben Nullen dahinter, am Horizont verschwinden wie die Möwen in der Morgensonne über der Alster. „Wir wünschen uns alle, dass er bleibt“, sagte Toppmöller vor dem Flug nach Hause. Es könnte sein letzter mit Marmoush gewesen sein.