Aufregung im Sport : Nicht behindert genug?

Wer entscheidet, ob ein Sportler etwa Rollstuhlbasketball spielen darf? Und wer, ob das auch zur Teilnahme an den Paralympischen Spielen berechtigt? Diese Diskussion könnte einige Athleten nun hart treffen.
Nur mit Hilfe seines Wiesbadener Teamarztes hat Matthias Güntner schnell den nötigen MRT-Termin in der kommenden Woche bekommen. Der 21 Jahre alte Rollstuhlbasketball-Bundesliga-Center der Rhine River Rhinos beklagt aber keine frische Verletzung. Aufgrund eines Hüftschadens spielt Güntner seit elf Jahren Rollstuhlbasketball. Im Alltag geht der Nationalspieler zu Fuß.
Vom Internationalen Rollstuhlbasketballverband (IWBF) wird Güntner als Behindertensportler anerkannt. Weil aber die Klassifizierungen von IWBF und IPC (Internationales Paralympisches Komitee) momentan nicht kompatibel sind, erfüllen manche Athleten die Vorgaben nach Maßgabe des IPC womöglich nicht. Ihnen droht daher auf Betreiben des IPC der Ausschluss von den Paralympics (25. August bis 6. September) in Tokio.
„Viele Vorgänge sind nicht ganz klar“
Mit einem medizinischen Gutachten, wofür ein MRT erforderlich ist, muss der Auswahlspieler dem IPC nachweisen, dass er körperlich beeinträchtigt genug ist, um ein paralympischer Athlet zu sein. Im Rollstuhlbasketball spielen Sportler mit schweren und geringen Einschränkungen miteinander. Die Klassifizierung des Behindertengrades erfolgt über ein Punktesystem, das von 1,0 bis 4,5 reicht: Die Ein-Punkte-Spieler sind am meisten eingeschränkt, während die 4,5-Punkte-Spieler, wie Güntner einer ist, nur geringe Einschränkungen haben. Damit ein fairer Wettkampf gegeben ist, darf die Gesamtpunktzahl einer Mannschaft auf dem Feld bei internationalen Wettkämpfen nicht mehr als 14 betragen.
Geht es nach dem IPC, sollen Athleten mit minimalen Beeinträchtigungen nicht mehr an den Paralympics teilnehmen dürfen. Alle 4,0- und 4,5-Punkte-Spieler müssen noch einmal klassifiziert werden, die Auswertung übernimmt bis Mai das IPC. „Viele Vorgänge sind aber nicht ganz klar“, sagt Nicolai Zeltinger, der Bundestrainer der Herren-Nationalmannschaft. Der IWBF hat nach den Worten von Zeltinger ein „funktionales Klassifizierungssystem. Es gibt Klassifizierer, die schauen sich im Spiel an, welche Beschränkungen ein Spieler hat.“ Dieses System hält er für „sehr fair“.
Das IPC hingegen verfolge ein „medizinisches Klassifizierungssystem“ und stufe die Einschränkungen „anhand von Diagnosen“ ein. „Bei einem Amputierten muss ein Röntgenbild vorgelegt werden. Das ist abstrus“, meint der Bundestrainer. Die Haltung des IPC lasse sich auch mit den eigenen Werten nicht vereinbaren. „Rollstuhlbasketball ist gelebte Inklusion. Das IPC hat sich auf die Fahnen geschrieben, allen Menschen, die eine Einschränkung haben und nicht an den Olympischen Spielen teilnehmen können, einen Zugang zu den Paralympics zu gewähren. Da soll man doch alle mitspielen lassen“, fordert Zeltinger. Der Einwand, Sportler könnten nicht behindert genug sein, um mit anderen Menschen mit Behinderung Sport zu treiben, sei „nicht mehr aus unserer Zeit“.