Jubiläum bei Svenskt Tenn :
Schweden kann auch Maximalismus

Von Jasmin Jouhar
Lesezeit: 3 Min.
Schön bunt: Auch die Französin India Mahdavi hat schon für Svenskt Tenn eine Kollektion entworfen.
Ausgelassene Muster und schwedisches Handwerk ohne Profitmaximierung: Für viele Stockholm-Touristen gehört ein Besuch im Geschäft von Svenskt Tenn zum Standardprogramm. Nun feiert eine Ausstellung den 100. Geburtstag der Marke.

Italian Dinner zum Beispiel, italienisches Abendessen: In einem blauen Streifen tummeln sich Muscheln, Fische, Hummer und Oktopusse mit Glupschaugen. Darüber wachsen Tomaten- und Auberginenpflanzen sowie Zitronen- und Olivenzweige aus ein und demselben bunt gemusterten Stamm. Oder Manhattan: Ausschnitte aus dem New Yorker Stadtplan in kräftigen Rot-, Grün- und Blautönen, umrahmt von Schriftbändern mit Straßennamen. Terrazzo wiederum abstrahiert das namengebende Material zu einem vielfarbigen Formgewimmel in Giftgrün, Dunkelgrün, Rot und Orange vor grau-weißem Hintergrund.

Josef Franks Muster sind so ausgelassen bunt, einfallsreich, bisweilen sogar etwas verrückt – es erscheint kaum vorstellbar, dass der österreichische Architekt sie von den späten Zwanzigerjahren bis Ende der Vierzigerjahre entworfen hat. Dank ihrer starken Farbkontraste und organischen Motive flirren sie wie psychedelische Plattencover oder Hippiekleider.

Kongeniales Team: Svenskt-Tenn-Gründerin Estrid Ericson (Mitte) verließ sich bei der Auswahl an Mustern und Farben ganz auf den Wiener Architekten Josef Frank (rechts). Hier sind die beiden in den Sechzigerjahren in ihrem Geschäft am Strandvägen zu sehen.
Kongeniales Team: Svenskt-Tenn-Gründerin Estrid Ericson (Mitte) verließ sich bei der Auswahl an Mustern und Farben ganz auf den Wiener Architekten Josef Frank (rechts). Hier sind die beiden in den Sechzigerjahren in ihrem Geschäft am Strandvägen zu sehen.Unternehmen

Vielleicht noch erstaunlicher: Viele von Franks wilden Mustern sind seit Jahrzehnten Bestseller von Svenskt Tenn. Das schwedische Einrichtungsunternehmen verkauft sie auf Vorhangstoffe und Tapeten gedruckt oder in Form von Kissen, Servietten, Tabletts oder Taschen. Für viele Stockholm-Touristen gehört ein Besuch im Geschäft von Svenskt Tenn an der noblen Hafenpromenade Strandvägen zum Standardprogramm. Schon allein wegen der labyrinthischen Räume, die sich über zwei Etagen und mehrere Gebäude erstrecken und über und über angefüllt sind mit Möbeln, Einrichtungsgegenständen und Wohntextilien.

Selbst die Königsfamilie kaufte bei Svenskt Tenn ein

Verdaut werden können die vielen Eindrücke im hauseigenen Café, etwas versteckt im Obergeschoss. Bald sollten Svenskt-Tenn-Fans vom Strandvägen aus noch einen Abstecher auf die andere Seite des Hafens machen, zur Kunsthalle Liljevalchs auf der Insel Djurgården. Dort ist seit Ende September an die Ausstellung „Eine Philosophie des Zuhauses“ zum 100. Geburtstag von Svenskt Tenn zu sehen, natürlich mit vielen Entwürfen von Josef Frank – nicht nur Textilmuster, auch Möbel und Leuchten.

Dass der Wiener Architekt und Modernist seiner Vorstellungskraft derart freien Lauf lassen konnte, verdankt sich einer mutigen jungen Frau. 1924 hatte die 30 Jahre alte Estrid Ericson in Stockholm mit einer Erbschaft ein Geschäft für Objekte aus Zinn eröffnet. Doch schon kurze Zeit später weitete sie die Perspektive auf die Einrichtung des gesamten Zuhauses, 1927 erfolgte der Umzug an die heutige Adresse am Strandvägen; das Geschäft galt als angesagte Adresse, auch die Königsfamilie kaufte hier ein.

1932 schließlich beauftragte sie Josef Frank mit einem ersten Möbelentwurf. Der jüdische Architekt, ein bekannter Vertreter einer gemäßigten, „humanen“ Moderne, gründete 1925 mit Kollegen in Wien die Einrichtungsfirma Haus & Garten. Als Frank 1934 wegen des zunehmenden Antisemitismus mit seiner schwedischen Frau Anna nach Stockholm emigrierte, begann eine intensive Zusammenarbeit mit Estrid Ericson, die bis zu seinem Tod im Jahr 1967 andauerte.

Kombinieren, was nun einmal zusammen gehört

Es war eine kongeniale Verbindung, denn Franks Gestaltungsfreude und Witz trafen auf Ericsons unternehmerischen Weitblick und unnachahmlichen Geschmack. Sie scheute sich nicht, Altes und Neues zu kombinieren, Objekte vom Flohmarkt mit kostbarem Kunsthandwerk beispielsweise, lange bevor das Mix & Match in der Inneneinrichtung zum modischen Klischee wurde.

Gemeinsam mit dem ebenso frei denkenden Frank schuf Ericson ein eklektisches, fröhliches, auch gemütliches Universum – in einer Zeit, als gerade in Skandinavien eine aufgeräumte, zurückgenommene Moderne stilbildend war.

Das Erbe von Estrid Ericson und Josef Frank „ist von bemerkenswerter Langlebigkeit“, sagt Tora Grape. „Die wichtigste Aufgabe von Svenskt Tenn ist es, dieses Erbe zu bewahren“, so die Marketingdirektorin des Unternehmens. Die Voraussetzungen dafür sind gut, denn Ericson bewies 1975 wieder einmal Weitblick, als sie ihre Firma kurz vor ihrem Tod an eine Stiftung verkaufte.

Seitdem gehen die Überschüsse des Unternehmens in die naturwissenschaftliche Forschung und an andere gemeinnützige Zwecke. Und weil Profitmaximierung keine Rolle spielt bei Svenskt Tenn, umfasst das Sortiment bis heute eine wirtschaftlich eigentlich unvernünftig große Anzahl von Produkten, darunter sogar einige der ersten Zinnobjekte aus den Zwanzigerjahren.

Noch immer werden die Produkte in spezialisierten Handwerksbetrieben in Schweden hergestellt. Es gibt, so Tora Grape, auch keine Pläne, weitere Geschäfte zu eröffnen. Das heißt aber nicht, dass sie am Strandvägen nach 100 Jahren nichts Neues wagen würden. Regelmäßig arbeitet das Haus mit Zeitgenossen zusammen, unter ihnen die Designerinnen Ilse Crawford und India Mahdavi, die Modeunternehmerin Margherita Maccapani Missoni, Acne-Studios-Gründer Jonny Johansson oder Künstler Luke Edward Hall.

Die Ergebnisse dieser Kooperationen werden als Ausstellungen im Erdgeschoss des Geschäfts präsentiert und finden sich als Produkte auch im Sortiment wieder. Oft lassen sich die Kreativen dabei von Josef Franks Mustern inspirieren – ihrem überbordenden Charme kann man sich eben kaum entziehen.

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