Bei Dior hat man längst erkannt, dass sich aus Kollektionen mit starker Botschaft hohe Umsätze ergeben. Fürs kommende Frühjahr wird‘s hier nachhaltig, was gleich in doppelter Hinsicht knirscht. Denn weder sollte ökologisches Bewusstsein natürlich ein saisonales Thema sein, noch kann Luxusmode gar nicht anders als Mutter Natur unnötig zuzusetzen. Dessen ist sich auch Maria Grazia Chiuri bewusst. „Alles, was wir machen, wird Einfluss haben. Wir können nur versuchen, diesen Einfluss zu reduzieren“, sagt sie Backstage nach ihrer Schau. Bedeutet auch: Die geflochtenen Basthüte, die Bastschlappen und Logo-Canvastaschen, die schon aussehen wie von der Sonne verblichen, die Seidenkleider wie Blumenbeete, sollen sich natürlich gut verkaufen. Mode, zumal, wenn der zweitreichste Mann der Welt sie vorfinanziert, stützt sich auf betriebswirtschaftliche Grundlagen. Aber je erfolgreicher diese Mode dann ist, umso mehr können die Macher ihre popkulturelle Stimme auch nutzen. Die Logo-T-Shirts von Dior mit Feminismus-Sprüchen haben der Sensibilisierung für Gleichstellung sicher nicht geschadet. Und auch jeder Baum, der hier mit einem Schild versehen ist (#PlantingForTheFuture) und später wieder verpflanzt werden soll, ist am Ende eine Botschaft an alle, dass wir ein Konsumproblem haben. Mehr Paris als Saint Laurent ist in der Mode kaum möglich. Zur Schau unter freiem verregneten Himmel am Trocadéro glitzert auch der Eiffelturm und zum Schauenpublikum auf der einen Seite des Laufstegs kommen noch mal mindestens so viele Zaungäste auf der anderen. Die Pariser spotten nicht über Mode, wie man es in Berlin gerne hält, hier stellt man sich dafür in den Regen. Anthony Vaccarello schlägt dann auch eine schöne Brücke zwischen seinem Stil der Inszenierung des nackten Körpers und den Wurzeln des Gründers, die diese Stadt geprägt haben. Mit Mikroshorts zur Smokingjacke, mit tiefen Dekolletees zur Opulenz der Ballets-Russe-Kollektion von 1976. Zum Finale läuft Naomi Campbell im Smoking. Nicht einmal der Himmel weint in diesem Moment. Die Rose auf jedem Platz hätte es gar nicht gebraucht. Schon der erste Look stellt klar, dass wir es hier nicht allein mit Dries Van Notens Arbeit zu tun haben. Das ist auch ein schöner Beweis dafür, welche Bedeutung die Handschrift eines Designers hat. Die Blazer zu den weißen Hosen, dazwischen das monochrome Muster sind Dries Van Noten, klar. Aber schon bei den Federn, den Blumen- und Leopardenprints geht es los. Auch die gehören zum Look des Belgiers, aber hier hat sie doch jemand anderes neu gemischt und noch schwere Stoffe, Raffungen, Puffärmel und ausladende Volants hinzugegeben. Zehn Jahre lang war Christian Lacroix weg, nachdem er sein eigenes Haus geschlossen hatte. Jetzt hat er mit Dries Van Noten diese Kollektion entworfen. Zwei Männer, zwei Handschriften und ein Experiment in einer Branche, in der man nicht mehr viele Risiken eingeht. Dabei lohnt es sich. Schön auch zu sehen, wie Models heute Tattoos tragen oder ihre Haare färben können, und trotzdem Arbeit finden. Zum Beispiel auf dem Laufsteg von Christelle Kocher. Man muss zwar schon sehr für Mode leben, um den Luxus in den meisten Looks mit starken Bondage- und Sportswear-Elementen zu entdecken, aber das ist nun mal ihr Markenzeichen, und Mode ja zum Glück nicht gleichförmig. Man nehme die Bestseller der vergangenen Jahre und mache daraus eine neue Kollektion. Mit den vielen langen Puderkleidern, dem bisschen Pferdemuster hier und da, der Serie Blazer und Nadelstreifen geht Natacha Ramsay-Levi jedenfalls kein Risiko ein. Das ist schade, denn sie hat eine besonders klare Vision von Mode und war eine der ersten, die ein tougheres Frauenbild an einem Haus etabliert hat. Seit vergangener Saison regiert es die Laufstege. Solche Designerinnen braucht es. Die Wiederbelebung einer Marke ist ihm schon einmal gelungen. Anfang des Jahrzehnts machte sich der damals Anfang 30 Jahre alte Guillaume Henry daran, Carven in der Gegenwart zu installieren. Die pariserische Attitüde und Weiblichkeit, für die das Haus zur Jahrhunderthälfte mal stand, ironisierte er mit so leichter Hand, ohne dabei die Trägerin zu kostümieren. Anschließend ging er zu Nina Ricci, was weder Carven noch Guillaume Henry richtig gutgetan haben dürften. Jetzt knüpft er an seine Erfolgsformel von damals an, mit einer weiteren Reanimierung, nämlich von Patou. Die von Jean Patou kultivierte Schleife spielt hier natürlich eine tragende Rolle, ohne dass Henry sie allzu ernst nimmt. Der legendäre Patou-Parfumflakon-Print hat Witz, und die Saumvolants, Spitzeneinsätze und Federapplikationen versprechen die dezente Dosis Weiblichkeit für die nächste Generation Kundinnen zwischen 20 und 35. Antonin Tron versteht es, Frauen mit scheinbar wenigen Handgriffen einfach gute Mode zu verpassen. Vor gerade mal drei Jahren fing er an, mit drapierten Jerseykleidern. Die Beschaffenheit der Stoffe bestimmt seine Arbeit noch immer, sie fallen halb über die Schulter, sie definieren und kaschieren zugleich. Klingt simpel, aber Mode, die so universell einsetzbar wie aufregend ist, entsteht nicht ohne einen Konstrukteur, der sein Handwerk versteht. Das Beispiel Vetements zeigt, dass die Halbwertszeit von Hype-Labels entsprechend kurz sein kann. Vergangene Woche hat Demna Gvasalia die von ihm gegründete Marke verlassen. Auch Y Project konnte sich im Zuge der rotzigen Jeans- und Hoodie-Ästhetik, die die Pariser Mode in der jüngeren Vergangenheit regiert hat, etablieren, hat sich davon mittlerweile aber gleichermaßen erfolgreich distanziert. Mit hochgeschlitzten Röcken und kastigen Blazern gehört die Marke längst mehr zur Luxus- als zur Straßenfraktion. Da kann der Andrang noch so groß sein, dass die Models am Ende neben dem Seine-Ufer laufen. Also fast auf der Straße. In Zeiten, da Influencer im Total-Look bei so gut wie jeder Schau erscheinen, freundlicherweise bereitgestellt von der gerade präsentierenden Marke, ist es schön zu sehen, was echte Designerloyalität bedeutet. Nicht, dass Isabel Marant keine Influencer einladen würde, aber der Clan, die Isabel-Marant-Sisterhood, schlägt hier trotzdem bedingungslos auf. Man ist locker drauf, trägt weite, taillierte Jacken und Westen, auf jeden Fall Hosen, häufig gekrempelt, dazu Stiefel. Der Look spiegelt sich auf dem Laufsteg, an Frauen wie Eva Herzigová, Kaia Gerber, Irina Shayk, Gigi Hadid, Anna Ewers. Ein Casting, das sich gewaschen hat! Das die Markenbegeisterung zum Finale nur weiter befeuert.