Prozess um Kindermorde :
Mutter des toten Mohamed sagt gegen Silvio S. aus

Von Julia Schaaf, Potsdam
Lesezeit: 2 Min.
Silvio S. im Juni 2016 vor dem Landgericht Potsdam
Im Oktober vergangenen Jahres verschwand der vierjährige Mohamed. Seine Mutter beschreibt ihn als lebhaft und neugierig. Vor Gericht sitzt sie seinem mutmaßlichen Mörder gegenüber.
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Darüber müsse sie nachdenken, sagt Mohameds Schwester, als der Richter von ihr wissen will, wovor ihr Bruder Angst gehabt habe. Für einen Moment ist es mucksmäuschenstill im Schwurgerichtssaal des Landgerichts Potsdam. Auf dem Zeugenstuhl sitzt eine Neunjährige mit langen dunklen Haaren, die rosafarbenen Turnschuhe baumeln über dem Boden, als säße sie auf einer Schaukel.

Eigentlich ist ein Mordprozess kein Ort für kleine Kinder. Aber am vierten Tag der Verhandlung gegen den mutmaßlichen Sexualmörder Silvio S. geht es um die Umstände, unter denen der vierjährige Mohamed vergangenes Jahr verschwunden ist. Medina J. redet leise, ein Dolmetscher übersetzt: „Er hatte keine Angst.“

Der Flüchtlingsjunge aus Bosnien, der Anfang 2014 mit seiner Mutter und seiner Schwester nach Berlin gekommen war, wo die Mutter einen weiteren Sohn bekam, wird als lebhafter, neugieriger Junge beschrieben, der gelegentlich durchaus auf eigene Faust durch die Gegend streifte, aber zuverlässig zurück zu seiner Mutter kam. Am 1.Oktober vergangenen Jahres musste er zusammen mit seiner Mutter und den Geschwistern schon gegen sechs Uhr morgens zum Landesamt für Gesundheit und Soziales (Lageso), der Berliner Anlaufstelle für Flüchtlinge, wo die Familie das Geld für ihren Lebensunterhalt abholen wollte.

„Das will mir nicht in den Kopf“

Auf dem Höhepunkt der Flüchtlingskrise war das Gedränge groß, wie Zeugen beschreiben. Der Vierjährige habe eine Augenklappe zum Spielen, ein Kinderfernglas sowie seinen roten Schnuller dabei gehabt. Er sei „gut drauf“ gewesen, als sie ihn zum letzten Mal gesehen habe, sagt seine Schwester vor Gericht. Er habe ein Salamibrötchen gegessen und seinen kleinen Bruder geküsst. „Dann ging er weg.“

Die Mutter berichtet von der Suche nach ihrem Kind, das sie zunächst in einer Art Kindergarten auf dem Gelände vermutete. Nachmittags verständigte sie die Polizei. Immer wieder unterbricht Aldiana J. ihre Schilderungen, um sich mehr oder weniger direkt an den Angeklagten zu wenden: „Ich verstehe nicht, wie jemand ein fremdes Kind einfach so mitnehmen kann. Das will mir nicht in den Kopf“, sagt sie aufgewühlt.

Ihr größter Wunsch sei, dass Silvio S. den Rest seines Lebens im Gefängnis verbringen müsse oder sich selbst das Leben nehme. „Das ist mein einziger Wunsch.“ Sie selbst könne seit dem Verlust ihres Sohns nicht mehr schlafen und sei dauerhaft in therapeutischer Behandlung. Wegen der Belastung habe sie zwei Fehlgeburten erlitten. Die neunjährige Schwester sagt, sie leide bis heute unter der Angst, auch sie und ihr kleiner Bruder könnten einfach so verschwinden.

Während der Aussage von Aldiana J. hört erstmals auch die Mutter des sechsjährigen Elias zu, den Silvio S. ebenfalls entführt und ermordet haben soll. Silvio S. hatte in einem Brief aus der Haft, den der Richter als eine Art Geständnis wertet, von „meinen Taten“ geschrieben. Der Rechtsbeistand von Mohameds Familie kündigte am Rande des Prozesses an, er werde mindestens 50.000 Euro Schmerzensgeld beantragen.

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