Edgar McGregor warnte in L.A. :
Um 19.17 Uhr schrieb er: „Packt eure Sachen!“

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Kennt den Eaton Canyon, in dem einer der Brände begann, wie seine Westentasche: Edgar McGregor bei einem seiner Einsätze im Juli 2024 im Canyon.
Edgar McGregor, 24, lebt in Los Angeles und informiert auf mehreren Internet-Plattformen über lokale Wetterphänomene. Er erkannte früh, was seiner Stadt bevorstehen könnte – und rettete mit seinen Warnungen vielen das Leben.
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Am 8. Januar um 5.33 Uhr schrieb Edgar McGregor auf X: „Das ist die schlimmste Nacht meines ganzen Lebens.“ Dabei war die persönliche Situation des 24 Jahre alten Mannes aus Los Angeles gar nicht so dramatisch: Er und seine Mutter befanden sich in Sicherheit, bei Freunden in South Pasadena, rund zehn Kilometer entfernt von ihrem eigenen Haus in Altadena. Das hatten sie Stunden zuvor verlassen, ohne dass es konkret von Flammen bedroht gewesen wäre – obwohl Altadena neben Pacific Palisades am schlimmsten von den verheerenden Waldbränden in L.A. getroffen werden sollte. Glück im Unglück, könnte man also meinen. Doch Edgar McGregor litt an seinem Wissen.

Wie wohl kaum ein anderer in Altadena hatte er schon viele Stunden zuvor begriffen, was auf den Stadtteil zukommen könnte, in dem er aufgewachsen ist. Altadena liegt im Norden von L.A. und grenzt an den Eaton Canyon, der sich direkt hinter den für die Gegend typischen Holzhäusern und gepflegten Vorgärten hügelig und bewaldet erhebt. McGregor kennt die Landschaft wie seine Westentasche. Zudem hat er Ahnung von Klima und Wetter, ganz generell, aber vor allem ganz lokal.

Doch was er auch wusste: Seine Möglichkeiten, die Menschen in Altadena zu warnen, waren beschränkt. Aber was er tun konnte, das tat er, und es hatte Wirkung. Zwar brannte das sogenannte Eaton Fire ganze Teile von Altadena nieder und forderte mindestens 16 Menschenleben. Doch ohne McGregors Einsatz wäre es möglicherweise noch viel schlimmer gekommen. Auf McGregors Instagram-Account sind Dutzende von Kommentaren zu lesen, die alle die gleiche Botschaft haben: „Der einzige Grund, warum die Todesrate nicht in die Tausende geht, bist ziemlich sicher du.“

Medien nennen ihn „amateur climate scientist“

Seit die „Los Angeles Times“ am Dienstag als erstes großes Medium einen Bericht über ihn und seine Rolle bei den Waldbränden veröffentlichte, erfährt der eher introvertiert wirkende junge Mann große öffentliche Aufmerksamkeit. „Niemals hätte ich gedacht, dass ich in solch eine Position kommen würde“, schrieb er auf Instagram und verlinkte dazu einen weiteren Artikel, diesmal aus der „New York Times“. (Eine Anfrage der F.A.S. ließ er unbeantwortet.)

Ein zerstörtes Haus in L.A. – und fassungslose Eigentümer.
Ein zerstörtes Haus in L.A. – und fassungslose Eigentümer.Reuters

Einen „amateur climate scientist“ nennt die „L.A. Times“ McGregor. „Amateur“ klingt despektierlich für einen, der sich – obwohl gerade einmal 24 Jahre alt – seit langer Zeit mit Wind und Wetter in seiner Heimat beschäftigt. Im Jahr 2011 erlebte er als Elfjähriger seinen ersten heftigen Santa-Ana-Sturm; seitdem sei er fasziniert von diesen im Süden Kaliforniens auftretenden Winden, die vom Landesinneren kommend auf den Pazifik hinausblasen, sagte er der Zeitung.

Er hat „Climate Science“, Klimawissenschaften, studiert und das Bachelorstudium im Dezember 2023 abgeschlossen. Auf Facebook betreibt er eine Seite mit Wetterprognosen und auf der Crowdfundingplattform Patreon einen Kanal namens „WeatherMcGregor“ und setzte dort bereits am Vormittag des 7. Januars sehr dezidierte lokale Warnungen für Altadena ab. Jetzt wird er von vielen Menschen als Held gepriesen.

Dieser Text stammt aus der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung.
F.A.S. jetzt lesen

Und gleichzeitig ist der Begriff „Amateur“ korrekt, da McGregor seine Wetterdaten hobbymäßig erhebt, auch wenn er es auf eine sehr professionelle Weise macht. Sein Geld verdient er als Angestellter beim Bezirk Los Angeles in einer Abteilung, die zuständig ist für die zahlreichen Parks und Naherholungsgebiete in und um die Megacity. Zusätzlich ist er seit Jahren ehrenamtlich fast jeden Tag in der Natur unterwegs und sammelt Müll ein, den Wanderer hinterlassen, oft auch im Eaton Canyon. 2019 begann er damit – gerade hat er in seiner persönlichen Strichliste den zweitausendsten Einsatz festgehalten.

Er schätzte die lokalen Wetterbedingungen exakt ein

Diese Kombination aus theoretischem und praktischem Wissen ermöglichte es McGregor in der vergangenen Woche, die lokalen Wetterbedingungen exakt einschätzen zu können. Bereits am 5. Januar sagte er Windböen von mehr als 100 Stundenkilometern voraus und schrieb bei Facebook, wo ihm zu diesem Zeitpunkt ein paar Hundert Menschen folgten: „Ich mache mir aber weniger Sorgen um den Wind an sich als um die Brandgefahr.“

Seit sieben Monaten hatte es nicht mehr geregnet – und gleichzeitig schon lange keinen Waldbrand mehr im Eaton Canyon gegeben. McGregor wusste von seinen Wanderungen, dass sehr viel natürliches Material herumlag, das bei Funkenflug wie Zunder brennen würde.

Am Vormittag des 7. Januars, kurz nachdem das Palisades Fire in etwa 40 Kilometern Entfernung ausgebrochen war, riet McGregor den Bewohnern der Gegend auf seinen Kanälen, alle wichtigen Dokumente zusammenzusuchen und Autos mit dem Kühler nach vorne in der Einfahrt zu parken – damit man bei der Flucht auch wirklich keine Zeit verliert. Um 18.23 Uhr postete er, im Eaton Canyon habe sich ein Feuer entzündet: „DIES IST KEINE ÜBUNG.“

Um 19.17 Uhr veröffentlichte er ein Video, auf der Straße stehend, der Himmel hinter ihm leuchtet orange. „Packt eure wichtigsten Sachen zusammen“, sagte er, „wartet nicht auf einen offiziellen Evakuierungsbefehl. Wenn ihr glaubt, dass ihr gehen solltet, geht!“

Von den Behörden und in den Medien gab es diese Ansagen nicht. Kurz vor 22.30 Uhr schrieb er dann: „Geht heute Nacht nicht schlafen. Die Brandgefahr ist sehr hoch. Jeder in Altadena, auch im westlichen Teil, sollte sich auf eine Evakuierung vorbereiten.“

McGregors Warnungen machten Bewohnern die Dramatik der Lage bewusst. Einzelne, die wussten, dass nur eine begrenzte Anzahl an Menschen die Appelle wahrnehmen würden, setzten sich ins Auto und fuhren laut hupend durch die Nachbarschaft. Ein Anwohner schrieb später: „Danke, Edgar McGregor! Ich bin deinem Aufruf gefolgt und nicht schlafen gegangen, und ich lebe!“ Eine andere: „Edgar, dir und deiner frühen Warnung verdanke ich, dass ich neben den wichtigsten Dokumenten ein paar persönliche Erinnerungsstücke retten konnte, die die Welt für mich bedeuten.“

Viele Häuser entzündeten sich so schnell und brannten so komplett nieder, dass ihre Bewohner keine persönlichen Gegenstände retten konnten.
Viele Häuser entzündeten sich so schnell und brannten so komplett nieder, dass ihre Bewohner keine persönlichen Gegenstände retten konnten.Reuters

Immer wieder konnte man in den vergangenen Tagen im Fernsehen und in den sozialen Medien verfolgen, wie geschockt Betroffene von der Schnelligkeit waren, in der sich ihr Hab und Gut in Schutt und Asche verwandelte. Speziell in Pacific Palisades breitete sich das Feuer so rasch aus, dass viele Menschen bei der Arbeit waren und keine Chance hatten, auch nur irgendetwas zu retten. Der Kunstsammler Ron Rivlin beschrieb in der „New York Times“, wie er auf seiner Flucht vor den Flammen des Palisades Fire aus seinem Haus mitnahm, was er gerade so tragen konnte: drei Bilder von Andy Warhol; rund 200 andere Kunstwerke muste er zurücklassen.

Aber auch der Verlust von Fotoalben, Briefen, Brautkleidern schmerzt die Menschen. JJ Redick, Head Coach des Basketballteams Los Angeles Lakers und Mieter eines Hauses in den Palisades, das niederbrannte, kamen bei einer Pressekonferenz an der Stelle die Tränen, als er von einem Bild sprach, das einer seiner Söhne gemalt hatte und das an einer bestimmten Wand im Haus gehangen hatte.

Das Elternhaus von Edgar McGregor, in dem er wohnt, hat das Feuer unbeschadet überstanden. Das Lob, das er nun erhalte, so sagte er der „L.A. Times“, empfinde er als surreal. Trotz seines seit langer Zeit bestehenden Interesses am Wetter hatte er eigentlich vor, sich beruflich mit dem Klimawandel zu beschäftigen, nicht mit Meteorologie. Gut möglich, dass er sich das nun noch einmal überlegt. Seine Reichweite für künftige Wetterwarnungen dürfte sich stark vergrößern. Das Eaton Fire brennt derweil weiter. Mittlerweile ist es der Feuerwehr aber gelungen, es einzudämmen.

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