Kolumne „Nine to five" : Bingospiel mit Vorurteilen

Mal wird die Bauingenieurin für die Sekretärin gehalten. Mal fallen Sprüche wie „Klasse, wie Sie hier Ihren Mann stehen!“ Beides ist sie sowas von leid. Vielleicht einfach mal den Spieß umdrehen?
Was kommt diesmal? Bin ich die Sekretärin, die Frau fürs Kaffeeholen oder Kabelhalten? Fragen die mich, wo der Kollege bleibt? Wann mein Chef kommt? Oder fallen vergiftete Vorschusslorbeeren: Klasse, wie Sie Ihren Mann stehen! So nervend wie früher, wenn das Sonderlob für die Eins in Mathe und Physik kam – warum toll? Bei den Jungs ist das doch auch normal und keiner Erwähnung wert. So weit der Punktekatalog zur Rhetorik. Dann verteilt die Bauingenieurin Punkte für die Mimik: Gucken die verwirrt, gar entgeistert? Schauen die angestrengt-entspannt, so wie Menschen blicken, wenn sie einen Rollstuhlfahrer sehen, ihn aber nicht anstarren wollen? Oder blicken die einfach neutral – das wäre am besten, kommt aber selten vor.
Statt in der Dauer-Ärger-Schleife über blöde Vorurteile gegenüber Ingenieurinnen zu verharren, hat unsere Ingenieurin beschlossen, den Spieß einfach umzudrehen. Mit ihren solidarischen männlichen Kollegen macht sie sich einen Spaß daraus, bei einem Kundenkontakt oder einer Erstbegehung Vorurteilsbingo zu spielen und im Geiste die Punkte zu verteilen.
Was sie so erheitere, fragen manche nach. Den Sympathischen erzählt sie vom Bingo und manchmal davon, dass sie sich als Kind für das Puppenhaus und dessen Statik, nicht für dessen gut gekleideten und frisierten Bewohner interessiert hat. Die meisten lachen mit. Andere poltern als Welterklärer los: Euch Frauen kann man es auch nicht recht machen! – Das Gefühl, das kennen wir zur Genüge, sagt sie dann.
In der Kolumne Nine-to-five schreiben wechselnde Autoren über Kuriositäten aus dem Alltag in Büro und Hochschule.