Kolumne „Nine to five“ : Rauschfreier Bahnhof

Bekiffte Bahnfahrer wären entspannter und zufriedener. Aber die Bahn hat mal wieder den Anschluss verpasst. Die Kolumne „Nine to five“.
Die Deutsche Bahn hat es wieder einmal verpasst, Deutschland voranzubringen. Wenn ab Mitte Juni Hunderttausende Besucher aus dem Ausland zur Fußball-Europameisterschaft hierhin kommen, hätte jeder Bahnhof von München bis Berlin der europäischen Kifferhauptstadt Amsterdam den Rang ablaufen können. Aber nein, Cannabis in der Raucherzone am Bahnsteig bleibt verboten.
Leider, möchte man der Bahn zurufen, denn der Joint am Bahnsteig würde auch das Reiseerlebnis vieler Geschäftsreisender und Berufspendler verbessern. Der Zug ist 45 Minuten verspätet? Kein Problem, während des Kiffens empfindet man den zugigen, kalten Wind auf dem Bahnsteig als milde Meeresbrise. Der ICE ist brechend voll, kein Sitzplatz frei, Sie wollten aber eigentlich noch Ihre Präsentation vollenden? Nach dem Joint können Sie auf die paar Power-Points getrost verzichten. Halten Sie stattdessen eine freie, flammende Rede, das wird Ihre Karriere befördern – vorausgesetzt, Sie bekommen nicht mitten im Vortrag einen Lachanfall. Das kann schon mal eine Nebenwirkung des Cannabis-konsums sein.
Hauptsache Schokoriegel
Auch wären zugedröhnte Fahrgäste ungleich entspannter. Keine Heißgetränke im Bordbistro, weil die Kaffeemaschine defekt ist? Wen interessiert es? Hauptsache, die Schokoriegel gehen nicht aus. Wer kennt ihn nicht, den Heißhunger auf etwas Süßes nach dem Joint?
Manchmal scheint es aber, die Bahn messe beim Cannabiskonsum mit zweierlei Maß. Den Fahrgästen verbietet sie das Kiffen am Gleis, ihre Mitarbeiter scheint sie geradezu dazu einzuladen. Nämlich diejenigen, die sich die Ausreden für Verspätungen ausdenken müssen – erstaunlich kreativ! Diese Woche an einem Bahnhof im Frankfurter Norden: Die S-Bahn hat 10 Minuten Verspätung. „Grund dafür ist die Vorfahrt eines anderen Zuges.“ Dabei hat die S-Bahn in diesem Abschnitt eigene Gleise. Auch ganz nüchtern hat der wartende Pendler ein Bild vor Augen: Da sitzt der Mitarbeiter vor seinem Mikrofon, und mit jedem Zug am Joint sieht er mehr Züge.