Kongresse in Deutschland : Viel Kleinvieh
Ob Kapstadt oder Dubai, ob Singapur, Las Vegas oder Monaco: An allen Ecken und Enden der Welt wetteifern prachtvolle Mega-Kongresszentren um Großveranstaltungen der globalen Geschäftsreiseklientel, groß, größer, am größten. Riesige Arenen bieten sich für Jahrestagungen mit Zigtausenden von Teilnehmern an, wie sie bei den Treffen der amerikanischen Zahnärzte oder der indischen Internisten ganz leicht zusammenkommen. Und jeder deutsche Beobachter hat die Klagen der Berliner Hotellerie im Ohr, dass ihr solche Großkongresse mangels genügend weiträumiger und attraktiver „locations“ verlorengingen.
Alles falsch? Nach einer gemeinsamen Studie der Deutschen Zentrale für Tourismus (DZT) und des offiziellen deutschen Kongressvermarkters GCB, die zu Beginn der Tagungsfachmesse Imex am Dienstag in Frankfurt vorgestellt wurde, ist nämlich Deutschland das Arkadien der Tagungswelt. Im europäischen Vergleich liegen wir danach als Geschäftsreiseland und Platz für Kongresse an erster Stelle, weltweit sind wir auch das Messeland Nummer eins. Fast zehn Millionen Dienstreisen mit Übernachtung kommen durch Besucher aus Europa zustande, weitere 1,4 Millionen aus Übersee.
Auch die in ganz Europa befragten Veranstalter von Tagungs- und Seminarreisen wiesen Deutschland einen Spitzenplatz zu: Sowohl die „Hardware“, die zum Beispiel Tagungsinfrastruktur und Sehenswürdigkeiten umfasst, als auch die „Software“ wie Sicherheit, Service und Sprachkenntnisse wurden mit „sehr gut“ oder „gut“ bewertet. Am beliebtesten als Tagungsort ist nach der Umfrage Berlin, auf Platz zwei folgt das Rhein-Main-Gebiet, den dritten Platz teilen sich München, Köln/Düsseldorf und Hamburg. Auch während der Fußballweltmeisterschaft nahmen Geschäftsreisen noch einmal zu und kamen im vorigen Jahr auf einen Anteil am Deutschland-Tourismus von fast dreißig Prozent.
Das dickste Tortenstück jedoch bringt immer noch die deutsche Klientel. Die Studie ergab, dass von den fast neunzig Millionen Geschäftsreisen mit Übernachtung, die Deutsche im vergangenen Jahr unternahmen, 81 Prozent im Inland blieben. Mehr als die Hälfte der Tagungen wurde dabei von maximal fünfzig Teilnehmern besucht. Etwa ein Drittel hatte zwischen 51 und 250 Teilnehmer, und nur sechs Prozent der Veranstaltungen besaßen mit mehr als tausend Teilnehmern überhaupt „Kongress-Charakter“.
Der deutsche Dienstreisende liebt also die Heimat, und er liebt es klein. Doch Kleinvieh bringt ja auch Mist. Entsprechend positiv fallen die Prognosen der Fachleute aus: „Meetings“ und Seminare werden ihrer Einschätzung nach künftig sogar eine noch höhere Bedeutung erlangen. Denn nach Meinung von 86 Prozent der Befragten können Videokonferenzen den persönlichen Kontakt nicht ersetzen. Im Gegenteil: Im „Zeitalter der Emotionalisierung“ steige das Bedürfnis nach einer Begegnung von Mensch zu Mensch. Und das ist für uns alle eine gute Nachricht.