Keys gewinnt Australian Open : Wenn der Körper macht, was der Kopf will
Manchmal muss man erst loslassen, um irgendwann das in den Händen halten zu können, was man will. Madison Keys hat das erlebt. Jahrelang verfolgte sie, was andere ihr für eine Zukunft voraussagten, war getrieben vom Bild, das man ihr früh in den Kopf setzte: Keys mit einer der vier begehrtesten Tennis-Trophäen in den Händen. Elf oder zwölf Jahre alt war sie, als man ihr erstmals sagte, dass sie das Zeug zur Grand-Slam-Siegerin habe. Kurz darauf galt die Amerikanerin in den USA schon als „neue Serena Williams“. Und mit diesen Prognosen beginnt diese Geschichte von Druck und Zweifeln – und wie man sie besiegt.
Denn seit Samstag hat es Keys, die bald 30 Jahre alt wird, geschafft: Sie hat ihr erstes Major-Turnier gewonnen, indem sie die Titelverteidigerin Aryna Sabalenka im Finale der Australian Open in Melbourne 6:3, 2:6, 7:5 geschlagen hat. Nur der Weg dorthin war anders, weil er sie in Abgründe führte, von denen damals keiner etwas erzählt hatte, als sich die Leute so sicher waren, dass es bei einer Spielerin mit Keys’ Fähigkeiten nur eine Frage der Zeit sein würde, bis sie ein Major gewinnt.
Keys: „Es fing an, mich zu belasten“
Keys war nah dran. Bei den US Open stand sie 2017 im Finale. Doch vor den Augen ihrer Landsleute versagten ihr die Nerven. 3:6, 0:6 verlor sie gegen ihre Landsfrau Sloane Stephens. Sechs Jahre später hieß es: andere Gegnerin, selbes Spiel. Im Halbfinale führte Keys schon 6:0, 5:4 gegen Sabalenka. Dann verlor sie das Match noch. Keys konnte mit dem Druck nicht umgehen, weil sie stets dieses Gefühl hatte, wenn es mal nicht so lief: Dass der Körper nicht macht, was der Kopf will.
Die Prognosen der anderen, sagt Keys in Melbourne nach ihrem Triumph, seien „eine ziemlich schwere Bürde“ gewesen, die sie mit sich herumtragen musste. Eine, die sie zu Boden drückte. „Es fühlte sich fast so an, als ob es von etwas Positivem zu etwas wurde, das fast so etwas wie Panik auslöste: Warum ist es noch nicht passiert? Warum war ich noch nicht in der Lage dazu?“, sagt Keys: „Es fing an, mich mehr zu belasten. Ich fragte mich: Was ist, wenn es nie klappt? Und wenn es nie klappt, habe ich dann versagt?“
Die Arbeit mit einem Therapeuten habe sie bis zu diesem Zeitpunkt immer als Tool zur Optimierung des eigenen Spiels angesehen. „Ich war schließlich an dem Punkt, an dem ich persönlich so weit unten war, dass ich dachte, es ist mir egal, ob mir das hilft, Leistung zu bringen“, sagt Keys: „Ich will mich einfach besser fühlen.“
Keys begann, ihre Karriere anders zu betrachten. Dank der Therapie konnte sie nun stolz auf sich sein: mit oder ohne Grand-Slam-Titel. Das gab ihr Freiheiten, Neues auszuprobieren. 2023 engagierte sie ihren heutigen Ehemann, den ehemaligen Top-100-Spieler Björn Fratangelo, als Coach, der ihr nach der vergangenen Saison etwas ans Herz legte: den ersten Schlägerwechsel ihrer Karriere. Das neue Modell ist leichter zu kontrollieren, gibt ihr etwas weniger Power, dafür mehr Sicherheit in ihren Schlägen. Seitdem läuft es.
Keys gewann in der Vorbereitung auf die Australian Open das WTA-500-Turnier in Adelaide. In Melbourne besiegte sie nun Elina Switolina (an 28 gesetzt), Danielle Collins (10), Jelena Rybakina (6), Iga Swiatek (2) und Sabalenka (1) – ein phänomenaler Ritt durchs erste große Turnier des Jahres.
Und in allen Matches war zu sehen, warum sie einst mit Serena Williams verglichen wurde: Keys spielt Powertennis mit kraftvollen Schlägen, besiegt Sabalenka mit ihren eigenen Waffen. Sie besticht durch ihr Timing, ihr Verständnis für den richtigen Schlag – und das wohl Wichtigste: inzwischen auch durch ihre Nervenstärke in den wichtigen Momenten. Als sie am Samstag mit Tränen in den Augen und dem Daphne Akhurst Memorial Cup in den Händen zum Publikum spricht, sagt Keys: „Ich kann gar nicht erwarten, was jetzt alles kommen wird.“