EM 2024: Gareth Southgate lässt sich von Kritik an England nicht beirren

Es wurde persönlich in den vergangenen Wochen, Gareth Southgate, der Nationaltrainer Englands, konnte das nicht ausblenden. Einige Fans warfen Bierbecher nach ihm, andere pfiffen ihn schon vor dem Anpfiff aus. Dazu hörte auch er, wie Experten wie Gary Lineker („shit“) über den Fußball sprachen, den England bei dieser Europameisterschaft spielt und die so auch über die Arbeit von Southgate urteilten. „Dies ist ein Job, bei dem man verspottet wird und die eigenen beruflichen Fähigkeiten in Frage gestellt werden“, sagt der Dreiundfünfzigjährige: „Aber ich glaube nicht, dass es normal ist, mit Bier beworfen zu werden.“ Southgate ist niemand, der seine Emotionen allzu sehr nach außen trägt. Während der Spiele sitzt er die meiste Zeit, manchmal geht er durch seine Coaching Zone, meistens hat er dabei die Hände in seinen Taschen. Und wenn er spricht, dann spricht er leise und höflich. Umso spannender dürfte sein, wie dieser Mann reagieren wird, sollte England nach dem Halbfinale gegen die Niederlande an diesem Mittwochabend (21 Uhr im F.A.Z.-Liveticker zur EM, in der ARD und bei MagentaTV) in Dortmund tatsächlich das Endspiel dieser EM erreichen. Auf den ersten Blick geht England als Außenseiter in diese letzten Tage dieses Turniers. Die Leistungen des Teams waren bisher enttäuschend, in fünf Spielen, zwei davon gingen in die Verlängerung, hat England gerade einmal fünf Tore geschossen. Im Achtelfinale gegen die Slowakei trennten sie etwa dreißig Sekunden vor dem Aus, ehe Jude Bellingham zum Fallrückzieher abhob und traf. Auch im Viertelfinale gegen die Schweiz lag England zurück, ein Geniestreich von Bukayo Saka brachte sie zurück ins Spiel, das sie schließlich im Elfmeterschießen für sich entschieden haben. Zu viel lief in den wichtigen Momenten in die richtige Richtung, als dass dies nur mit Glück oder Zufall abgetan werden könnte. Southgate hat seinen Anteil daran. Als es darauf ankam, reagierte er schnell, stellte das System um, gab mit seinen Auswechslungen die nötigen Impulse. „Wir werden weitermachen, wir werden weiterkämpfen“ „Diese Jungs haben gezeigt, dass sie mehr können als nur zu spielen“, sagte Southgate nach dem Erfolg seiner Mannschaft über die Schweiz: „Bei Turnieren braucht man viele andere Qualitäten. Es ist das Durchhaltevermögen, es ist die Fähigkeit, gelassen zu bleiben, wenn man in einem Spiel in Rückstand gerät oder wenn das Momentum gegen einen läuft.“ Bevor er im Herbst 2016 die Nationalmannschaft übernahm, hatte England seit zwanzig Jahren nicht mehr das Halbfinale eines großen Turniers erreicht. Southgate führte die Nation nun bei drei von vier Turnieren mindestens ins Halbfinale. Nur bei der WM 2022 scheiterte das Team bereits im Viertelfinale an Frankreich. „Ich denke, wir werden den Leuten weiterhin fantastische Erinnerungen bescheren“, sagte Southgate: „Wir werden weitermachen, wir werden weiterkämpfen, und wir werden diese Reise genießen.“ Wer diese englische Nationalmannschaft beobachtet, sieht schnell, was sie gerade – trotz aller Kritik – auszeichnet, worauf Southgate, der ehemalige Manndecker, höchsten Wert legt: Sicherheit. Drei Gegentore musste seine Mannschaft bei diesem Turnier erst hinnehmen: Der Däne Morten Hjulmand traf mit einem Schuss aus 28 Metern; der Slowake Ivan Schranz tauchte nach einem langen Ball aus der Abwehr und einer Kopfballverlängerung relativ frei im Strafraum der Engländer auf und ließ Torhüter Jordan Pickford keine Chance; der Schweizer Breel Embolo traf aus kurzer Distanz, nachdem John Stones eine flache Hereingabe noch abgefälscht hatte. Statistiker haben zwölf Paraden gezählt, die Pickford bei diesem Turnier zeigen musste. Zum Vergleich: Der Niederländer Bart Verbruggen steht vor dem Halbfinale schon bei 16 Paraden. „Das benutze ich jetzt als Treibstoff“ Und auch wenn die Offensive weiterhin kein Fußball-Feuerwerk darstellt, so hat Southgate doch Anpassungen vorgenommen, die dem Spiel seiner Mannschaft gut getan haben. Phil Foden spielt nicht mehr auf den linken Flügel, sondern deutlich zentraler und teilt sich dort den Raum mit Bellingham. Hinter den beiden steht inzwischen der erst 19 Jahre alte Kobbie Mainoo, er erobert viele Bälle, denkt aber zumeist offensiv und ist vor allem darum bemüht, seine Mitspieler in Szene zu setzen. Gegen die Schweiz wechselte Southgate auch Luke Shaw ein, den Linksverteidiger, der vor rund einem Jahr sein bis dato letztes Länderspiel absolviert hatte und im Februar zuletzt für Manchester United auf dem Platz stand. Southgate hatte Shaw trotz dessen Kniesehnenverletzung in seinen EM-Kader berufen. Es war ein Risiko, aber er hat immer wieder betont, dass dies es wert sei, eingegangen zu werden. Es ist sehr wahrscheinlich, dass Shaw gegen die Niederlande von Beginn an auf dem Platz stehen wird. Er ist der einzige Linksfuß in der Verteidigung der Engländer, Shaw kann immer wieder selbst zur Grundlinie flanken und die Position so ganz anders ausfüllen als der Rechtsfuß Kieran Trippier. Southgate hat also noch ein Ass im Ärmel. Und er hat noch Großes vor: „Ich habe das Glück, dass ich in meinem Leben viele Erfahrungen gemacht habe, die mich widerstandsfähiger und entschlossener gemacht haben“, sagt er: „Und das benutze ich jetzt als Treibstoff.“