Chronik zur Fußball-WM 1974 :
Mit den unberechenbaren Despoten im Nacken

Von
Christian Eichler
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Haitis Ernst Jean-Jospeh (links am Boden liegend) im Match gegen Italien in München.

Ein Spieler aus Haiti wird von finsteren Gestalten des Geheimdiensts verprügelt und verschleppt. Auch ein Kicker aus Zaire hat wohl Todesangst. Das führt zu einer der scheinbar lustigsten Szenen der WM-Historie.

Unerhörte Szenen spielen sich im Quartier Haitis in Grünwald ab. Der Verteidiger Ernst Jean-Joseph, als erster Spieler bei einer Fußball-WM des Dopings überführt, wartet seit Tagen darauf, welches Schicksal ihn erwartet. Dann wird er von finsteren Gestalten des haitianischen Geheimdienstes aus dem Zimmer gezerrt, verprügelt und in einem Hotel in München unter Bewachung gestellt.

Als ein alarmierter Staatsanwalt um vier Uhr früh eintrifft, beteuert der verängstigte Fußballer, er sei freiwillig dort. Um 10.15 Uhr sitzt er im Flugzeug nach Haiti, zurück auf die Insel des Jung-Diktators „Baby Doc“ Duvalier, der im Fußball die Chance sah, sein bitterarmes Land international aufzuwerten – und den Weg seiner Kicker zur WM mit viel Geld und wohl auch Schmiergeld gepflastert hat. Im entscheidenden Qualifikationsspiel wurden Trinidad und Tobago vier Tore aberkannt.

Viele Befürchtungen begleiten Jean-Joseph auf dem Heimflug. Vorher ließ man ihn Kapitän Philippe Vorbe per Telefon mitteilen, dass er noch lebe, um die Nerven der Kollegen vor dem letzten Spiel zu beruhigen – sie verlieren es 1:4 gegen Argentinien. Was dann in Haiti mit Jean-Joseph geschieht, ist nicht bekannt.

Er hat es bis zu seinem Tod 2020 nie erzählt. Dass die gefürchteten „Tontons Macoutes“ ihm die Arme gebrochen hätten, erwies sich jedoch als Falschmeldung. Er kehrte ins Auswahlteam zurück, blieb bis 1980 Nationalspieler.

Ein Lacherfolg aus Todesangst

Auch das andere Team aus den Entwicklungsländern, Zaire, hat bei der WM 1974 einen unberechenbaren Despoten im Nacken. „Siegt oder sterbt“, gab er seiner Elf mit auf den Weg. Nach dem 0:9 gegen Jugoslawien, bei dem ein übergewichtiger Schiedsrichter aus Kolumbien den falschen Afrikaner vom Platz stellte (nicht Mulamba hatte ihm in den Hintern getreten, sondern Ilunga), droht Diktator Mobutu, sie dürften gegen Brasilien höchstens 0:3 verlieren, um heil heimkehren zu dürfen. Das führt zu einer der scheinbar lustigsten Szenen der WM-Historie, hinter der aber vermutlich schiere Todesangst steckte.

Die Mannschaft aus Zaire mit Mwepu Ilunga (ganz rechts)
Die Mannschaft aus Zaire mit Mwepu Ilunga (ganz rechts)picture alliance/United Archives

Als Brasilien bei 3:0-Führung kurz vor Ende einen Freistoß hat, läuft Verteidiger Ilunga vor der Ausführung aus der Mauer und schlägt den Ball vor dem schussbereiten Rivelino weg. Ein Lacherfolg. Ilunga bekommt Gelb und verneigt sich vor dem Publikum.

Er erklärt später, er habe nur Zeit schinden wollen. Es gelingt, sie retten sich mit 0:3 ins Ziel und geben sich erleichtert einem Konsumrausch hin. Vor der Heimreise aus Ascheberg kaufen sie das einzige Elektrogeschäft der westfälischen Kleinstadt leer.

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