Chronik zur Fußball-WM 1974 : Rufe nach Netzer und DDR-Premiere

Ein politisches Drama spielt sich ab, und die deutschen Teams legen los: Rädelsführer Breitner trifft zum 1:0 gegen Chile, ein Streich-Treffer und ein Eigentor reichen der DDR gegen Australien.
Der zweite Tag der WM in Deutschland, die Deutschen greifen ein. Und das gleich mit zwei Teams. Das der Bundesrepublik spielt in Berlin vor offiziell 83.168 Zuschauern im Olympiastadion, was die Partie gegen Chile zur bestbesuchten der ganzen WM macht. Chile hat die Qualifikationsspiele als Demokratie begonnen und als Militärdiktatur beendet, ein politisches Drama, das auch während der Partie in Berlin präsent wird.
Die Banner, die Exil-Chilenen und Studentengruppen gegen das mörderische Regime des Generals Pinochet zeigen, sind im Fernsehbild allerdings kaum zu sehen. Besser wird das den Aktivisten im letzten Spiel der Chilenen gegen Australien gelingen, als sie zu Beginn der zweiten Halbzeit auf dem Platz eine große chilenische Fahne mit der Aufschrift „Chile Sí, Junta No!“ ausbreiten. Die TV-Bilder gehen um die Welt, auch nach Chile.
Breitner hatte schon seine Sachen gepackt

Als so ziemlich die einzige aber in diesem Auftaktspiel – in dem die Zuschauer irgendwann beginnen, Wolfgang Overath auszupfeifen und Günter Netzer zu fordern, der wegen Formschwäche auf der Bank sitzt und öfter als jeder andere Zuschauer im TV-Bild ist. Schön bringt ihn nicht, auch nicht in Überzahl, nachdem Carlos Caszely, ein Gegner der Junta in seiner Heimat, für ein Revanchefoul an Berti Vogts die erste Rote Karte der WM-Geschichte erhalten hat. Chiles Trainer Luis Álamos ist machtlos, er befindet sich wegen eines Diabetes-Schubes in einem Berliner Krankenhaus.
Das Team der DDR, drei Tage zuvor mit einer Interflug-Sondermaschine in Hamburg-Fuhlsbüttel gelandet, gewinnt derweil ebenfalls eher mühevoll durch ein Eigentor und einen Treffer von Joachim Streich das Duell zweier WM-Debütanten gegen Australien 2:0. Unter den nur 17.000 Zuschauern im Volksparkstadion sind 1500 vergnügte „Touristen“ aus der DDR. Sie sehen aus, als wollten sie wiederkommen.