Deutsche bei Handball-WM : „Die Großen haben uns bisher tierisch geärgert“
Es gibt ausgesprochen Mut machende Fakten von der dänischen Handballnationalmannschaft. Ihre beiden längsten Spieler sind Kreisläufer Simon Hald und Torwart Kevin Møller. Beide messen 205 Zentimeter. Weder Hald noch Møller sind in der ersten Turnierwoche besonders in Erscheinung getreten, außer beim Autogrammeschreiben in der großen Fanzone zu Herning, als sie bis kurz vor 23 Uhr Geduld und gute Laune bewiesen, obwohl die Menschenschlange kaum kürzer wurde.
Hald und Møller also vereinen den Längensuperlativ im rot-weißen Team auf sich, was beinhaltet, dass der Rest der Dänen kleiner ist – und hier kommen die Deutschen ins Spiel: Abenteuerlich, wie sie beim am Ende sicheren 29:22 (11:11) zum Vorrundenabschluss gegen die tschechischen Rückraumriesen verteidigten; dreizehnmal traf der Außenseiter aus neun oder mehr Metern.
Da offenbarte sich ein Muster. Denn in den vorherigen Spielen gegen Polen und die Schweiz waren es Ariel Pietrasik (2,02 Meter) und Lenny Rubin (2,05 Meter), die Deutschland aus der Entfernung ärgerten. Hat die deutsche Sieben bei dieser Weltmeisterschaft in Dänemark, Norwegen und Kroatien ein Größenproblem?
„Gegen Dänemark wird es anders“
Beruhigend also, dass beim nächsten Gegner Dänemark an diesem Dienstag (20.30 Uhr im F.A.Z.-Liveticker zur Handball-WM und in der ARD) nur Mathias Gidsel und Simon Pytlick warten, beide deutlich unter zwei Meter lang. Achtung, Ironie! Die beiden Ausnahmeathleten aus dem Rückraum waren die besten Feldspieler der Herninger Vorrundenwoche. Dazu kommt der auffälligste Torwart ebenjener, Emil Nielsen, und der spektakulärste Außen, Emil Jakobsen: Er bringt die Fans in der Halle Jyske Bank Boxen mit seiner Artistik zum Jauchzen.
„Die Großen beim Gegner haben uns bisher tierisch geärgert“, sagte Bundestrainer Alfreð Gíslason, „aber es war auch ihre Spielweise, sie in Würfe zu bringen. Gegen Dänemark wird es anders – alle Experten setzen auf sie. Wir wollen es besser machen als bei Olympia.“ Da hatte sein Team im Finale von Lille beim 26:39 eine Ohrfeige bekommen, als die Dänen gar nicht daran dachten, nach dem 21:12 zur Pause Gnade walten zu lassen.
Gíslasons Spieler hielten sich nicht lange mit dem Wie dieser kniffligen ersten Turnierphase auf. „Ich sehe es nicht so dramatisch“, sagte Juri Knorr, „wir haben unsere Hausaufgaben erledigt. Wir haben Vertrauen in uns, dass wir Spiele drehen, die anfangs nicht gut liefen. Das Spiel gegen Dänemark ist eines zum Genießen, auf das ich mich freue.“
Mit vier Punkten gehen Knorr und Co. nun in die nächsten drei Partien, eben gegen Dänemark am Dienstag, dann zwei Tage später gegen Italien (18.00 Uhr im F.A.Z.-Liveticker zur Handball-WM und im ZDF), ehe Tunesien am Samstag (20.30 Uhr im im F.A.Z.-Liveticker zur Handball-WM) den Hauptrundenabschluss bildet. Halbwegs „normale“ Verläufe vorausgesetzt, zögen die Deutschen gemeinsam mit Dänemark ins Osloer Viertelfinale ein.
Torwart David Späth in Galaform
Natürlich wollte so weit niemand schauen. Stattdessen setzte sich nicht nur Marko Grgić mit dem Thema Erwartungen auseinander. Der 21 Jahre alte Eisenacher sagte: „Wir haben im Sommer eine große Medaille gewonnen, jeder rechnet mit uns, da sind schon ein paar Steine im Rucksack.“
Am Sonntagabend knirschte es bis zum 16:14 in der 39. Minute heftig im deutschen Spiel. Während die Schweiz zwei Tage zuvor das Motto „offenes Visier“ gewählt hatte, um die Auswahl des Deutschen Handballbundes erfolgreich zu verunsichern, traten die Tschechen wie eine unterklassige Mannschaft in einem Pokalwettbewerb auf: gut organisiert, ohne jede Eile, mit klaren Abläufen vorn und hinten und einem guten Torwart Tomáš Mrkva vom THW Kiel.
Was ein spanischer Trainer einem mittelprächtigen Team eben so beibringt. Mag das Niveau im Weltvergleich Kilometer auseinander liegen, ist auf dem alten Kontinent alles eng zusammengerückt. So brauchten die Deutschen einen David Späth in Galaform (47 Prozent abgewehrter Würfe) und wiederum die Energie von Renārs Uščins (acht Tore), um ab der 46. Minute wegzuziehen.
Grgić spielte sich am Ende frei und sorgte mit seinen Treffern für das deutliche Resultat. Er klagte: „Ich selbst mache mir zu viel Druck, habe zu hohe Erwartungen, weil ich glaube, dass jeder mit dem Hammer auf uns einhaut, wenn wir nicht ins Halbfinale kommen. Wie wäre es mit dieser Sichtweise: Wir sind eine sehr junge Mannschaft, die noch viel erreichen kann – aber nicht muss.“
Den Deutschen fehlt die Frische
Tatsächlich hat die Nationalmannschaft eine ausgeglichene Staffel als Erste abgeschlossen, in der exotische Kontrahenten wie Guinea oder Kuba fehlten. Die großen Erwartungen jedoch wurden zuvor aus dem Team heraus formuliert, was die handballinteressierte Öffentlichkeit gern aufgenommen hat – die Einschaltzahlen sind bei dieser WM stabil.
Trotzdem hat Grgić recht: Alle drei Gegner fühlten sich in der Außenseiterrolle wohl, während Gíslasons Gruppe nach einer harten Bundesligavorrunde Frische fehlt – und die viel beschworene Breite in kniffligen Momenten kaum hilft, schaut man auf die Einsätze von Rune Dahmke, Christoph Steinert oder Lukas Stutzke, die noch ins Turnier finden müssen.
Was man von Nils Lichtlein nicht sagen kann: Der 22 Jahre alte Berliner wirbelte am Sonntag als Regisseur der zweiten Halbzeit ballsicher und torgefährlich, verschaffte den Hochbelasteten Ruhepausen und unterstrich, wie förderlich es seiner Entwicklung ist, bei den Füchsen in der Champions League zu spielen.
Nun also wechseln die großen Erwartungen hinüber zum Weltmeister, der nicht nur erfolgreich, sondern auch schnell und schön spielen soll. Wie eine Bürde wirkt das bisher nicht. Auf einer Woge der Begeisterung sind die Dänen um Gidsel und Pytlick durch die Vorrunde gerauscht – wer ausgewechselt wurde, war beleidigt. „Wir wissen, dass es für uns auch nach einer Niederlage weitergeht“, sagte Knorr erleichtert und lächelte – zurück in der Außenseiterrolle wirkten die Deutschen am Sonntagabend, als atmeten sie gemeinsam dreimal ganz tief in den Bauch. Und wieder aus.