Rodel-EM in Winterberg :
Wilderer im deutschen Revier

Von Anno Hecker, Winterberg
Lesezeit: 3 Min.
„Vor allem am Start haben sie enorm zugelegt“, sagt der Deutsche Max Langenhahn über die Österreicher.
Österreichs Rodler rütteln an alter Dominanz. So spannend wie die Europameisterschaft in Winterberg ist die Frage, ob die neue olympische Eisröhre rechtzeitig fertig wird.
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Die Deutschen müssen kämpfen. Das schien Jahre nicht nötig. Ein Trugschluss. Leistungsdruck gehört zum Alltag im Lager der Rennrodler. Medaillen bei Olympischen Spielen bilden die Tauschwährung im deutschen Spitzensportsystem. Solange es glänzt zu Winterspielen, bleibt die Förderung erhalten. „Wir kennen nichts anderes“, sagt Julia Taubitz zum internen Niveau. Sie kennt die Zeiten, als die Schnellste in Deutschland die Schnellste der Welt war. Am Wochenende in Winterberg schien es so, als habe sich daran nichts geändert. Taubitz, 28 Jahre alt, gewann den Weltcup-Wettbewerb, wurde erstmals Europameisterin. Alles wie früher? Nur eine Momentaufnahme.

Taubitz musste sich aus einem „Tief“ herausarbeiten, um vorne dranzubleiben. Österreich gibt den Ton an. Madeleine Egle (2.) führt weiterhin im Gesamtweltcup. Landsmann Jonas Müller gewann den Männer-Wettbewerb vor dem Thüringer Max Langenhan, im Doppel der Männer setzten sich die Deutschen hauchdünn vor drei österreichischen Schlittenbesatzungen durch, die deutsche Damenkombination sauste auf Rang zwei: „Die Österreicher“, sagt Felix Loch am Donnerstag nach seinem ersten Trainingslauf, „sind in einem Flow.“ Alles passe zusammen, wirft Langenhan von der Seite ein. Die beiden kommen unisono zu dieser Erklärung: „Vor allem am Start haben sie enorm zugelegt.“

Nichts lähmt mehr als die jahrelange Dominanz einer Nation

Schon verblasst die Spekulation, der Wechsel des Schlittentüftlers Georg Hackl, des „Rodelhelden“ aus Berchtesgaden, ins Nachbarland habe entscheidend zur Beschleunigung beigetragen. Es soll mehr am Menschen liegen. Müller gewinnt in der Wintersportenklave des Sauerlands am Sonntag um einen Hauch (0,055 Sekunden) vor Langenhan und Nico Gleirscher (Österreich, 0,101). Auch der Vierte kommt aus der Alpenrepublik. Loch wird Fünfter.

Langenhan mögen Fehler im ersten Lauf und der noch nicht ausgeheilte Fußbruch gebremst haben. Und die Österreicher fahren auch nicht Schlitten mit den Deutschen. Aber sie gewinnen inzwischen auch auf deren Bahnen, im deutschen Revier. Nach dem 2:2 in den ersten vier Disziplinen siegten sie im Team-Wettbewerb.

Die Spannung in der Eisröhre gefällt der Szene, insbesondere dem Weltverband FIL. Nichts lähmt mehr als die jahrelange Dominanz einer Nation. Ein gutes Jahr vor den Olympischen Winterspielen steht nicht fest, aus welchem Land die meisten Olympiasieger kommen. Angeblich soll nicht mal sicher sein, wo gefahren wird. „In Cortina d’Ampezzo“, sagt Langenhan am Donnerstagmittag wie aus der Pistole geschossen der F.A.Z.: „Ich fahre im März dort, spätestens im April.“

Selbst Insider schauen sich in diesem Moment verblüfft an. Der Nebel über Winterberg lichtet sich für einen Moment und gibt die Sonne frei. Das Bahnareal von Cortina gleicht einer Baustelle. Bilder und Zahlen machen die Runde. 48 Prozent seien vor Weihnachten fertig gewesen, am 16. Januar sollen es 64 Prozent gewesen sein. Fast 80 Norweger sind eingeflogen worden. Experten für Betonarbeiten unter extremen Bedingungen. Unter anderem mit Zelten über den Bauabschnitten, heißt es, sei die nötige Verarbeitungstemperatur erreicht worden.

Was das Prestigeprojekt der Italiener gegen den Willen des Internationalen Olympischen Komitees kostet? Angeblich „nur“ 100 Millionen Euro und offenbar viel Energie. Es bleibt spannend. Selbst eine auf den letzten Drücker fertige Bahn garantiert keine Freude. 2005, kurz vor den Winterspielen von Turin und Sestriere, musste die neue Eisschlange in Cesana, seit 2011 stillgelegt, kurzfristig verändert werden: zu schnell, zu gefährlich. Zurück blieb die Angst von Athleten vor dem Eiskanal – zum Höhepunkt ihrer Karriere.

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