So isst Politik :
Es gibt Currywurst. Jeden Tag.

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Wie Prousts Madeleine: die deutsche Currywurst
Das schönste Restaurant im Bundestag befindet sich im Paul-Löbe-Haus. Und was gibt es da? Salatbar, Softdrinkspender – und natürlich Currywurst. Und zwar täglich.
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Mahlzeit! So grüßen Menschen einander auf Bürofluren, sobald sie den zweiten Kaffee intus haben. Soll heißen: eigentlich schon bald Mittag. Und dann in die Kantine. So ist es auch im Bundestag. Der hat mehrere Restaurants. Das schönste befindet sich im Paul-Löbe-Haus, dem Gebäude, in dem die Ausschüsse tagen. Es hat keinen offiziellen Namen, allerdings nennen es die Gäste „Lampenladen“, in Anspielung auf den „Palast der Republik“.

Tatsächlich hängt es voller prächtiger Kugellampen aus ineinandergeschobenen bunten Glaskörpern. Das hat sich der kubanische Künstler Jorge Pardo ausgedacht. Man kann ihm nicht dankbar genug dafür sein, dass er keine tiefe politische Botschaft zur Lage der Demokratie damit verbindet, sondern einfach Schönheit, die, wenn’s hochkommt, den Gast auffordert, „seine Umwelt mit Aufmerksamkeit als gestaltet“ wahrzunehmen. So heißt es in einer Broschüre des Bundestags.

„Kraftriegel des Arbeiters“

Apropos Aufmerksamkeit: Es gibt Currywurst. Und zwar jeden Tag. Sie gehört zu den Standards, wie die Salatbar und der Softdrinkspender. Die Tagesgerichte wirken dagegen blass und brav. Das sagenumwobene Premium-Fast-Food, von Altkanzler Gerhard Schröder „Kraftriegel des Arbeiters“ getauft, schmeckt hier jedem, vom Abgeordneten bis zum Tontechniker. In der Version „Mantaplatte“ (also mit Pommes) und kombiniert mit einem Schokoladenpudding schlägt die Wurst mit 9,30 Euro zu Buche. Sprudelwasser gratis dazu.

Arbeiter für die Zukunft
Arbeiter für die ZukunftFriederike Haupt

Kurz nach zwölf sind die meisten Tische belegt, vielfach von typischen Schnellessern, die den Teller während der Mahlzeit auf dem Ta­blett stehen lassen, die Geldbörse daneben, mehr Boxenstopp als Genuss. An anderen Tischen wird lebhaft diskutiert, an diesem Januartag etwa an jenem des CDU-Abgeordneten Philipp Amthor. Der sitzt wie aus dem Ei gepellt, Anzug, Krawatte, im Kreise aufmerksamer, wenn auch weniger aufmerksam gekleideter Zuhörer, denen er engagiert gestikulierend etwas vorträgt. Nebenan verzehrt ein Mann in Arbeitshose und Hoodie schweigend, Kopfhörer im Ohr, seine Bowl.

Aber zurück zur Currywurst. Die zart reißende Spezialität wirkt wie Prousts Madeleine: Kaum hat man einen Bissen verzehrt, ziehen andere Currywürste vor dem inneren Auge vorbei, zusammen mit den schönen Stunden, da man sie dereinst verzehrte. SPD-Wahlkampf, Pferderennbahn, Stadtfest, Bundespresseball um Mitternacht, Mensa, Osterfeuer. So ergibt sich ein deutsches Panoptikum, das animierend auf den Bundestagskantinengast wirkt. Für die Arbeit an der Zukunft eines Landes, das solche Würste erzeugt und verzehrt, kehrt er gern wieder an den Schreibtisch zurück.

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