Über Monate ließ Sahra Wagenknecht ihre Partei im Unklaren, Ende Oktober wagt sie doch den Schritt. Mit neun weiteren Bundestagsabgeordneten der Linksfraktion erklärt sie ihren Austritt aus der Partei und kündigt an, eine neue gründen zu wollen. Das Spektakel vollzieht sie mit großem Tamtam im Saal der Bundespressekonferenz vor der versammelten Hauptstadtpresse, von der sie einen »fairen Umgang« verlangt.
Die Linke, auf deren Ticket Wagenknecht rund drei Jahrzehnte ihre Bekanntheit mehrte, hinterlässt sie als Trümmerhaufen. Über Jahre zerstritten sich die Genossinnen und Genossen über den Umgang mit Wagenknecht, die sich selten um Parteitagsbeschlüsse scherte, aber so viel Aufmerksamkeit wie kein anderer der Partei erlangte. Durch den Abgang der zehn Abgeordneten muss im Dezember auch die Linksfraktion beerdigt werden, die nur knapp mehr als fünf Prozent der erforderlichen Sitze für den Status als Fraktion hatte.
Das »Bündnis Sahra Wagenknecht«, wie sich die neue Gruppierung nennt, will vor allem der AfD ihre Wählerschaft streitig machen. Der erste Testlauf dafür soll die anstehende Europawahl 2024 werden, auch bei den drei Landtagswahlen in Sachsen, Brandenburg und Thüringen will das neue Bündnis antreten. Personell rekrutiert es sich aus dem linken Flügel der Linken. Programmatisch sind Wagenknechts Vorstellungen so radikal wie abwegig: raus aus der Nato, keinerlei Waffenexporte, keine Sanktionen. In ihrem 2021 erschienenen Buch »Die Selbstgerechten« ruft sie zur »De-Globalisierung« auf und wünscht sich den Nationalstaat der Sechzigerjahre zurück.
Lange hat ihr innerparteilicher Dauerrivale Gregor Gysi um Wagenknechts Verbleib bei den Linken gekämpft, am Ende musste er einsehen: »Wagenknecht und ihre Mitstreiter haben es aufgegeben, für ihre politischen Ansätze innerhalb der Partei zu streiten, zu ringen, zu kämpfen«, sagt er im SPIEGEL-Gespräch. Die Abtrünnigen würden das Potenzial der Neugründung überschätzen: »Ein kurzer Erfolg ist zwar möglich, aber er wird verfliegen.«