Lutz Seilers Roman „Stern 111“ :
Suche Höhle für poetisches Dasein

Lesezeit: 6 Min.
Bereits ein zweites Mal mit einem der großen Literaturpreise des Landes ausgezeichnet: Lutz Seiler
Ein Haus besetzen und vor Glück vom Dach springen: Lutz Seilers „Stern 111“ erzählt von deutscher Wende-Euphorie um 1989/90 und danach – so intensiv, dass man am liebsten dabei gewesen wäre. Gerade wurde der Roman mit dem Preis der Leipziger Buchmesse ausgezeichnet.

Der magische Trick an Lutz Seilers Literatur? Sie kann das vermeintlich Banale in etwas ganz Besonderes, sogar Heiliges verwandeln. Eine scheinbar uninteressante Böschung am Bahndamm: „gelobtes Land“, wenn ein Gedicht Seilers sie dazu erklärt. Eine Suppe aus Essensresten: eine „ewige Suppe“, wenn der charismatische Anführer Kruso sie im gleichnamigen Roman kocht. Und ein Mittelklassewagen aus östlicher Ferne und Vergangenheit, der in unserem maßlosen SUV-Zeitalter wie ein Witz wirken muss: eine Wunderkiste, in die man nach Lektüre von Seilers neuem Roman sofort einsteigen möchte. „Es war ein schönes fließendes Fahren. Der Shiguli rollte praktisch von allein, und Carl konnte träumen. Er mochte das Geräusch der Radialreifen auf Pflasterstraßen, und also suchte er sich Pflasterstraßen – die nachtgraue Schönhauser Allee zum Beispiel, bergauf und bergab, das Summen und Brummen unter den Schädeldecken der Pflastersteine, so lange bis ihm warm war. Dazu das stumpfe Meeresrauschen des Gebläses, der Wind und die Wärme auf den Wangen. Der Shiguli lief wie auf Schienen, die er sich weise vorausschauend selbst auslegte.“

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