Saša Stanišić in Heidelberg : Heimkunft

„Alle lachten, auch die Traumatisierten“: In Heidelberg wird der Buchpreisträger Saša Stanišić bei einer Lesung von 700 Menschen wie ein Popstar erwartet. Was ist da passiert?
Wenn man nur abgebrüht auf die professionelle Performance schaute, könnte man sagen, Saša Stanišić weiß einfach, was einen guten Entertainer ausmacht: die richtige Mischung aus Chuzpe und Bescheidenheit, aus Humor und Ernst, bei der innerhalb eines Auftritts gelacht und geweint wird. Aber so kalt Kalkül unterstellend wird nicht mehr reden können, wer dabei war. Wer einer der mehr als siebenhundert Menschen war, die Stanišić in Heidelberg sahen, wird höchstwahrscheinlich aus dem Staunen nicht herausgekommen sein.
Darüber zunächst, dass eine Literaturveranstaltung in einem großen Hörsaal ausverkauft ist, wegen des großen Andrangs leicht verzögert beginnt und in dieser Zeit fast eine Popkonzertatmosphäre entsteht: Wann kommt er endlich auf die Bühne? Darüber, dass einer, der 1992 als jugendlicher Flüchtling aus Bosnien nach Heidelberg kam und „kein deutsches Wort kannte außer ,Lothar Matthäus‘“, heute dann auf diese Bühne tritt als deutscher Buchpreisträger und Bestsellerautor.
Dass er scherzend, meist auswendig, manchmal noch hinzudichtend, aber immer pointensicher, aus seinem Buch „Herkunft“ vorträgt, das um folgende Fragen kreist: „Was waren die Menschen vor dem Krieg? Was hat die Flucht mit ihnen gemacht? Und was sind sie heute?“ Dass sein Auftritt moderiert wird von einer, deren Eltern ebenfalls aus dem von Stanišić beschriebenen Land stammen, das es heute nicht mehr gibt, Jagoda Marinić, die inzwischen das „Interkulturelle Zentrum“ in Heidelberg leitet und den Autor befragt über seine ersten und auch späteren Erfahrungen in einem fremden Land, die auch vielen anderen Mut machen könnten. Und dass im Publikum neben früheren Mitschülern und Kommilitonen von Stanišić auch noch der Sachbearbeiter der Ausländerbehörde sitzt, der es ihm 1998 ermöglichte, in Deutschland zu bleiben und zu studieren.
Klingt alles fast zu schön, um wahr zu sein? „Alle lachten, auch die Traumatisierten“: Dieser Satz aus der Erinnerung an die Schulzeit Stanišićs an einer Gesamtschule mit Jugendlichen ganz verschiedener Herkunft und Hintergründe, dieser Satz entfaltete an diesem Abend eine noch einmal andere, therapeutische Wirkung unter den Anwesenden. Vielleicht war der Abend ja auch nur geträumt. Oder er kommt aus der Erinnerung – an eine Episode aus dem halbfiktionalen Buch über Herkunft, an dem Stanišić noch immer weiterschreibt. Mutet es doch so rührend wie auch ein bisschen ulkig an, dass der Oberbürgermeister der Stadt Heidelberg sich bei dem heimgekehrten Sohn nach dessen Eintrag ins Goldene Buch der Stadt bedankte, indem er ihm, wie die „Rhein-Neckar-Zeitung“ berichtet, „einen Heidelberg-Bildband und einen Lamy-Füller“ überreichte.