
Drangsal im Gespräch : „Ich beneide wunderschöne Menschen“
An der gefühlten Enge und meinem Coming-of-Age-Prozess, der noch immer nicht zu Ende ist. Ich wollte schwierig sein, auffallen und trotzdem dazugehören. Ich habe mich so angezogen wie die Künstlerinnen und Künstler, die mich begeistert haben, die Guano Apes, Keith Flint von The Prodigy und der inzwischen in Ungnade gefallene Marilyn Manson. Das hat mein Bild von Geschlecht und Identität geprägt, bevor ich überhaupt wusste, was Männlein und Weiblein sind.
Neidisch war ich immer auf alle anderen. Ich bin auf wunderschöne Menschen neidisch und auf Menschen, die den Anschein erwecken, ihnen fielen bestimmte Dinge leichter. Ich war in der Schule neidisch auf die Fußballspieler und auch schon auf Musikerinnen und Musiker aus meinem Umfeld. Aber es gibt ja auch den guten Neid, etwa wenn mir jemand ein neues Lied schickt oder eine neue Platte vorspielt, und ich höre sie und denke nur: Das ist grandios. Das ist das Benzin im Motor, das mir Energie gibt. Dann weiß ich: Jetzt muss ich nachlegen.
Jetzt, wo sich Popularität scheinbar an Zahlen messen lässt, hat der Neid eine neue Dimension bekommen. Künstlerische Validität wird an Followerzahlen und Klickzahlen festgemacht. Von in messbaren Einheiten erfolgreichen Künstlern wird propagiert, dass es um die Millionen Klicks geht. Überall da, wo andere etwas Ähnliches machen und es besser läuft, entsteht Missgunst. Diese Art von Neid musste ich mir abtrainieren. Wenn man die Frage nach Akzeptanz an Zahlen knüpft, ist das ganz schlecht für Kopf und Herz.
Ich versuche zum Beispiel, mit einem Album immer nur dann laut zu werden, wenn ich auch wirklich etwas anzubieten habe, einen neuen Song oder ein neues Musikvideo. Ich filme mich nicht in der Badewanne und bemühe mich, dabei gut auszusehen. Ich hätte nie gedacht, dass ich mit dieser verschrobenen Musik und meiner Art überhaupt so weit komme. Dafür versuche ich aggressiv dankbar zu sein.
Ich habe ausverkaufte Konzerte gespielt. Ich war mit meinen ersten beiden Alben in den Charts und bin es gerade wieder mit dem neuen Album „Exit Strategy“. Das ist verrückt. Kann ich mir davon jetzt irgendwas kaufen?
Ich glaube, Sie überschätzen, wie viel Geld man damit verdient. Ich kann mich irgendwann erinnern und staunen: Krass, das ist passiert! Aber Sie wissen ja, wie das ist. Glücksgefühle und Erfolgserlebnisse sind wie Kaugummis. Im ersten Moment schmecken sie aufregend, dann verlieren sie schon den Geschmack.
Das volle Gespräch können Sie in unserem Podcast hören: faz.net/abgruende
Podcast-Feature Abgründe
Zorn, Habgier, Neid, Völlerei, Wollust, Trägheit, Hochmut: Welche Rolle spielen die sieben Todsünden noch in unserem Alltag? Wann hilft Zorn? Und ist Neid ausschließlich schlecht? Im neuen Podcast-Feature Abgründe sprechen wir immer donnerstags mit einem prominenten Gast über verborgene Gefühle und schlechte Angewohnheiten – und wie man das Beste aus ihnen macht. Die Folgen sind unter faz.net/abgruende abrufbar.