Das Jahr 2021 :
Was wir 2021 übel nehmen

Von F.A.S.-Feuilleton
Lesezeit: 7 Min.
Anhänger von Donald Trump stürmen am 6. Januar 2021 das Kapitol.
Der „Bison“-Mann im Capitol. Deutsche Politiker in Windjacken. Milliardäre im Weltall. Karneval in Köln. Clubhouse. „Impfmüdigkeit“. Und Dennis Scheck zu Pferd: Das F.A.S.-Feuilleton verabschiedet sich vom Jahr 2021 - mit einer Liste.
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  • Die Verhaftung von Alexej Nawalny.
  • Die Verhaftung von Roman Protassewitsch.
  • Den Freispruch von Donald Trump.
  • Dass Bilder wie das von dem „Bison-Mann“ mit Hörnern und Fellmütze im Capitol um die ganze Welt gingen.
  • Noch mehr Elektroroller als 2020.
  • Noch mehr Meltdown-Videos als 2020.
  • Das Ferdinand-von-Schirach-Festival im öffentlich-rechtlichen Schulfernsehen (D, A, CH).
  • Das „Manifest der offenen Gesellschaft“, verfasst unter anderen von Markus Gabriel und Hedwig Richter, dessen Adressaten so unklar blieben wie der Sinn des Komparativs „freiere Debatte über die Corona-Politik“.
  • All die Tage, an denen man nicht ins Kino gehen konnte.
  • Den Tod von Françoise Cactus.
  • Dass bei der Aktion #allesdichtmachen im April ein paar bekannte Schauspieler und Regisseure mit ihren Videos krachend am Satireformat scheiterten, als sie die Corona-Politik der Regierung und die Medien attackierten; dass einige mitten im Shitstorm sofort zurückruderten, der harte Kern um den Schauspieler Volker Bruch jedoch im Oktober mit #allesaufdentisch noch einen draufsetzte und obskure Expertengespräche nachlegte, die den Verdacht auf intellektuelle Unzurechnungsfähigkeit wenig zerstreuen konnten und die Frage hervorriefen, was diese Positionen eigentlich von denen aus dem Milieu der Querdenker unterscheidet.
  • Die Habermas-Imitation von Hubert Winkels beim Bachmann-Preis und dessen Versuch, Lesen und Literaturkritik in Liturgie zu verwandeln.
  • Medizinische Masken, die konsequent unter Nasenlöchern oder überm Kinn getragen werden.
  • Dass der Schriftsteller Peter Handke in Banja Luka den höchsten Orden der bosnischen Serbenrepublik entgegennahm – wie vor ihm die bosnisch-serbischen Kriegsverbrecher Ratko Mladić und Radovan Karadžić oder der serbische Rechtsradikale Vojislav Šešelj.
  • Das Schweigen der Gorki-Intendantin Shermin Langhoff nach den Machtmissbrauch-Vorwürfen an ihrem Theater.
  • Das Schweigen von Olaf Scholz zu seiner Rolle in der Cum-ex-Affäre.
  • Die Rede von der Spaltung der Gesellschaft.
  • Dass Bundespräsident Steinmeier die Gaspipeline Nord Stream 2 verteidigte, weil die Energiebeziehungen fast die letzte verbliebene Brücke zwischen Russland und Europa seien, und meinte, in diesem Zusammenhang an den Überfall Nazideutschlands auf die Sowjetunion erinnern zu müssen, der sich am 22. Juni zum achtzigsten Mal jährte.
  • Dass Gerichte damit befasst werden mussten, den goldenen Farbton gewisser Schokoladen-Osterhasen unter Markenschutz zu stellen.
  • Das Cave-Syndrom und dass es jeder Artikel mit einer traurigen Frau hinter einer Fensterscheibe bebilderte.
  • Selbsttests zum Spucken, vor allem, wenn man sie gemeinsam bei Fortbildungen mit Kollegen machen muss.
  • Dass Annalena Baerbock glaubte, ein Buch schreiben zu müssen, um zur Kanzlerkandidatin gekürt zu werden.
  • Dass Annalena Baerbock Buchschreiben mit Abschreiben verwechselte – und dann meinte: „Keiner schreibt ein Buch allein.“
  • Dass wir alle Sophie Scholl sein sollten.
  • Dass der europäische Fußballverband UEFA, obwohl der Spieler Christian Eriksen beinahe auf dem Platz verstorben wäre, die dänische Mannschaft massiv unter Druck setzte, weiterzuspielen, und ungerührt das Turnier fortsetzte.
Annalena Baerbock stellt, nun ja, ihr Buch vor.
Annalena Baerbock stellt, nun ja, ihr Buch vor.PublicAd
  • Dass das ZDF nach Unterbrechung der Übertragung, als man noch gar nicht wusste, ob Christian Eriksen überleben würde, eine Folge der Serie „Der Bergdoktor“ sendete, in der es um die Reanimation einer Frau und ihres Kindes geht.
  • Die Fußball-EM überhaupt.
  • Die Entschädigungsforderungen der Hohenzollern und die Unterlassungserklärungen, mit denen sie ihre Kritiker überziehen.
  • Eine mittelgute neue Lorde-Platte.
  • Ein mittelguter neuer Jonathan-Franzen-Roman.
  • All die weggeworfenen Impfdosen.
  • Das Lachen von Armin Laschet.
  • Benny Fuchs, der im Werbespot des Wettanbieters mybet herumkumpelt, behauptet, immer auf das Ergebnis 3:1 zu wetten, „wenn die Statistik passt“, und meint, er habe „schon ein bisschen Ahnung“ – nur wovon?
  • Juli Zeh und Denis Scheck dabei zuzusehen, wie sie durch den Wald ritten.
  • Das, was vom Literarischen Quartett übrig geblieben ist.
  • Die Taliban.
  • Diese verdammten Taliban.
  • Die Illusion, mit militärischer Gewalt eine Zivilgesellschaft in Afghanistan aufbauen zu können.
  • Das Ende dieser Illusion.
  • Den Begriff „Ortskräfte“ zur Bestimmung einer Hierarchie der Rettung von Menschenleben.
  • Dass man erst sah, wie klug, wie mutig die Menschen in Afghanistan sind, als man gezwungen wurde, hinzuschauen.
  • Dass Kinder in der Schule nicht singen dürfen.
  • Freedom Days und dass sie so heißen.
  • Ein deutsches Fox News.
  • Ein deutsches „Game of Thrones“.
  • Dass man die langen Schlangen vor Berliner Wahllokalen für das erfreuliche Zeichen erhöhter Wahlbeteiligung gehalten hat und nicht für das dramatische Versagen der Berliner Landeswahlleitung.
  • Dass Christian Lindner nicht konsequent, sondern „konsequenter“ handeln will.
  • Den Abschied von Daniel Craigs James Bond.
  • Dass uns immer mehr Meditations-Apps weismachen wollen, wie nice und calm es im Homeoffice sein kann, wenn man nur richtig ins Hier und Jetzt eintaucht.
Fans bei der Fußball-EM, England-Deutschland im Londoner Wembley-Stadion
Fans bei der Fußball-EM, England-Deutschland im Londoner Wembley-Stadiondpa
  • Die Normalisierung der Jogginghose, nicht nur im Homeoffice.
  • Dass die EU noch immer über ein Aussetzen des Patentschutzes für Impfstoffe diskutiert und nicht längst beschlossen hat. Wenn es Pharmaunternehmen etwas kostet, wird lieber außer Acht gelassen, womit „wir“ es zu tun haben: einer „pandemischen Lage globaler Tragweite“.
  • Politiker in Windjacken.
  • Milliardäre im Weltall.
  • Karneval in Köln.
  • Alle 68 494 720 759 Feuilleton-Aufmacher der NZZ darüber, was man überhaupt noch sagen darf.
  • Das Skaterverbot vor der Neuen Nationalgalerie in Berlin.
  • Dieses Kubicki-Zitat: „Eine ganze Reihe von Medien – dazu gehören Teile der öffentlich-rechtlichen genauso wie die ‚Süddeutsche Zeitung‘ oder die ‚Frankfurter Rundschau‘ – haben die Maßnahmen der Regierung überhaupt nicht mehr hinterfragt, weil diese angeblich der Bekämpfung des Coronavirus dienten.“
  • Dass ein so intelligenter, bewegender, formal avancierter Film wie Dominik Grafs Kästner-Adaption „Fabian oder Der Gang vor die Hunde“ beim Deutschen Filmpreis von den mehr als zweitausend Mitgliedern der Filmakademie mit fast schon unverschämter Ignoranz behandelt wurde.
  • Dass fast alle Expertenwarnungen, die beim ersten Lockdown geäußert worden waren, auch beim zweiten Mal ignoriert wurden und jetzt bei der vierten Welle wieder keinen Lerneffekt erzielen.
  • Die Millionen, die Kulturstaatsministerin Monika Grütters an falscher Stelle ausgegeben hat.
  • Das Wiedersehen mit „Wetten, das­ . .?“ und einem Moderator, der findet, dass früher alles besser war, aber vielleicht das Einzige ist, das früher wirklich besser war.
  • Das Wiedersehen mit „TV Total“, mit einem neuen Moderator, der von seinem Vorgänger nur die unzeitgemäße Misogynie übernommen hat.
Die Gastgeberin des „Literarischen Quartetts“, Thea Dorn
Die Gastgeberin des „Literarischen Quartetts“, Thea DornZDF und Jule Roehr
  • Die Eröffnung des Humboldt Forums und die Feststellung, dass hinter der teuren und hässlichen Schlossfassade nicht so richtig viel kommt.
  • Dass ein Einser-Abiturient wie Joshua Kimmich allen Ernstes etwas von „fehlenden Langzeitstudien“ beim Impfen daherredet.
  • Dass aus dem Kinderspiel „Ochs am Berg“ ein globales Fernsehspektakel wird und sich dann Eltern auf der ­ganzen Welt Sorgen machen, wenn es ihre Kinder auf dem Schulhof nach­spielen.
  • Eine selbstgerechte Twitterblase, die es sich am liebsten im Lockdown gemütlich machen würde.
  • Tweets, die sich über die selbstgerechte Twitterblase aufregen.
  • Den tragischen Tod der Kamerafrau Halyna Hutchins.
  • Die kaum verhohlene Lust, Textstellen mit dem N-Wort aus der Literaturgeschichte auch da zu zitieren, wo es völlig unnötig ist, weil man dann das N-Wort gesagt und einmal mehr gezeigt hat, dass man gar nicht anders kann.
  • FFP2-Masken in Parteifarben.
  • Dass sich ein englischer Fußballklub von einem saudischen Staatsfonds übernehmen lässt, dessen Vorsitzender Muhammad bin Salman ist.
  • Das Gejammer von Journalistenkolleginnen und -kollegen, dass Politiker mal nichts „durchstechen“ wollen, als sei das eine demokratische Politikerpflicht.
  • Clubhouse.
  • Handy-Alarm.
  • Schiffe, die Ever Given heißen und zu groß sind für die Schifffahrtswege, die sie passieren.
  • Toxische Männer im Reality-TV (zum Beispiel Mike Cees-Monballijn in Sommerhaus der Stars).
  • Die sieben Feldhasen, die im Festungsgraben auf dem Erfurter BUGA-Gelände den gesamten Kohlrabi abgefressen haben.
Querdenker-Demo in Frankfurt, Dezember 2021
Querdenker-Demo in Frankfurt, Dezember 2021Lucas Bäuml
  • Dass Berliner Intellektuelle jetzt immer in die Uckermark fahren müssen, um sich überhaupt mal zu treffen.
  • Dass es immer zu spät ist, in Bitcoins zu investieren, und dann doch nie zu spät gewesen wäre.
  • Den gigantischen Stromverbrauch von Kryptowährungen.
  • Sally Rooneys Israel-Boykott.
  • BDS insgesamt.
  • Dass der französische Soziologe Didier Eribon den Schriftsteller Michel Hou­ellebecq bei jeder Gelegenheit einen „Faschisten“ nennt.
  • Dass man erst erbärmliche Chatprotokolle öffentlich machen musste, damit sich Sebastian Kurz angeblich ganz aus der Politik zurückzieht.
  • Dass die Serie zur „Ibiza-Affäre“ ge­feiert wurde – es aber kaum jemanden interessiert, dass dem Drahtzieher des berühmten Ibiza-Videos, Julian Hes­senthaler, in Österreich ein Drogenprozess mit zweifelhaften Zeugen gemacht wird.
  • Dass die Regierung in Belarus in ihrem Kampf gegen die EU Menschen auf der Flucht einsetzt und im Grenzgebiet zu Polen in den Tod treibt.
  • Lukaschenko.
  • Falsche Ausgewogenheit.
  • Narrative.
  • Den Tod von Michael K. Williams.
  • Omikron und mögliche weitere Buchstaben des griechischen Alphabets.
  • Meta.
  • Den Begriff der „Impfmüdigkeit“.
  • Überhaupt: Dass es auch in diesem Jahr wieder so viele Neologismen gab, die metaphorisch so unglücklich waren wie inhaltlich: den Brückenlockdown. Die Bundesnotbremse. Den Impfdurchbruch.
  • Dass der Bundestag mit 739 Abgeordneten noch mal größer geworden ist und eine Wahlrechtsreform blockiert wird.
  • Dass die Ampel umstandslos die Ampel genannt wurde und nicht etwa Panafrika.
  • Dass die neue Regierungskoalition, die so viel Aufbruch und Modernisierung versprach, sich am Ende vor allem darauf einigen konnte, was alles nicht verändert werden darf: das Tempolimit, die Steuersätze, die Neuverschuldung.
  • Dass der Verleger Dirk Ippen die Enthüllungsgeschichte seines Investigativteams über Machtmissbrauch bei Springer verhinderte.
  • Dass der Springer-CEO Mathias Döpfner trotz seiner Verunglimpfung aller Journalisten vom Bundesverband Digitalpublisher und Zeitungsverleger im Amt bleiben konnte.
  • Dass auch in diesem Jahr „der bundesweite Tag der Suppe“, der „Welttoilettentag“ und der „Internationale Männertag“ auf den 19. November fielen.
  • Das Geräusch von Popits.
  • Abgesagte Konzerte.
  • Dass die Kohl-Witwe Maike Richter einfach nicht einsehen will, dass Entschädigungsansprüche nicht mal vererbbar sind, wenn der Empfänger Helmut Kohl heißt.
  • Dass IOC-Präsident Thomas Bach nach einem Videocall mit der chinesischen Tennisspielerin Peng Shuai, die seit Anfang November als verschwunden gilt, nachdem sie einen Spitzenpolitiker des sexuellen Übergriffes beschuldigt hatte, verkünden lässt, die Athletin sei wohlauf und sicher.
  • Diverse Kandidaturen von Friedrich Merz.
  • Diverse Kandidaturen von Norbert Röttgen.
  • Was aus Punk geworden ist.
  • Dass Osman Kavala immer noch in Haft ist.
  • Dass Zhang Zhan immer noch in Haft ist.
  • Schon wieder Homeoffice.
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