Affäre Gelbhaar :
Beim RBB fliegen die Fetzen

Von Jochen Zenthöfer
Lesezeit: 6 Min.
Angespannt: der RBB-Rundfunkratsvorsitzende Oliver Bürgel, Intendantin Ulrike Demmer und Chefredakteur David Biesinger während der Sitzung.
„Super-Gau“, „Salamitaktik“, „Erschütterung“: Der Rundfunkrat kritisiert die Fake News des RBB über den Grünenpolitiker Stefan Gelbhaar. Von kommenden Montag an arbeitet eine externe Kommission alles auf, der Sender zahlt 60.000 Euro.
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In einer in einem hybriden Modell stattfindenden Sondersitzung hat der Rundfunkrat des RBB über die skandalöse Berichterstattung des Senders über den Grünenpolitiker Stefan Gelbhaar beraten.

Stellenabbau und Einsparungen in Millionenhöhe

Zunächst aber gab Intendantin Ulrike Demmer aktuelle Informationen zur Zukunft des RBB. Massive Einsparpläne waren zuvor bekannt geworden. Der heutige Tag sei „der Auftakt eines Prozesses zur Zukunft“ des Senders. Man plane eine umfangreiche Transformation. Grund sei die finanzielle Situation, die der Rundfunkrat bereits im vergangenen Jahr diskutiert hatte. „Wir können nicht mitspielen bei der digitalen Erneuerung, die wir in der ARD verabredet habe. Es gibt auch kein Geld für neue Ideen und keine Rücklagen für Risiken wie steigende Energiekosten“, sagte Demmer: „Der RBB ist blank.“ Die aktuelle politische Lage verschärfe den Handlungsdruck. „Die Vorschläge von Dritten, wo beim RBB zu sparen sei, nehmen zu.“ Demmer will Stabilität, „um auch in Zukunft selbständig handeln zu können.“

Der RBB habe lange über seine Verhältnisse gelebt und Vertrauen verspielt, erklärte die Intendantin. Die bisherigen Sparmaßnahmen reichten nicht aus. „Wenn wir nichts tun, laufen wir im Januar 2026 in ein Defizit von neun Millionen Euro“. In Summe sei aber das Ziel, 22 Millionen einzusparen, die dadurch frei werdenden Mittel will man in die Digitalisierung stecken und ins Programm investieren. Grund dafür sei auch, dass man manche Gruppen der Gesellschaft momentan gar nicht erreiche. Chefredakteur David Biesinger ergänzte, angedacht sei unter anderem eine Stärkung der jungen Angebote, auch im Bereich Popkultur; man wolle außerdem mehr Podcasts anbieten.

Demmer brachte es auf den Punkt: „Der Sender braucht einen Befreiungsschlag.“ Jede Hauptabteilung solle zehn Prozent ihres Budgets einsparen. Deren Leiter müssen in den nächsten zwei Wochen Vorschläge machen. Man wolle Personalaufwand und Honoraraufwand reduzieren: 250 Vollzeitstellen fallen im Laufe des Jahres 2025 weg, bei festen und freien Mitarbeitern. Man sei bemüht, den Abbau ohne betriebsbedingte Kündigungen zu realisieren, aber „versprechen könne man das nicht“.

Der Personalaufwand betrage 30 Prozent des Haushalts, bei anderen ARD-Anstalten sei das niedriger, teilweise seien es nur 15 Prozent. Wer gehen muss, ist noch unklar. Daran werde man jetzt mit den Sozialpartnern arbeiten. Nach dem Personalabbau werde man eine neue Organisationsstruktur schaffen. Allerdings blieb Demmer doch sehr im Vagen. In der anschließenden Diskussion sprach zunächst Dennis Hohloch von der AfD. Er attestierte ein langjähriges Führungsversagen im RBB. Das Argument der „digitalen Transformation“ sei eine Floskel. Moshe Abraham Offenberg von den Jüdische Gemeinden Berlin und Brandenburg bedauerte es, „dass die erste Wortmeldung von der AfD kam“; er vermisste bei Demmers Plänen die Details. Martin Hagemann von der Landesrektorenkonferenz unterstütze Demmer und den Weg, „das Steuer herumzureißen“. Antje Kapek (Bündnis 90/Die Grünen) meinte, der RBB sei „eigentlich pleite“, die Pläne seien jedoch „ein Kahlschlag“. Ihr fehle die Phantasie, wie die Transformation gelingen soll.

Ulrike Demmer, Intendantin des RBB, hier aufgenommen auf einer Pressekonferenz im August des vergangenen Jahres.
Ulrike Demmer, Intendantin des RBB, hier aufgenommen auf einer Pressekonferenz im August des vergangenen Jahres.dpa

Die Befürchtung des brandenburgischen Landtagsabgeordneten Erik Stohn (SPD), dass überproportional bei den Brandenburgern Regionalreportern gespart werde, wollte Demmer zerstreuen. Christian Amsinck von der Vereinigung der Unternehmensverbände unterstützte die Maßnahmen und erinnerte daran, dass der RBB zwar nicht insolvenzfähig sei, jedoch zahlungsunfähig werde könne. Er meinte, der Personalaufwand sei zu hoch. Man könne sich am Hessischen Rundfunk orientieren. Dieser versorge ebenso rund sechs Millionen Menschen und sei, wie der RBB, nie ganz vorne unter den Dritten. Abschließend sprach Personalratsvorsitzende Martina Schrey von einem Schock und sagte, viele Mitarbeiter hätten Angst. Das Sparen müsse „verhältnismäßig“ sein.

Zur RBB-Affäre mit Opfer Stefan Gelbhaar

Der RBB hatte in seiner fehlerhaften Berichterstattung über den Grünen-Abgeordneten Stefan Gelbhaar am 31. Dezember 2024 eine Frau namens „Anne K.“ erwähnt, die sexuelle Belästigungen beklagte. Später stellte sich heraus, dass es „Anne K.“ gar nicht gibt. Der RBB hat sich bei Gelbhaar entschuldigt und will die Fehler nun extern aufarbeiten lassen. Moshe Abraham Offenberg fragte nach Mitgliedern und Kompetenzen dieser externen Kommission. „In der Öffentlichkeit ist ein riesiger Schaden entstanden, es muss schnell zu Konsequenzen kommen“, sagte Offenberg. Der RBB habe mit seiner Berichterstattung vermutlich gesetzliche Bestimmungen verletzt. Er schlug vor, der Rundfunkrat soll aktiver Teil der Untersuchung werden. Intendantin Demmer gab „schwerwiegende Fehler“ zu. Sie entschuldigte sich „hier an dieser Stelle bei Stefan Gelbhaar“. Man arbeite mit Hochdruck daran, ein „hochkarätiges interdisziplinäres Team“ zu beauftragen, das bereits am Montag (3. Februar) mit seiner Arbeit beginnen soll. Der Zeitrahmen sei wie folgt: zwei Wochen Ermittlung, dann eine Woche Evaluierung. Die Namen der Kommissionsmitglieder nannte Demmer in der öffentlichen Sitzung nicht. Das Honorar sei mit 60.000 Euro netto gedeckelt. Aufzuarbeiten seien drei Gesichtspunkte: Was ist in der journalistischen Aufarbeitung falsch gelaufen? Was ist in der Woche danach falsch gelaufen? Sind die Strukturen falsch aufgestellt?

Chefredakteur David Biesinger sprach von einem „schwerwiegenden Fehler“. Er habe mit den betroffenen Kollegen mehrfach gesprochen, es gab zudem zwei große Diskursrunden mit allen Journalisten des Hauses. Biesinger will seine redaktionsintern Unterlagen dem externen Team übergeben. Er nannte Details, nannte aber keine Namen von Journalisten: Am 31. Dezember sei der falsche Bericht vom Reporterteam, einer Redakteurin und dem Justiziariat abgenommen worden, aber nicht von der Chefredaktion.

Erik Stohn (SPD) sprach von einem „Super-Gau“ für einen öffentlich-rechtlichen Sender: „Das ist der absolute Rufmord gewesen.“ Er sei „extrem sauer“. Harald Geywitz von den Evangelischen Kirche kritisierte eine „Salamitaktik bei der Fehleraufarbeitung“. Es sei ein gravierender Fall, aber „kein Einzelfall“. Er erinnerte in diesem Zusammenhang an die Vorwürfe der RBB-„Abendschau“ gegen einen Geschäftsführer der Messe Berlin. Die abgestuften Erklärungen des Chefredakteurs seien „nicht zufriedenstellend“ gewesen. Chefredakteur Biesinger verteidigte seine „Salamitaktik“. Er hätte jeweils sicher sein müssen, dass korrekt sei, was er mitteile.

„Urfehler“ war, dass die Redaktion „Anne K.“ nie persönlich traf. Telefonate und E-Mails reichten bei solchen Vorwürfen nicht aus. Von diesem Urfehler aus seien zwei weitere Fehler passiert. Bei der redaktionellen Abnahme und der juristischen Abnahme sei nicht bekannt gewesen, dass es kein Treffen gab. Fehler sei zudem gewesen, eine Szene fürs Fernsehen nachzustellen, die es nie gab. „Wir haben es aber auch mit krimineller Energie zu tun, die uns auf dieser Seite gegenüberstand“, merkte Biesinger an. Konsequenzen werde man ziehen, wenn die Ergebnisse der externen Analyse vorliegen.

Regine Auster, Vertreterin der Naturschutzverbände, sprach von einem „Skandal, der erschüttert“. Sie forderte, dass der Rundfunkrat in die Programmkontrolle eingebunden wird. Auch Martin Hagemann von der Landesrektorenkonferenz sprach von einer „Erschütterung“. In Zeiten von Deep Fakes und KI sollte der öffentlich-rechtliche Rundfunk keine Szenen nachspielen, die es nicht gegeben hat. Es müsse ein Moratorium gegen Fiktionalisierungen von Realität geben. Frank Feuerschütz vom Landesjugendring meinte, der RBB müsse sich auch bei den ernsthaft Betroffenen von sexueller Gewalt entschuldigen. Dies sei nicht erfolgt. Zudem erklärte er, dass auch die Glaubwürdigkeit der Rundfunkräte angegriffen sei. Dennis Hohloch (AfD) verglich die Fehler mit dem Relotius-Skandal im „Spiegel“, wobei der RBB höhere journalistische Standards haben müsse.

Antje Kapek (Bündnis 90/Die Grünen) berichtete, der Schaden trage nicht nur eine einzige Person, sondern mehrere Personen und zwar „existentiell“, zudem sei ihre Partei dadurch im Wahlkampf geschwächt. Es handele sich nicht um eine „Intrige“, es habe eine andere Qualität, wenn solche Vorwürfe von einer ARD-Anstalt erhoben werden: Damit habe sich [für die Grünen] alles verändert. „Eine Expertenkommission oder eine Entschuldigung werden für uns daran nichts mehr ändern.“ Kapek kritisierte den RBB-Chefredakteur: „Wenn ein Bundestagsabgeordneter mit anwaltlichen Schreiben sagt, das war so alles nicht, hätte der Chefredakteur das Ganze zur Chefsache machen müssen.“ Sie warf dem Chefredakteur vor, dass man sich mit den Einwendungen des Anwalts von Gelbhaar nicht ausreichend befasst habe. Sie warf dem RBB vor, weitere Fehler zu machen, denn die weiter vorliegenden Vorwürfe würden nun gar nicht mehr verfolgt. Biesinger antwortete, man sei „weiter an dem Thema dran“. Im Übrigen gebe er keine Berichte frei, es wäre nicht gut, wenn nur gesendet würde, was der Chefredakteur freigibt. Anwaltsschreiben gebe es bei Recherchen ständig, in diesem Fall sei es, wie sonst auch, gewürdigt worden. Man habe daraus auch zitiert.

Fiktionale Nachstellungen verteidigte Biesinger. Fehler sei hier nicht die Fiktion gewesen, sondern, dass es das Treffen, das fiktional nachgestellt wurde, gar nicht gab. In ihrer Antwort forderte Intendantin Demmer, journalistische Präzision müsse das Markenzeichen des RBB sein. Auch der NDR habe „bei den letzten Vorkommnissen“ auf externe Experten zurückgegriffen. Grünen-Politikerin Kapek nannte manche Verhaltensweisen der RBB-Journalisten „verstörend“. Auch der Vorsitzende des Rundfunkrats, Oliver Bürgel, zeigte sich mit an Antworten von Demmer und Biesinger nicht zufrieden. Es fehle weiterhin an Klarheit. Der Rundfunkrat wolle mitsprechen, wenn es Ende Februar um Konsequenzen und nächste Schritte gehe.

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