Ausstellungen : Plastinate sind Leichen, dienen aber auch der Lehre
MÜNCHEN, 21. Februar. Einen entspannten Freitag haben in München Totenwächter mit gesundem Humor erlebt. Der bayerische Verwaltungsgerichtshof hob in einem Eilverfahren das Verbot der Ausstellung "Körperwelten" des Anatomen Gunther von Hagens auf. "Totenwächter mit gesundem Humor" - mit diesem Anforderungsprofil hatte sein Institut in der bayerischen Landeshauptstadt Personal für die Präsentation von Leichen gesucht, die durch Kunststoff präpariert worden sind. Zweihundert kunstvoll arrangierte tote Körper können damit von diesem Samstag an in der München Arena, dem früheren olympischen Radstadion, betrachtet werden. Nur in einigen Punkten, darunter dem Verkauf von Waren wie Uhren, deren Ziffernblatt den Ausschnitt einer menschlichen Beckenscheibe zeigt, hat der 4. Senat des Verwaltungsgerichtshofs Auflagen ausgesprochen.
Die Ausstellung ist bislang in mehreren deutschen Städten zu sehen gewesen, in Mannheim, Köln, Oberhausen, Berlin; auch im Ausland wurde sie gezeigt. Sie ist von heftigen ethischen, theologischen und medizinischen Disputen begleitet worden. Während Hagens für sich aufklärerisches Wirken reklamierte, warfen ihm Kritiker vor, mit einem anatomischen Disneyland nur die Schaulust zu stillen. Juristische Fragen wurden lediglich gestreift - ein seltenes Phänomen in einer Gesellschaft, die in fast allen Lebenssphären auf die ordnende Kraft der Normen vertraut. Doch als sich Hagens anschickte, nach München zu gehen, wurde der rechtliche Schleier gelüftet - und ein Schlagabtausch zwischen den Juristen der Landeshauptstadt, die ein Verbot der Ausstellung aussprachen, und den Anwälten des Plastinators begann. Die Ausgangslage ist eindeutig: Leichen sind zu bestatten - so bestimmen es die rechtlichen Regelungen. Auch Körper, die in anatomischen Instituten der Ausbildung und Forschung dienen, sind davon nicht ausgenommen; sie müssen beigesetzt werden, sobald der wissenschaftliche Zweck nicht mehr vorliegt.
Viele Institute haben Ehrenanlagen, auf denen die Urnen der verstorbenen Personen beigesetzt werden, die sich zu Lebzeiten entschieden haben, mit ihrem toten Körper den medizinischen Fortschritt fördern zu wollen - es sei denn, es wurde ein anderer Bestattungsort verfügt. Der frühere Präsident des Bundesverfassungsgerichts, Ernst Benda, hat schon vor einigen Jahren ein klares Fazit aus dieser Rechtslage gezogen: Er hält die Verwandlung einer Leiche in ein dauerhaftes Ausstellungsobjekt für unzulässig. Doch wann kann rechtlich gesehen von einer Leiche gesprochen werden? Müßten nach der Rechtslage auch Mumien und religiöse Reliquien beigesetzt werden? Die juristische Literatur gibt darauf nur eine knappe Antwort: Sie verneint das Vorliegen einer Leiche, wenn der Verwesungsprozeß soweit fortgeschritten ist, daß nur noch das Skelett oder einzelne Knochen vorhanden sind. Was aber ist mit Leichen, die mit einem Verfahren präpariert worden sind, wie es Hagens entwickelt hat? Bei der Plastination, für das der Anatom Patente in Deutschland und anderen Ländern hält, wird Gewebewasser und -fett durch Kunststoff ersetzt. Hagens rühmt sich, daß plastinierte Organe unter dem Mikroskop identisch mit ihrem Zustand vor der Konservierung seien - juristisch eine zweischneidige Argumentation, wie sich in dem Verbotsverfahren zeigen sollte.
Denn die städtischen Juristen sahen sich dadurch in ihrer Auffassung gestärkt, daß bei den "Körperwelten" Leichen gezeigt würden. Die juristische Beurteilung eines toten Körpers könne nicht davon abhängen, ob er besonders präpariert worden sei. Hagens Berater konnten sie auch nicht mit der Argumentation überzeugen, der Leichenbegriff setze die Erkennbarkeit einer Individualität voraus, die Exponate in den "Körperwelten" seien jedoch anonymisiert. Besucher, die in der Ausstellung den "Hautmann", eine plastinierte Leiche, die ihre Haut über dem Arm trägt, bestaunen, mögen vergessen, daß sie der sterblichen Hülle eines konkreten Menschen gegenüberstehen - die städtischen Juristen verloren es nicht aus dem Blick. Und sie bekamen in diesem Punkt durch den Verwaltungsgerichtshof recht: Plastinate seien Leichen, auf die das Bestattungsrecht anzuwenden sei, entschied der 4. Senat. Die Auseinandersetzung mit Hagens verlor die Stadt an einer anderen juristischen Front - der grundgesetzlich garantierten Wissenschaftsfreiheit. Hagens berief sich in dem Verbotsverfahren darauf, daß die Präparation von Leichen und ihre Präsentation in der Öffentlichkeit eine in der Medizin anerkannte Methode darstelle. Die Schau- und Lehrsammlung des Berliner Pathologischen Museums habe schon vor hundert Jahren mehr als 20 000 Exponate umfaßt. Die Wissenschaftsfreiheit sei weder personell noch räumlich an Universitäten gebunden; auch in öffentlichen Ausstellungen könnten wissenschaftliche Erkenntnisse vermittelt werden. Kurz gefaßt: Auch wer nicht Inhaber eines anatomischen Lehrstuhls sei oder nicht in einem etabliertes Museum wirke, dürfe der Wissenschaft dienen.
Die erste Instanz in dem Eilverfahren, das Verwaltungsgericht München, hatte Hagens nicht abgesprochen, daß er mit seiner Ausstellung wissenschaftliche Zwecke verfolge, etwa durch die Gegenüberstellung von gesunden und kranken Organen. Vieles spreche aber dafür, daß diese Zwecke nicht im Vordergrund stünden. Die Mehrheit der Ausstellungsbesucher sollten durch eine möglichst spektakuläre Aufmachung angezogen werden. Vollends den Ausschlag, das städtische Verbot zu billigen, gab für das Verwaltungsgericht aber der Ort der Ausstellung, das ehemalige Radstadion. Nach der Rechtslage sei es zwar zulässig, auch medizinischen Laien anatomische Präparate zu zeigen - aber nur in wissenschaftlichen Einrichtungen, um die Würde der Verstorbenen zu wahren. Und ein ehemaliges Radstadion falle nicht in diese Kategorie.
Die rechtliche Einstufung einer Stätte, in der früher Olympioniken auf zwei Rädern möglichst schnell im Kreis fuhren - auf dieses glatte juristische Parkett begab sich der Verwaltungsgerichtshof als Beschwerdeinstanz nicht. Insbesondere Plastinate einzelner Organe, aber auch ganzer Körper dienten der medizinischen Anschauung und erfüllten Lehrzwecke, entschied der 4. Senat. Die Ausstellung verfolge damit einen legitimen, didaktischen Zweck und sei von der Wissenschaftsfreiheit gedeckt. Allein das Unübliche, Ungewöhnliche oder das von vielen Menschen als unerwünscht Empfundene verletze nicht die Würde eines Verstorbenen oder das sittliche Empfinden der Allgemeinheit, lautet einer der Kernsätze des Beschlusses. Mit den Plastinaten werde der biologische Teil des Menschseins dargestellt: Die Leichen würden als Mittel der Erkenntnis der Menschheit über sich selbst verwandt.
Der 4. Senat zog aber zugleich eine Grenzlinie: Plastinierte Leichen dürften nicht zu einer kreativen, künstlerisch motivierten Gestaltung verwandt werden. Ein Arrangement eines toten menschlichen Körpers zusammen mit einem Pferdekadaver als "Scheuendes Pferd mit Reiter" lasse sich nicht mehr mit einem didaktischen Ziel rechtfertigen; auch nicht Plastinate wie "Prayer" oder "Mystisches Plastinat gleich Harry Potter". Hagens hatte dem Verwaltungsgerichtshof vor dessen Entscheidung zugesagt, solche künstlerisch verfremdeten Inszenierungen in München nicht zu zeigen und hatte damit seinem juristischen Erfolg den Boden bereitet. Die Eilentscheidung des 4. Senats ist nicht anfechtbar. Die Stadt München kann nur noch auf das Hauptsacheverfahren setzen, über das in jedem Fall erst entschieden sein wird, wenn die Ausstellung im früheren Radstadion längst ihre Pforten geschlossen hat - und die präparierten Leichen an einem anderen Präsentationsort sind, mit anderen humorvollen Totenwächtern an ihrer Seite.